Hat den Kurs der EU bei der Migrationspolitik neu justiert: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz mit der britischen Premierministerin Theresa May in Salzburg. (Bild: Imago/Eibner Europa)
EU-Gipfel

Kurs auf sichere Außengrenzen

Beim EU-Gipfel in Salzburg deutet sich ein Kurswechsel in der Migrationspolitik an. Statt Staaten zu zwingen, Asylbewerber aufzunehmen, sollen unwillige Länder andere Beiträge leisten können. Die Sicherung der EU-Außengrenzen unterstützen aber alle.

Der Migrationsstreit ist eines der beherrschenden Themen bei dem zweitägigen informellen EU-Gipfel in Salzburg. Ende Juni hatten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Kollegen unter anderem beschlossen, dass Sammelzentren für aus Seenot gerettete Migranten in nordafrikanischen Staaten geprüft werden sollten. Bisher hat sich jedoch kein afrikanisches Land bereit erklärt, ein solches Zentrum einzurichten. Nun ist Ägypten zu Beratungen mit der EU über eine „vertiefte Zusammenarbeit“ bei den Themen Migration und Wirtschaft bereit. Dies sagte ein EU-Diplomat am frühen Donnerstagmorgen nach fünfstündigen Beratungen beim EU-Gipfel in Salzburg.

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, und EU-Ratspräsident Donald Tusk hatten den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi am Wochenende in Kairo besucht. Kurz sprach am Mittwoch von „guten Gesprächen“. Die Beratungen mit der Regierung in Kairo über eine vertiefte Zusammenarbeit stünden allerdings noch ganz am Anfang, hieß es am Donnerstag einschränkend aus EU-Kreisen. Die 28 EU-Staaten unterstützten beim EU-Gipfel auch Tusks Vorschlag eines gemeinsamen Sondergipfels mit der Arabischen Liga im Februar kommenden Jahres in Ägypten. Auch mit anderen Staaten in Nordafrika solle die Zusammenarbeit vertieft werden, etwa mit Tunesien, Marokko und Libyen. Kanzler Kurz machte deutlich, dass es dabei auch um die Möglichkeit gehe, Bootsflüchtlinge statt nach Europa nach Nordafrika zurückzubringen. Damit „lösen wir die Migrationsproblematik an der Außengrenze“, sagte Kurz.

Juncker unzufrieden

Ungeachtet dessen zeigte sich EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker unzufrieden mit den Beratungen. Auch nach den Gesprächen am Mittwoch konnte er kaum Fortschritte beim Streitthema vermelden, ob und wie im Mittelmeer gerettete Migranten in der EU aufgenommen und verteilt werden sollen. Er sagte der Deutschen Presse-Agentur, in dieser Frage habe es nicht genügend Kompromissbereitschaft der 28 EU-Staaten gegeben. Am Donnerstag solle weiter darüber beraten werden.

Österreichs Kanzler Kurz betonte, es sei ja schon viel erreicht worden. Seine Vorschläge einer stärkeren Außengrenzensicherung und eines Kampfs gegen illegale Schlepper, die vor drei Jahren noch als rechts oder rechtsradikal abgestempelt worden seien, würden inzwischen in der EU umgesetzt. Zum geplanten Ausbau der EU-Grenzschutzagentur Frontex sagte Kurz, die Umsetzung werde wesentlich von der Definition des Mandats der Agentur abhängen. Einige Staaten wie Spanien, Italien und Griechenland sowie teilweise Ungarn hatten sich zuletzt besorgt gezeigt, womöglich die Hoheit über Einsatzkräfte auf eigenem Staatsgebiet zu verlieren. Die EU-Kommission hatte vergangene Woche vorgeschlagen, Frontex bis 2020 auf 10.000 Einsatzkräfte auszubauen und das Mandat deutlich auszuweiten.

Kurswechsel auch bei der Verteilung?

Zuvor hatte Juncker einen Kurswechsel im Dauerstreit um die Flüchtlingspolitik angedeutet. Vor Beginn des EU-Gipfels rückte er von der Haltung ab, dass alle Mitgliedstaaten zumindest einige Menschen aufnehmen müssten. Stattdessen forderte er von Ländern, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, andere Beiträge zur Migrationspolitik: „Die einen nehmen Flüchtlinge auf. Die, die das nicht wollen, nicht können – obwohl sie es müssen -, die müssen sich in Sachen Solidarität bewegen.“ Damit kommt er den östlichen EU-Staaten entgegen, die seit Jahren „flexible Solidarität“ fordern – also etwa finanzielle Beiträge statt der Aufnahme von Flüchtlingen.

Auf die Frage, ob jene Staaten, die sich bisher weigerten, Flüchtlinge aufzunehmen, stattdessen mehr finanzielle Beiträge leisten könnten, antwortete Österreichs Kanzler Kurz laut Wiener Zeitung ausweichend. Er habe den Eindruck, dass mehr und mehr von seinen Kollegen bewusst geworden sei, dass die Migrationsfrage nicht über Verteilung, sondern an der Außengrenze und durch Kooperation mit Transitländern gelöst werden müsse. Menschen müssten daran gehindert werden, in die Boote zu steigen, und dürften nicht automatisch nach Europa gebracht werden. Das Schlepperunwesen sei „ein grausames Geschäft auf Kosten der Ärmsten der Armen“. Die Ankünfte seien aber deutlich zurückgegangen, auch die Zahl der Toten, „die Richtung stimmt“, bilanzierte Kurz.

Der Brexit hat sich festgefahren

Unverändert festgefahren sind die Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens. Hier beharren sowohl Großbritannien als auch die EU auf der Forderung, die jeweils andere Seite müsse sich bewegen. Nur bei der Streitfrage, wie eine harte Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und Nordirland vermieden werden kann, hatte die EU zuletzt Nachbesserungen angekündigt.

Kanzlerin Merkel warb für einen Brexit „in guter Atmosphäre“ und in „großem Respekt vor einander“. In einigen Punkten sei eine gute Zusammenarbeit möglich, etwa bei der inneren und äußeren Sicherheit. Ähnlich hatte sich zuvor auch Tusk geäußert. Allerdings stellte er auch klar, dass die britischen Vorschläge für eine künftige Wirtschafts- und Zollpartnerschaft mit der EU nicht akzeptabel seien. Diese müssten überarbeitet werden, forderte Tusk.

Darauf gab die britische Premierministerin Theresa May sofort Kontra. Ihre Brexit-Vorschläge seien „der einzige glaubwürdige und verhandelbare Plan auf dem Tisch, der eine harte Grenze in Nordirland vermeidet und auch dem Willen des britischen Volks entspricht“, so May in Salzburg. Großbritannien habe seine Position weiterentwickelt, nun müsse die EU dies auch tun.

Inzwischen wird die Zeit für die Brexit-Verhandlungen extrem knapp: Eigentlich sollte bis Mitte Oktober ein Vertrag stehen, der den für 2019 geplanten Austritt regelt und einen chaotischen Bruch vermeidet. Tusk will einen Brexit-Sondergipfel Mitte November einberufen. Damit hätten die Unterhändler rund vier Wochen länger Zeit, um einen ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU zu vermeiden.

(dpa/BK)