Wo ist die Mitte? Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Reiner Haseloff, ist anderer Ansicht als Kanzlerin Angela Merkel. (Foto: Imago/Stefan Zeitz)
Reiner Haseloff

Die Rückkehr der Konservativen

In der Debatte über den Umgang der CDU mit der AfD wünscht sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff ein schärferes konservatives Profil der Christdemokraten. "Wir sind inhaltlich und personell viel zu schmal geworden. Wir müssen wieder breiter werden, um den rechten demokratischen Rand für uns zu reklamieren", sagte er der Zeitung "Die Welt" am Mittwoch. Lob gab es für die CSU.

Und legt dann in dem bemerkenswerten Interview eine klare Kritik an den Äußerungen der Kanzlerin nach: „Die Philosophie, die CDU solle sich ausschließlich auf die Mitte konzentrieren, muss durchdacht werden.“ Haseloff, der einzige CDU-Politiker, der sich nach den jüngsten Landtagswahlen ohne große Verluste halten konnte, grenzt sich damit eindeutig von CDU-Chefin Angela Merkel ab.

Die Kanzlerin setzt in der Auseinandersetzung mit der AfD auf inhaltliche Diskussionen und einen Kurs der politischen Mitte. Sie sieht nach Angaben aus CDU-Kreisen nach den letzten drei Landtagswahlen eher die Grünen als Konkurrenz und „große bürgerliche Partei der Mitte“, obwohl die Grünen ausschließlich in Baden-Württemberg aufgrund ihres Spitzenkandidaten ein hohes Ergebnis erzielten und CDU-Wähler abwarben. Es gebe keinerlei neue Strategie, um konservative Wählerschichten zurückzugewinnen, beharrte die Kanzlerin auch noch am Dienstag auf ihrer Position.

Es geht ja soweit, dass manche Meinungsforscher fordern, wir sollten uns den demokratischen konservativen Rand bewusst abschneiden.

Reiner Haseloff, im Interview mit der „Welt“

Haseloff nannte als „Kernthemen“ der Union Familie, Heimat, Altersvorsorge und Innere Sicherheit. „Nein, wir müssen, wie schon Franz Josef Strauß sagte und Horst Seehofer zu Recht einfordert, auch das rechte politische Spektrum abdecken und Protestwähler für uns zurückgewinnen“, so der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt in der „Welt“. In Sachsen-Anhalt hatte die rechtspopulistische AfD bei der Landtagswahl 24 Prozent der Stimmen bekommen. „Es geht ja soweit, dass manche Meinungsforscher fordern, wir sollten uns den demokratischen konservativen Rand bewusst abschneiden“, so der CDU-Politiker mit einem kleinen Seitenhieb auf die im CDU-Vorstand präsentierte seltsame Analyse des Meinungsforschers Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen. Dieser hatte laut unbestätigten Medienberichten behauptet, dass auf der konservativen Seite der Union immer mehr Leute wegsterben würden, weshalb man sich noch weiter nach links orientieren solle.

Deutliche Kritik an Merkels Kurs

In Sachen Flüchtlingspolitik wurde der Ministerpräsident ebenfalls deutlich: „Die vermeintliche politische Korrektheit aus Berlin macht die AfD nur stärker.“ Die Menschen würden sich über die Unterschiede zwischen ihrem persönlichen Erleben und der Sprache von Politik und Medien nur noch ärgern. So habe man in der CDU darüber diskutiert, ob man den Begriff „Kontrollverlust“ in Bezug auf den Flüchtlingsansturm verwenden dürfe oder nicht. In Sachsen-Anhalt habe man früh eine Integrationsobergrenze angesprochen, weil man den Realismus aufgenommen habe, „den es vor Ort in den Kommunen überall gibt“.

Wir sind im Wahlkampf häufig gefragt worden: Wo kann ich CSU wählen?

Reiner Haseloff

Ziemlich deutlich plädierte er in der „Welt“ für einen Kurswechsel oder zumindest für eine Kursergänzung: „Die Position von Horst Seehofer darf es nicht nur in der CSU geben, sondern muss sich auch in unserer Gesamtstrategie abbilden – so wie die Position Angela Merkels.“ Es habe seiner Landes-CDU nicht geschadet, die Grenzen der Leistungsfähigkeit bei der Flüchtlingsaufnahme aufgezeigt zu haben. Viele unzufriedene Wähler hätten so gehalten werden können. „Wir sind im Wahlkampf häufig gefragt worden: Wo kann ich CSU wählen?“ Haseloff forderte zudem vom Bund, sich mit mindestens 50 Prozent an den Kosten der Flüchtlingskrise zu beteiligen, und warnte: „Wenn wir hier nicht Hilfen bekommen, wird es einen finanzpolitischen Verteilungskampf zwischen der Bevölkerung und den Flüchtlingen geben und das wird damit das nächste Thema für die AfD.“ Damit meinte er nicht allein die kürzlich vom Bund übernommenen Unterbringungskosten, die weniger als ein Viertel der Gesamtkosten ausmachen würde. „Auf dem Rest bleiben wir sitzen“, kritisierte der CDU-Politiker.

Einen weiteren Wink mit dem Zaunpfahl gibt Reiner Haseloff der Kanzlerin zum Schluss des Welt-Interviews noch mit:

Was konservative Politik ist, definieren immer noch wir von der CDU – und wir allein. Das lassen wir uns von keinem wegnehmen.

Reiner Haseloff

Die Rückkehr der Konservativen?

Auch CDU-Vize Julia Klöckner hatte erst kürzlich gefordert, man müsse „heikle Themen offen erklären und diskutiere, um so AfD-Wähler mit Argumenten zurückzuholen“. Offenbar rumort es nicht nur an der CDU-Basis, so berichten es übereinstimmend verschiedene Medien, sondern auch bei dem sonst abschätzig als „Kanzlerwahlverein“ bezeichneten höheren Funktionärskreis der CSU-Schwesterpartei. Viele Abgeordnete teilen die Ansichten Merkels nicht. Auch CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn sowie Wolfgang Bosbach hatten sich mehrfach von Merkels Kurs distanziert. Spahn sagte in der Rheinischen Post: „Wir haben uns schon immer als Volkspartei der Mitte definiert. Wir haben dabei aber auch den gesellschaftspolitischen Auftrag, von rechts in die Mitte hinein zu integrieren.“ Der CDU-Innenpolitiker Bosbach sagte dem Tagesspiegel: „Wir wollen eine Volkspartei der Mitte bleiben.“ Es brauche zwar keinen Rechtsruck, aber eine Linksverschiebung der CDU müsse ebenfalls verhindert werden, um nicht auf der Suche nach neuen Wählern Stammwähler zu verlieren. Es sei falsch zu glauben, dass man sich um wertkonservative Wähler nicht auch bemühen müsse. Bosbach weiter:

Die CDU war immer dann am stärksten, wenn sie sich ihrer drei Flügel bewusst war: dem christlich-sozialen, dem liberalen und dem wertkonservativen.

Wolfgang Bosbach

Der von Haseloff mehrfach gelobte CSU-Chef Horst Seehofer forderte jetzt ein gemeinsames Zukunftsprogramm von CDU und CSU, um ein weiteres Erstarken der Alternative für Deutschland zu verhindern: „Eine vernünftige, gute, dem Lande dienende Zukunftsvision der Union – das ist die richtige Antwort.“ Seehofer bekräftigte auch beispielsweise seine Forderung nach Reformen bei der Rente. Er kenne auch niemanden in der Union, der das Thema ausklammern wolle. Bereits in der kommenden Woche solle es hierzu ein Gespräch von Koalitionsvertretern mit den Sozialpartnern geben.