Ein Diktator führt Krieg: Recep Erdogan, hier auf einem Plakat von kurdischen Demonstranten in London. (Bild: imago images / Zuma/Keith Mayhew)
Nordsyrien

Der Westen steht als Verlierer da

Kommentar Der türkische Präsident Recep Erdogan führt einen Angriffskrieg gegen die Kurden im Norden Syriens. Der Feldzug dient allein seinem eigenen politischen Überleben. Der Westen schaut zu und muss sich sogar noch verhöhnen lassen.

Der türkische Diktator Recep Erdogan weiß: Verliert er seine Macht, könnte er schnell vor einem Gericht landen, wegen Korruption, Rechtsbeugung, rechtswidriger Inhaftierung von Andersdenkenden und vielem mehr.

Erdogan hat darum mehrere Gründe für seinen Angriffskrieg gegen die Kurden, alle sind innenpolitischer Natur, auch wenn er seine imperialen großtürkischen Träume wohl noch nicht ganz begraben hat.

Türkei im Niedergang

Erstens dreht sich in der Türkei seit einigen Monaten die Stimmung gegen die rund 3,5 Millionen syrischen Flüchtlinge im Land. Sie werden immer stärker als Konkurrenten um Arbeitsplätze und Wohnungen wahrgenommen. In Zeiten des wirtschaftlichen Niederganges, explodierender Inflationsraten, blühendem Schwarzmarkt, steigenden Lebenshaltungskosten und wachsender Massenarbeitslosigkeit umso mehr. Erdogan hat das registriert und hofft nun, die syrischen Flüchtlingslager in seine sogenannte „Schutzzone“ auslagern zu können. Damit hätte er das Problem aus der Türkei verbannt.

Zweitens ist er innenpolitisch schwer angeschlagen, nicht erst seit den kommunalpolitischen Niederlagen etwa in Istanbul, Izmir, Adana und Ankara. Seine Herrschaft und die seiner Partei AKP fußt – ähnlich wie die von Wladimir Putin in Russland – auf einer kleinen Clique von Günstlingen, die sich nach Herzenslust und hemmungslos bereichern dürfen. Korruption und Vetternwirtschaft sind in der Türkei derart allgegenwärtig geworden, dass selbst hartgesottene Erdoganisten mittlerweile hinter verschlossenen Türen unverhohlen über diese Mafia schimpfen. Zwei ehemalige Weggefährten, Ali Babacan und Ahmet Davutoglu, planen, zwei neue Parteien zu gründen, die der AKP weitere Wähler abwerben könnten.

Druck auf die Opposition

Drittens hat der Krieg die im Aufwind befindliche und zuletzt vereint agierende Opposition geteilt. Alle Parteien bis auf die prokurdische HDP haben sich hinter Erdogans Krieg in Nordsyrien gestellt, von den säkularen Sozialdemokraten der CHP über die rechtsextreme MHP bis zur nationalistischen IYI. Damit werden künftige AKP-Wahlniederlagen unwahrscheinlicher.

Viertens sind da immer noch die eingesperrten oder in vielfältiger Art und Weise gegängelten Oppositionellen, Kritiker und Journalisten und ihre Angehörigen. Die Siege der Opposition gaben ihnen Hoffnung auf ein Ende der staatlichen Unterdrückung durch den AKP-Machtapparat. Ihnen erteilt der türkische Diktator nun eine Warnung: Niemand ist vor mir sicher, immer noch.

Erneut rollt eine Verhaftungswelle über das Land, jeder, der von „Krieg“ oder „Invasion“ spricht, wird als „Verräter“ eingesperrt. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf türkische Sicherheitskreise berichtete, wurden seit dem Einrücken in Nordsyrien 186 Menschen festgenommen, die sich im Internet kritisch über den Kampf gegen die Kurden geäußert hatten. Einigen werde „Terrorpropaganda“ vorgeworfen. 118 sind zwar wieder auf freiem Fuß. Aber das Klima der Angst, dass sich nach den Kommunalwahlniederlagen der AKP gelöst hatte, kehrt zurück.

Der Hass auf die Kurden eint das Land

So kommt der Krieg gegen die bei sehr vielen Türken verhassten Kurden als letzter Rettungsanker Erdogans gerade recht und dient zugleich als Ablenkung vom wirtschaftlichen Abschwung des Landes. Krieg gegen Kurden hat das Land immer geeint, das zeigen jetzt beispielsweise auch salutierende türkische Fußballer. Die Türkei werde sich nicht mit Terroristen an einen Tisch setzen, betonte Erdogan jetzt in Bezug auf Verhandlungen mit der Kurden-Miliz YPG.

Europa ist hilflos

Europa schaut zu, wie Erdogan genau die Menschen angreift, die als Einzige den IS wirkungsvoll bekämpften und damit weitere Flüchtlingswellen und weitere Anschläge aus einem islamistischen Terrorzentrum direkt vor der europäischen Haustür verhindert haben. Ankara ist Mitglied der Zollunion und kann zollfrei in die EU exportieren. Natürlich könnte Europa hier mit einer Blockade massiven wirtschaftlichen Schaden in der Türkei verursachen. Aber die Europäer werden es nicht tun, trotz der nun drohenden neuen Flüchtlingswelle aus Nordsyrien und massiver Menschenrechtsverletzungen im Kriegsgebiet.

Der Grund ist natürlich das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Und Erdogan weiß das, verspottet den deutschen Außenminister Heiko Maas. „Ganz einfach, wenn ihr versucht, unsere Operation als Invasion hinzustellen, öffnen wir die Grenzen und schicken die 3,6 Millionen Flüchtlinge zu euch“, drohte der Diktator unverhohlen. Es rächt sich wieder einmal, dass Europa bei seiner derzeit wichtigsten Aufgabe weiter versagt: Die Außengrenzen selbst zu schützen. „Nicht Erdogan darf bestimmen, wer nach Europa kommt – das muss Europa schon selbst tun“, fordert Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament. Ein frommer Wunsch.

Der türkische Diktator wird am Ende zwar dennoch verlieren, denn schon rücken die von Russland hochgerüsteten Assad-Truppen in das Kurdengebiet ein. Die Kurden haben sie selbst gerufen, weil Amerika und Europa sie im Stich gelassen haben. Ob Erdogan das innenpolitisch schaden wird, bleibt aber abzuwarten. Auch der Westen steht dann in jedem Fall als Verlierer da, der einerseits seine Verbündeten geopfert hat und andererseits von einem Despoten erpressbar ist.