Bundesregierung lässt Erdogan-Klage zu
Die Klage wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts gegen den Satiriker Jan Böhmermann ist zulässig. Das hat Bundeskanzlerin Merkel bekanntgegeben. Damit ist der Klageweg für den türkischen Präsidenten Erdogan frei. Die Kanzlerin machte deutlich: In der Koalition gab es unterschiedliche Auffassungen, wie mit dem Antrag umzugehen sei - und sie regte die Abschaffung des Paragrafen an.
Fall Jan Böhmermann

Bundesregierung lässt Erdogan-Klage zu

Die Klage wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts gegen den Satiriker Jan Böhmermann ist zulässig. Das hat Bundeskanzlerin Merkel bekanntgegeben. Damit ist der Klageweg für den türkischen Präsidenten Erdogan frei. Die Kanzlerin machte deutlich: In der Koalition gab es unterschiedliche Auffassungen, wie mit dem Antrag umzugehen sei - und sie regte die Abschaffung des Paragrafen an.

Die vom türkischen Präsidenten Recep Tayip Erdogan angestrebte Klage wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts gegen den ZDF-Moderator und Satiriker Jan Böhmermann ist zulässig. Das gab Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Pressestatement bekannt. Zuvor hatte die Große Koalition mehrere Tage teils heftig über die geplante Klage diskutiert – bei dem betreffenden Paragrafen muss nämlich die Bundesregierung ihr Einverständnis geben und die Klage zulassen. Merkel verwies in ihrer Stellungnahme auf „unterschiedliche Auffassungen“ zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD.

Justiz soll das letzte Wort haben – nicht die Regierung

„Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen“, führte die Kanzlerin aus. In Deutschland solle nicht die Regierung, sondern die Justiz „das letzte Wort“ haben. Merkel betonte, im Rechtsstaat bedeute die Erteilung einer Ermächtigung bei diesem speziellen Delikt „weder eine Vorverurteilung des Betroffenen noch eine vorgreifende Entscheidung über Grenzen der Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit“.

Böhmermann hatte Ende März in seiner satirischen TV-Show „Neo Magazin Royale“ auf dem Sender ZDF Neo ein Gedicht vorgetragen, in dem er den türkischen Präsidenten beleidigte. Dies sorgte in der türkischen Regierung für große Empörung. Die Bundesregierung hatte Erdogans Wunsch nach einem gesonderten Strafverfahren tagelang geprüft. An der Entscheidung waren neben Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) auch das Auswärtige Amt sowie das Innen- und das Justizministerium beteiligt.

Merkel regt Abschaffung des Paragrafen an

Grundlage für die Entscheidung ist Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs (StGB). Wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, muss demnach in Deutschland mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug. Merkel kündigte an, dass der Paragraf abgeschafft werden soll. Er sei „für die Zukunft entbehrlich“, sagte die Kanzlerin.

Protest gegen Entscheidung

Viele Kollegen von Böhmermann, aber auch zahlreiche Politiker quer durch die Parteien, hatten sich bereits auf seine Seite gestellt. Kritiker werfen insbesondere Merkel vor, wegen der Zusammenarbeit der EU mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zu viel Rücksicht auf Ankara zu nehmen. Die Kanzlerin kritisierte am Freitag den Umgang Ankaras mit Presse- und Kunstfreiheit.

Das ZDF hat die Zustimmung der Bundesregierung für ein gesondertes Strafverfahren gegen TV-Moderator Jan Böhmermann als „politische Entscheidung“ bewertet. Inhaltlich nahm der Sender keine Stellung dazu und verwies auf das Justizverfahren. „Die Bundesregierung hat nach Paragraf 104a Strafgesetzbuch eine politische Entscheidung getroffen“, teilte das ZDF auf Anfrage der dpa mit. „Voraussetzung einer Strafbarkeit ist aber die Erfüllung des Beleidigungstatbestands. Dazu trifft die Entscheidung der Bundesregierung keinerlei Wertung. Das ist Aufgabe der Justiz.“

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann teilte auf Twitter mit: „Ich halte die Entscheidung für falsch. Strafverfolgung von Satire wegen ‚Majestätsbeleidigung‘ passt nicht in moderne Demokratie.“

Und auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisiert die Entwicklung. „Dieser Entscheidung der Bundeskanzlerin hätte es nicht bedurft, weil der türkische Präsident Erdogan bereits Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft Mainz gestellt hat“, sagt DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall. Er sieht in der Erklärung der Kanzlerin das falsche Signal an die Adresse der türkischen Regierung. Das werde auch nicht dadurch wettgemacht, dass die Kanzlerin die massiven Verstöße gegen die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei angesprochen habe. „Es ist allerdings zu begrüßen, dass die Bundeskanzlerin die Abschaffung des Paragrafen 103 in Aussicht gestellt hat“, sagte Überall. Denn: „Majestätsbeleidigung gehört nicht in den Strafkodex einer Demokratie.“