Österreich schafft Fakten auf der Balkanroute
Die Regierung in Wien provoziert Ärger mit der deutschen Bundesregierung. Nur noch 80 Flüchtlinge pro Tag will das Nachbarland aufnehmen und 3200 direkt nach Deutschland weiterschicken. Kanzleramtsminister Peter Altmaier befürchtet eine Kettenreaktion mit Grenzschließungen auf dem gesamten Balkan. Aber längst hat Mazedonien damit begonnen – Österreich bietet dafür sogar militärische Hilfe an.
Flüchtlingskrise

Österreich schafft Fakten auf der Balkanroute

Die Regierung in Wien provoziert Ärger mit der deutschen Bundesregierung. Nur noch 80 Flüchtlinge pro Tag will das Nachbarland aufnehmen und 3200 direkt nach Deutschland weiterschicken. Kanzleramtsminister Peter Altmaier befürchtet eine Kettenreaktion mit Grenzschließungen auf dem gesamten Balkan. Aber längst hat Mazedonien damit begonnen – Österreich bietet dafür sogar militärische Hilfe an.

Die Beamten der Bundespolizei in Passau blicken verwundert über die Grenze in Richtung Österreich. Gerade mal fünf Flüchtlinge – in Ziffern: 5! – haben ihnen die Kollegen am heutigen Mittwoch von dort per Bus herübergeschickt. So wenige kamen schon lange nicht mehr an einem Tag. Nach Angaben der Bundespolizei in München wurden am Dienstag nur 50 Menschen an der Grenze gezählt. Für die Mitarbeiter in der so genannten „Registrierungslinie“ in einem Passauer Gewerbegebiet bedeutet das erst mal ein wenig Entspannung in der sonst so aufgeregten Arbeit. Oft müssen sie die Warteschlangen teils mit Absperrgittern trennen, damit kein Durcheinander ausbricht.

Erfahrungsgemäß ist das hier ein ständiges Auf und Ab der Zahlen.

André Leistner, Bundespolizei-Sprecher

Der Mittwoch ist aber nur ein Tag vorübergehender Ruhe. „Erfahrungsgemäß ist das hier ein ständiges Auf und Ab der Zahlen“, erklärt Bundespolizei-Sprecher André Leistner. Für Donnerstag hat die österreichische Grenzgendarmerie wieder 550 Migranten angekündigt. So laufe das seit Monaten: Mit etwa zehn Stunden Zeitvorsprung kriegt die deutsche Bundespolizei die Zahl der Neuankömmlinge durchgesagt – am frühen Nachmittag kommen sie dann. Normalerweise derzeit zwischen 500 und 1000 pro Tag.

Dafür spricht auch: In der griechischen Hafenstadt Piräus sind am Mittwochmorgen 1700 Migranten angekommen. Damit sei die Zahl der in den vergangenen drei Tagen per Fähre eingetroffenen Flüchtlinge und Migranten auf 9000 gestiegen, teilte die Hafenverwaltung mit.

Streit wegen einer möglichen Kettenreaktion

Dieser routinierte Grenzverkehr von Süden nach Norden an den deutsch-österreichischen Übergängen bekommt mittlerweile jedoch aufgeregte Nebengeräusche, seit die Regierung in Wien beschlossen hat, nur mehr ein Kontingent von 80 Asylsuchenden pro Tag aufzunehmen. Rund 3200 will sie jedoch jeden Tag nach Deutschland weiterziehen lassen. Die Folge des Beschlusses: Zunächst ein erregter Schlagabtausch mit der Bundesregierung in Berlin. Von diesem Tageskontingent gehe das „falsche Signal“ aus, beschied Innenminister Thomas De Maizière (CDU). Die Zahl von 3200, das sei „viel zu hoch“. Auch der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäische Parlament, der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber, hatte beim Bezirksparteitag der CSU Niederbayern in Landshut vor kurzem kritisiert: „Respekt für die Einsetzung einer Obergrenze. Aber das Durchwinken von Flüchtlingen nach Deutschland geht nicht!“

Bis Österreich kann man leider nur in die Luft schauen und ab Österreich will man uns einen Ratschlag erteilen – auf diese Art Ratschlag können wir verzichten.

Werner Faymann, Österreichischer Bundeskanzler

Österreichs Kanzler Werner Faymann (SPÖ) erwiderte, das deutsche Krisenmanagement mit bislang ergebnislosen Türkei-Verhandlungen erschließe sich ihm nicht: „Bis Österreich kann man leider nur in die Luft schauen und ab Österreich will man uns einen Ratschlag erteilen – auf diese Art Ratschlag können wir verzichten.“ Die deutsche Regierung möge bitteschön selbst eine ihr genehme Zahl von aufnehmbaren Flüchtlingen nennen. „Da hat Deutschland zu entscheiden, welche Zahl gilt.“ Das ist indirekt eine Ohrfeige für die „Wir schaffen das“-Politik von Kanzlerin Angela Merkel und ihre Ablehnung einer Obergrenze – wie sie die CSU seit Monaten fordert. Seltsam ist nur: Während Deutschland alle Flüchtlinge zurückweist, die ein anderes Zielland als Deutschland angeben, lässt Österreich alle Flüchtlinge mit einem anderen Zielland als Österreich (meist Deutschland) durchreisen. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz sagte gegenüber der „Bild„-Zeitung, dass er erwarte, dass „Deutschland sagt, ob es noch bereit ist, Flüchtlinge aufzunehmen und wie viele – oder ob es nicht mehr dazu bereit ist“. Österreich hatte letztes Jahr pro Kopf doppelt so viele Asylanträge wie Deutschland, so Kurz.

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), der für Kanzlerin Merkel die Flüchtlingspolitik koordiniert, warnt inzwischen vor Österreichs Kurs. Der Plan könnte eine Kettenreaktion von Grenzschließungen auf der so genannten Balkanroute auslösen. Wenn ein Land nur noch festgelegte Kontingente aufnehme, führe das bei anderen weiter südlich zur Sorge, dass viele Flüchtlinge dort stranden.

Österreich ist für verstärkte Grenzkontrollen entlang der Balkanroute und bietet Mazedonien auch Unterstützung mit Soldaten an.

Peter Doskozil, Österreichischer Verteidigungsminister

Diese Sorge verwandelt sich freilich längst in eine Tatsache. Seit Mazedonien seine Grenze zu Griechenland geschlossen hat, sitzen dort Tausende fest. Die Athener Regierung transportiert viele davon nun aufgeregt in ein Lager nach Thessaloniki. Die österreichische Regierung veranstaltete derweil in Wien ein Treffen von 18 Innen- und Außenministern aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Serbien und Slowenien, um das künftige Grenzmanagement, die Kooperation mit Drittstaaten und den Kampf gegen Schleuserbanden zu diskutieren. „Österreich ist für verstärkte Grenzkontrollen entlang der Balkanroute und bietet Mazedonien auch Unterstützung mit Soldaten an“, kündigte Verteidigungsminister Peter Doskozil (SPÖ) vor dem Treffen an. Das Interesse an einer „europäischen Lösung“ sei zwar weiterhin vorhanden, so Doskozil. Aber solange es weder funktionierende Registrierungen in Griechenland, eine europaweite Verteilung noch eine Kooperation mit der Türkei gebe, setze sein Land nationale Maßnahmen um.

Die Ergebnisse des Westbalkan-Gipfels

Mit einem gemeinsamen Vorstoß wollen Österreich und die Westbalkan-Staaten die Zahl der Flüchtlinge auf der Balkanroute verringern. Die zehn Teilnehmer-Länder des Treffens in Wien verständigten sich unter anderem darauf, sich durch die Entsendung von Polizisten in besonders betroffene Grenzgebiete zu unterstützen. Außerdem sollen die Kriterien für die Zurückweisung von Flüchtlingen und ihre Registrierung vereinheitlicht werden. Ein „Durchwinken“ der Migranten auf dem schnellstmöglichen Weg nach Mitteleuropa müsse ein Ende haben, sagte Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). Ohne die von allen gewollte gesamteuropäische Lösung müsse mit nationalen und regionalen Maßnahmen Druck gemacht werden, ergänzte die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

Wir wollen eine Kettenreaktion der Vernunft.

Johanna Mikl-Leitner

Die Staaten entlang der Balkanroute wollen in der Flüchtlingskrise noch enger zusammenarbeiten, um die Zahl der Migranten zu senken. Das Motto ist: Hohe Hürden statt schneller Weitertransport Richtung Norden. Die Folgen bekäme Griechenland zu spüren, das aus Sicht der Staaten an der Balkanroute seine Aufgaben bei der Kontrolle der EU-Außengrenze nicht wahrnimmt. Die Staaten entlang der Flüchtlingsroute vertrauen auch nicht allein auf die angestrebte Kooperation mit der Türkei. Sie wollen mit Nadelstichen den über Monate so attraktiven schnellen Transport nach Österreich, Deutschland oder Schweden erschweren. Es könnte bei Erreichen der angekündigten Obergrenze von 37.500 Asylbewerbern in Österreich zu einem Rückstau auf der gesamten Route kommen, dies wollen die Staaten verhindern. Sie gehen generell viel kritischer als Deutschland mit den Flüchtlingen um: Auch bei Kriegsflüchtlingen handele es sich im Grunde um Wirtschaftsflüchtlinge, meint der österreichische Außenminister Kurz. Ginge es nur um Schutz, könnten die Menschen auch sicher in Griechenland, Mazedonien oder Serbien leben.

Das Recht auf Asyl beinhaltet nicht das Recht, sich das Land auszusuchen.

Deklaration von Wien

Der ungarische Regierungschef Viktor Orban kündigte unterdessen an, die Bürger seines Landes über die von der EU beschlossenen Quoten zur Umverteilung von Flüchtlingen abstimmen zu lassen.

Weitere Probleme in der Ägäis

Eine tragfähige Vereinbarung mit der Türkei steht vor weiteren Schwierigkeiten, seit klar ist, dass der Nato-Einsatz gegen Schlepper in der Ägäis keineswegs reibungslos verläuft. Mitte Februar hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei einem Treffen ihrer Nato-Dienstkollegen ausgehandelt, dass Nato-Schiffe in den Grenzgewässern zwischen Griechenland und der Türkei kreuzen. Aus der Türkei kommende Flüchtlinge, welche die Besatzungen im Mittelmeer auffischen, sollten sie dorthin zurückbringen. Doch diesen Teil des Deals stellte der türkische Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus mittlerweile in Frage. Der Punkt werde seines Wissens noch verhandelt, sagte er am Dienstag in Ankara. Zwischen Griechenland und der Türkei fliegen ohnehin wechselseitige Schuldzuweisungen hin und her. So behauptet die griechische Küstenwache, dass sich ihre türkischen Gegenüber teilweise nicht mal mehr per Funk melden, wenn sie ihnen die Rückführung von Flüchtlingen ankündigen wolle, die sie in türkischen Gewässern aufgelesen habe.