Demonstration für Pressefreiheit: Mehrere hundert Menschen beteiligten sich in Berlin an einem Autokorso für Deniz Yücel und andere in der Türkei verhaftete Journalisten. (Bild: Imago/Christian Mang)
Absage

Diktatoren unerwünscht

Nach dem Streit um die Inhaftierung des Welt-Korrespondeten Deniz Yücel in der Türkei wird dem Wahlkampf türkischer Minister in Deutschland nun ein Stoppsignal gesetzt. Die baden-württembergische Stadt Gaggenau untersagte eine Veranstaltung mit dem türkischen Justizminister Bekir Bozdag in ihrer Festhalle aus Sicherheitsgründen.

In Gaggenau hatte Bozdag am Abend sprechen wollen. „Wir gehen davon aus, dass die Situation zu gefährlich werden könnte“, sagte Bürgermeister Michael Pfeiffer (parteilos) zur Begründung für die Entscheidung der Kommune. Er sagte, der Schritt der Kommune sei keine politische Entscheidung. Vielmehr sei zu befürchten, dass wegen des umstrittenen Wahlkampfauftritts mehr Menschen in die Stadt kämen als die Kulturhalle mit ihren 500 Plätzen fassen könne. Der Beschluss sei nicht mit höheren politischen Ebenen abgesprochen. „Das ist unsere Entscheidung.“ Pfeiffer betonte, ohne die Bedenken wegen Platznot wäre die Kommune demokratisch genug, die Veranstaltung zu erlauben.

Das ist unsere Entscheidung.

Michael Pfeiffer, Bürgermeister von Gaggenau

Der Bürgermeister hat sich nach eigenen Worten getäuscht gefühlt, weil die Organisatoren die Veranstaltung als Vereinstreffen mit 400 Personen deklariert hätten. Die AKP-nahe Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), die die Gründung eines Kreisverbandes zum Anlass für die Einladung Bozdags nehmen wollte, habe gewusst, dass die Veranstaltung politischen Charakter habe und mehr Menschen kommen könnten. „Es wurde zumindest nicht die ganze Wahrheit gesagt.“ Der Veranstalter habe den geplanten Besuch des Ministers erst eingeräumt, als die Stadt ihn mit den entsprechenden Informationen konfrontiert habe.

Proteste aus allen Richtungen

Die Kommune habe Anrufe aus dem In- und Ausland erhalten, die Veranstaltung zu unterbinden. Unklar war, ob die Veranstalter vor Gericht ziehen, um den Beschluss rückgängig zu machen. Nach den Worten Pfeiffers wird mindestens eine Hundertschaft der Polizei eingesetzt, um die Halle zu sichern, falls die Veranstaltung doch stattfinde, oder um den Verkehr wegen erhöhtem Aufkommen umzuleiten. Wie berechtigt die Sorgen um die Sicherheit waren, zeigte die Bombendrohung am Freitag, wegen der das Rathaus in Gaggenau beräumt werden musste.

Wer Wahlkampf für türkische Angelegenheiten machen möchte, möge das bitte in der Türkei tun.

Thomas Strobl, Innenminister Baden-Württemberg

Auch der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) gab der Stadt Rückendeckung: „Wer Wahlkampf für türkische Angelegenheiten machen möchte, möge das bitte in der Türkei tun“, sagte er der Heilbronner Stimme und dem Mannheimer Morgen. „Was überhaupt nicht geht, ist, dass innertürkische Konflikte auf unserem Boden ausgetragen werden – dass die türkische Regierung von Ankara aus einen Spaltpilz in die deutsch-türkische Gemeinde treibt.“

Ein Absegnen seines Präsidialsystems im Referendum wäre der nächste Schritt Richtung Diktatur.

Michael Brand, CDU, zur Abstimmung über Erdogans Politikpläne

Die Türkische Gemeinde kritisierte die Gaggenauer Entscheidung: „Ich halte die Entscheidung für falsch, den Auftritt des türkischen Justizministers so kurzfristig abzusagen“, sagte der Vorsitzende Göky Sofuoglu der Rheinischen Post. Bozdag sagte ein am gleichen Abend geplantes Treffen mit Bundesjustizminister Heiko Maas aus Protest ab. Der türkische Minister wollte bei der Veranstaltung für ein Ja bei der Volksabstimmung über das vom Autokraten Recep Erdogan angestrebte Präsidialsystem werben. Bei dem für den 16. April geplanten Referendum sind auch rund 1,4 Millionen Türken in Deutschland wahlberechtigt. Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Brand (CDU), sieht die Türkei auf dem Weg in eine Diktatur. „Ein Absegnen seines Präsidialsystems im Referendum wäre der nächste Schritt Richtung Diktatur“, sagte Brand der Welt. Bereits jetzt zweifelt Brand die Rechtsstaatlichkeit der Türkei an. Die Unabhängigkeit ihrer Justiz sei „ein Märchen“. Viele Richter seien zu Erfüllungsgehilfen einer Verhaftungsmaschine geworden.

Auch kein Auftritt des Wirtschaftsministers

Die Stadt Köln bestritt zudem, dass ein Auftritt des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci am Sonntag im Bezirksrathaus Köln-Porz vereinbart sei. „Es gibt keinen Mietvertrag für diese Veranstaltung am 5. März und es wird auch keinen geben“, sagte eine Sprecherin der Stadt der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Im August 2016 sei ein Saal des Rathauses Köln-Porz von der UETD für eine Theaterveranstaltung angefragt worden, sagte eine Stadtsprecherin. „Daraufhin haben wir monatelang nichts mehr gehört. Also haben wir das von unserer Agenda gestrichen.“ Erst am Mittwoch habe es erneut eine Anfrage gegeben. Bei der sei erstmalig zur Sprache gekommen, dass es sich um einen Informationsabend mit „derart prominenter Besetzung“ handeln soll, so die Sprecherin. Zeybekci hatte nach der Niederschlagung des Putsches in der Türkei im Juli 2016 für Irritationen gesorgt, als er den Putschisten gedroht hatte: „In 1,5 bis 2 Quadratmeter großen Räumen werden sie wie Kanalratten krepieren.“

Nach Informationen des Kölner Stadt-Anzeigers will Zeybecki nun am Sonntag eine Veranstaltung eines türkischen Kulturvereins in Leverkusen besuchen.

Seehofer kritisiert die Auftritte

CSU-Chef Horst Seehofer hat Wahlkampfauftritte türkischer Minister in Deutschland scharf kritisiert. „Wenn türkische Politiker unsere freiheitliche Grundordnung ausnutzen, um für einen demokratiefeindlichen Staatsumbau in ihrem Land zu werben, missbrauchen sie das Gastrecht“, sagte der bayerische Ministerpräsident der Süddeutschen Zeitung. Bayerns Finanzminister Markus Söder sagte in der Talk-Sendung Maybrit Illner: „Wenn die Türkei so weitermacht, dann ist für mich klar: Ich hielte es für das Beste, wir beenden jetzt das Kapitel Europäische Union. Es hat überhaupt keinen Sinn, weiter auf eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU zu setzen.“ CDU-Vize Armin Laschet sagte der Rheinischen Post, Außenminister Sigmar Gabriel müsse klar machen, dass der türkische Wahlkampf in deutschen Städten zu beenden sei.

Der tat das dann auch: Gabriel verbat sich reine Wahlkampf-Reisen türkischer Minister nach Deutschland. Er erwarte, dass Gäste aus der Türkei „nicht nur zu Wahlkampfveranstaltungen fahren, sondern sich dann auch dem Gespräch beispielsweise mit dem Justizminister oder dem Wirtschaftsminister oder dem Außenminister oder mit wem auch immer stellen“, sagte der Außenminister bei einem Besuch in Kiew. Dies habe das Auswärtige Amt am Donnerstag auch noch einmal dem Botschafter der Türkei gegenüber klargemacht. In Österreich hatte Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) längst laut und unmissverständlich gesagt, dass ein Besuch Erdogans unerwünscht sei.

Spannungen mit der Türkei steigen

Das türkische Außenministerium bestellte nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstagabend den deutschen Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, ein. Der Sprecher des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, Ibrahim Kalin, sprach nach dem Auftrittsverbot für Bozdag von einer „Skandal-Entscheidung“.

Die Spannungen wegen der Inhaftierung des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel in der Türkei gehen weiter. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Vorabend dessen Freilassung gefordert und die Achtung der Pressefreiheit angemahnt. „Unabhängiger Journalismus muss existieren können, Journalisten müssen ihre Arbeit machen können“, sagte Merkel beim Politischen Aschermittwoch der CDU Mecklenburg-Vorpommern in Demmin. Die Bundesregierung werde alles in ihrer Macht stehende tun, um auf eine Freilassung Yücels hinzuwirken.

Obwohl sie mich meiner Freiheit beraubt, bringen mich das Verhör und die Urteilsbegründung noch immer zum Lachen.

Deniz Yücel

Trotz massiven Drucks auf die Türkei gab es aber keinerlei Anzeichen für ein Einlenken Ankaras. Yücel war am Mittwoch in das Gefängnis in Silivri rund 80 Kilometer westlich von Istanbul verlegt. Ihm werden Terrorpropaganda und Volksverhetzung vorgeworfen, ein mittlerweile üblicher Vorwurf gegen Erdogan-kritische Journalisten. Ein Haftrichter in Istanbul hatte am Montag Untersuchungshaft angeordnet. Diese kann bis zu fünf Jahre dauern. In einem Brief aus der Haft, den die Welt veröffentlichte, bedankte sich Yücel bei seinen Unterstützern und offenbarte, dass er seinen Humor noch nicht verloren hat: „Obwohl sie mich meiner Freiheit beraubt, bringen mich das Verhör und die Urteilsbegründung noch immer zum Lachen.“