Auch 2016 wieder mehr als eine Million Asylbewerber? (Bild: Fotolia/Trueffelpix)
Unionstreffen

Massive Differenzen in der Flüchtlingspolitik

Der Dissens in der Union um den Zuzug von Flüchtlingen bleibt bestehen. Auch ein Treffen der Unionsspitze um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer wies kurz vor dem EU-Gipfel mit der Türkei keinen Ausweg. In einem Interview mit der Passauer Neuen Presse präzisierte Seehofer seine Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik noch einmal mit deutlichen Worten.

Dies hatte aber auch niemand ernsthaft erwartet, zu stur zeigte sich Merkel in den letzten Wochen und Monaten. Nach einer fast dreieinhalbstündigen Unterredung im Kanzleramt in Berlin hieß es am frühen Morgen lediglich, es gebe noch viel Arbeit bis zu einer Lösung. Details wurden nicht bekannt. Die Kanzlerin will am Donnerstag und Freitag auf dem EU-Gipfel in Brüssel einen Pakt mit der Türkei erreichen, um die Flüchtlingszahlen zu senken. Seehofer fordert nationale Schritte und eine Obergrenze. Zum Krisengespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel am Vorabend sagte er, die Unterredung zu allen relevanten Themen sei ernsthaft und intensiv gewesen. „Das wird fortgesetzt, wenn die Osterferien vorbei sind.“ Erneut mahnte Seehofer Regeln und Prinzipien zur Steuerung der Zuwanderung an. Die rückläufigen Zahlen verschafften derzeit etwas Luft. Dies gehe aber allein auf das Handeln der Länder entlang der Balkanroute zurück. Seehofer warnte mit Blick auf den EU-Gipfel vor zu großen Zugeständnissen an die Türkei. Mit dieser dürfe man „nicht um jeden Preis“ eine Vereinbarung schließen.

Weitere Themen des Treffens

Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurde bei dem Treffen auch über die Uneinigkeit bei den Reformen der Erbschaftsteuer sowie bei den Werkverträgen gesprochen. Es sei aber eher um den Austausch von Standpunkten als um konkrete Ergebnisse gegangen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will verhindern, dass Firmen Leiharbeit und Werkverträge missbrauchen. Die CSU kritisiert, Nahles schieße zu Lasten der Wirtschaft über das Ziel hinaus. Bei der Reform der Erbschaftsteuer hat Seehofer ein Veto eingelegt (der Bayernkurier berichtete). In einem aktuellen Interview der „Passauer Neuen Presse“ vor dem Treffen bekräftigte er diese Haltung: Nach all der Regulierungs- und Bürokratisierungswut (womit er unausgesprochen wohl die SPD meinte) habe er der Wirtschaft zugesagt, keiner weiteren Maßnahme mehr zuzustimmen, die die Wirtschaft „drangsaliert“.

Harte Kritik

In dem Interview mit der „Passauer Neuen Presse“ sagte Seehofer, es gebe im Verhältnis der beiden Unionsparteien eine sehr belastete Situation, „die ich nicht will, die aber leider Gottes eingetreten ist“. Er warf Merkel in dem PNP-Interview wegen des Festhaltens an ihrem Flüchtlingskurs trotz der jüngsten CDU-Wahlschlappen mangelnden Respekt vor den Wählern vor:

In solchen Situationen ist man gut beraten, den Menschen demütig gegenüber zu treten – statt einen Tag nach so einer Wahlschlappe den Menschen zu erklären: Ihr habt bloß unsere Politik nicht verstanden, deshalb machen wir weiter wie gehabt. Das ist doch keine respektvolle Haltung gegenüber dem Wähler.

Trotz der heftigen Kritik am Kurs der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik erteilte er einer bundesweiten Ausweitung der CSU eine Absage. Es sei weiterhin „richtig, wenn wir uns nicht bundesweit ausdehnen, sondern stattdessen in die CDU hineinwirken“, sagte der bayerische Ministerpräsident. „Das bleibt unsere Strategie. Aber niemand kann Ewigkeitsgarantien abgeben.“ Auf Spekulationen zu dem letzten Satz stellte er später klar: Ziel sei es, die Probleme zwischen CDU und CSU gemeinsam zu lösen. „Wir wollen das gemeinsam mit der Union machen. Was einmal in längerer Zukunft ist, das kann ich nicht sagen, dann werde ich auch mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr Parteivorsitzender sein.“ Niemand könne etwas ausschließen, „was in zehn, 20 oder 30 Jahren ist“.

Gegen Schuldzuweisungen

Zu Vorwürfen, seine Kritik an der Flüchtlingspolitik habe zu Einbußen der CDU und zum Erstarken der AfD bei den jüngsten Landtagswahlen beigetragen, sagte Seehofer: „Wenn Wähler an der Wahlurne die Konsequenzen aus politischen Fehlern ziehen, ist nicht der verantwortlich, der vor den Fehlern gewarnt hat, sondern der, der sie gemacht hat.“ Und der Ministerpräsident weiter:

Ich soll ursächlich sein für das Aufkommen der AfD? Ich soll für die Stimmabgabe im Schwarzwald und in Darmstadt, in Mainz und in Magdeburg verantwortlich sein? Das ist doch einfach Unsinn.

Er habe die CDU sehr früh gewarnt, dass sie ohne Umsteuern in der Flüchtlingspolitik scheitern werde und genau so sei es gekommen. Indes habe es bereits eine Umkehr gegeben, die aber niemand öffentlich zugegeben habe: Die an der mazedonischen Grenze campierenden Flüchtlinge habe Merkel nicht wie einst in Budapest per Zug nach Deutschland schaffen lassen. Als Lösung schlug Seehofer der Weltgemeinschaft auch für künftige Bürgerkriege „beruhigte Zonen“ in den Ländern selbst oder in Nachbarländern vor. So würden die Menschen nicht aus ihrem Kulturkreis herausgerissen und könnten beim Wiederaufbau helfen.

Der CSU und mir persönlich geht es nicht um eine Personaldiskussion. Wir haben eine gute Kanzlerin.

Horst Seehofer, in der PNP

Er stehe auch weiter zu Bundeskanzlerin Merkel, sagte Seehofer. „Der CSU und mir persönlich geht es nicht um eine Personaldiskussion. Wir haben eine gute Kanzlerin.“ Allerdings gebe es im Verhältnis zur Kanzlerin „in einem Punkt eine massive Differenz, die sich auf unsere Forderung nach einer Begrenzung der Zuwanderung bezieht“.

Das kann auf Dauer aber nur funktionieren, wenn die Zahl der Zuwanderer begrenzt wird.

Horst Seehofer

Ganz Bayern sei Vorbild in Sachen Humanität und Mitmenschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen sowie für die Integration derer, die ein Bleiberecht oder eine hohe Bleibeperspektive haben. „Beides kann auf Dauer aber nur funktionieren, wenn die Zahl der Zuwanderer begrenzt wird“, so Seehofer in der PNP. Ausschließlich die Länder auf der Balkanroute, die „nun genau das tun, was wir Bayern seit Monaten von der Bundesregierung fordern“, hätten einen Rückgang der Flüchtlingszahlen bewirkt.

Zweifel an Merkels Verhandlungspartner

Die CSU hat auch weiter große Zweifel am Zustandekommen und der raschen Wirkung eines in Brüssel angestrebten EU-Türkei-Abkommens zur Lösung der Flüchtlingskrise. Man dürfe und wolle auch nicht in Abhängigkeit der Türkei geraten und lehne sowohl die Vollmitgliedschaft des Landes in der EU als auch eine volle Visafreiheit für Türken ab, so Seehofer in der PNP. Allenfalls für die Wirtschaft könne es Visafreiheit geben. Und schließlich müsse Merkel in der Türkei auf die Einhaltung der Menschenrechte drängen.

Unter anderem bleibt bisher auch offen, wie die geplanten Flüchtlingskontingente innerhalb der EU verteilt werden könnten, die der Türkei abgenommen werden sollen, bestätigte auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer eine weitere Äußerung Seehofers. Zeige sich, dass lediglich ein Deutschland-Türkei-Pakt herauskomme, werde dies die Probleme nur verstärken. Scheuer bezweifelte auch, dass die Verhandlungen über Visaerleichterungen wie geplant bis zum Sommer abgeschlossen werden könnten.