Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. (Bild: Imago/Xinhua)
Türkei

Erdogan bedroht Europa

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat die Europäer erneut angegriffen. "Wenn ihr euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer, kein einziger Westler auch nur irgendwo auf der Welt sicher und beruhigt einen Schritt auf die Straße setzen können", drohte er.

Ausgerechnet Erdogan, der die Türkei in eine Diktatur verwandelt hat, rief die europäischen Länder dazu auf, „Demokratie, Menschenrechte und Freiheiten zu respektieren“. Und weiter: „Wenn ihr euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer, kein einziger Westler auch nur irgendwo auf der Welt sicher und beruhigt einen Schritt auf die Straße setzen können“, so seine unverhohlene Drohung. „Wenn ihr diesen gefährlichen Weg beschreitet, werdet ihr selbst den größten Schaden davon nehmen.“ Was er konkret damit meinte, sagte der Autokrat nicht, aber damit dürfte er in jedem Fall auch noch den letzten Touristen aus seinem Land verscheucht haben. Erst am Vortag hatte Erdogan die EU als „faschistisch“ und „grausam“ bezeichnet, als ein „Türken- und islamfeindliches“ Europa. Die Lage in Europa erinnere ihn an die Situation vor dem Zweiten Weltkrieg.

Wenn ihr euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer, kein einziger Westler auch nur irgendwo auf der Welt sicher und beruhigt einen Schritt auf die Straße setzen können.

Recep Tayyip Erdogan

Erdogan übte zudem erneut Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel, sparte sich diesmal aber den Nazi-Vorwurf. Er warf Merkel ein weiteres Mal vor, sich im Streit um Auftrittsverbote türkischer Minister in Rotterdam an die Seite der Niederlande gestellt zu haben. „Du bist also auf der Seite Hollands? Gut. Und ich bin auf der Seite meines Volkes und des Rechts. So werden wir auch weitermachen.“

Erdogan setzt Justiz unter Druck

Mit Blick auf den seit Wochen inhaftierten deutschen Journalisten Deniz Yücel sagte Erdogan: „Niemals werden wir Zugeständnisse vor jenen machen, die sich Medienvertreter nennen, aber Aktivismus für Terrororganisationen betreiben oder für ausländische Dienste spionieren.“ Dem Welt-Korrespondenten mit türkischem Pass wird Unterstützung der kurdischen Terrororganisation PKK sowie der Gülen-Bewegung vorgehalten, die für den angeblichen Putsch in der Türkei verantwortlich sein soll. Erdogan wies bei seiner Ansprache vor Verlegern Kritik aus dem Westen an Inhaftierungen von Journalisten in seinem Land zurück. Auf einer Liste „vom Ausland“ seien in diesem Zusammenhang 149 Inhaftierte genannt worden. Die meisten davon säßen aber wegen Terrorismusvorwürfen im Gefängnis, andere würden krimineller Taten beschuldigt. „Das einzige, was nicht auf der Liste steht, sind Journalisten“, sagte Erdogan. „Unter ihnen ist alles vertreten, vom Mörder bis zum Räuber, vom Kinderschänder bis zum Betrüger.“

Wenn Sie langjährige Journalisten Terroristen nennen, müssen Sie das beweisen.

Baris Yarkadas, CHP, Oppositioneller

Der Abgeordnete Baris Yarkadas von der größten Oppositionspartei CHP kritisierte, Erdogan übe mit solchen Äußerungen Druck auf die Justiz aus. „Wenn Sie langjährige Journalisten Terroristen nennen, müssen Sie das beweisen“, teilte Yarkadas mit Blick auf Erdogan mit. „Der Staat ist in Ihrer Hand, die Polizei, die Staatsanwälte und Richter stehen zu Ihren Diensten! Sie müssen Beweise für die Straftaten vorlegen, die unsere Journalisten-Freunde begangen haben sollen.“

Ahnungslos und primitiv

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte unterdessen an die Adresse Erdogans: „Respektieren Sie den Rechtsstaat und die Freiheit von Medien und Journalisten. Und geben Sie Deniz Yücel frei.“ Steinmeier wies am Mittwoch in Berlin auch die Nazi-Vergleiche Erdogans scharf zurück. Er mahnte Erdogan, die Türkei solle nicht das Band zu denen zerschneiden, die Partnerschaft wollten.

Erdogans absurde Entgleisungen sind nicht nur persönlich ehrverletzend. Sie sind eine Beleidigung für unser Land und seine Repräsentanten.

Charlotte Knobloch

Die Holocaust-Zeitzeugin Charlotte Knobloch warf dem türkischen Präsidenten wegen der Vergleiche mit dem Nationalsozialismus historische Ahnungslosigkeit vor. Die Vergleiche zeugten von ungeahnter Ungebildetheit und Primitivität. „Es handelt sich um unerträgliche Relativierung der NS-Verbrechen und der singulären und präzedenzlosen Unmenschlichkeit der Nazis“, sagte die Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde München und Oberbayern am Mittwoch. Die 84-Jährige kritisierte auch die Verbalattacken gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Diese sei eine zutiefst integre freiheitliche Demokratin. „Erdogans absurde Entgleisungen sind nicht nur persönlich ehrverletzend. Sie sind eine Beleidigung für unser Land und seine Repräsentanten.“ Zum Glück blieben Deutschland bis auf weiteres „diese bizarren und befremdlichen türkischen Wahlkampfauftritte erspart, auf denen für das endgültige Aus der ohnehin kaum noch real existierenden Demokratie in der Türkei geworben wird.“

Auch Israel nahm Deutschland in Schutz. Die Nazi-Vorwürfe gegen die Bundesrepublik seien „völlig deplatziert“, hieß es aus dem Außenministerium in Jerusalem. „Israel ist gegen alles, was das Gedenken an den Holocaust schmälern oder ihn banalisieren könnte.“

Erdogan im Größenwahn?

Erdogan, so scheint es, will sich mit dem gesamten Westen anlegen: Das türkische Außenministerium hat jetzt den norwegischen Botschafter in Ankara, Vegard Ellefsen, einbestellt. Hintergrund sind Medienberichte, wonach Norwegen Asylgesuchen eines früheren türkischen Militärattachés und von vier Nato-Offizieren stattgegeben habe, wie das türkische Außenministerium am Mittwochabend mitteilte. Die Regierung in Ankara hatte im Ausland eingesetzte Beamte nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 zurückbeordert. Die Zahl derjenigen, die der Anordnung nicht Folge leisteten, ist nicht bekannt. In Deutschland lagen im vergangenen Monat 136 Asylanträge von türkischen Diplomaten und deren Angehörigen vor.

Abstimmung über das Ende der Demokratie

Am 16. April entscheiden die Türken in einem Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems, das das Parlament beinahe völlig entmachten würde. Am Dienstag war bekanntgeworden, dass die AKP-nahe Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) keine weiteren Veranstaltungen mit türkischen Regierungsvertretern in Deutschland organisiert, um für das Referendum zu werben. In einigen Ländern wurden diese Auftritte ohnehin untersagt.

Auch FDP für Ende der EU-Beitrittsgespräche

Nach der CSU sprach sich nun auch FDP-Chef Christian Lindner für ein Ende der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei aus. „Die Türkei ist nicht beitrittsfähig, die EU ist nicht aufnahmebereit“, sagte Lindner Spiegel Online. „Deshalb müssen diese zombiehaften Gespräche jetzt beendet werden.“ Die Türkei könne und wolle nicht EU-Mitglied werden. „Es gibt ja eine Zollunion – die können wir ausbauen, wenn sich die Türkei wieder zu einem Rechtsstaat entwickeln sollte.“