Europaflaggen vor dem Gebäude der EU-Kommission in Brüssel. (Foto: Winfried Rothermel/Imago)
Europa

Flüchtlinge suchen neue Wege nach Europa

Die EU-Kommission schlägt eine zentrale Asyl-Behörde für Europa vor, statt der nationalen Behörden, die bislang über Asylanträge von Flüchtlingen entscheiden. Der CSU-Europaparlamentarier Ferber lehnt dies ab: "Wir brauchen keine Mammut-Behörde in Brüssel." Österreichs Innenministerin warnt nach der Schließung der Balkan-Route vor neuen Ausweichrouten wie dem Brenner-Pass.

Die EU-Kommission will zur Lösung der Flüchtlingskrise das Asylrecht europaweit weitgehend vereinheitlichen und das Asylsystem reformieren. Die neuen Vorschläge aus Brüssel sehen vor, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) von einer einfachen EU-Agentur zu einer zentralen Entscheidungsbehörde aufzuwerten. „Dies würde einen einzigen und zentralisierten Entscheidungsmechanismus schaffen und würde so die komplette Harmonisierung der Verfahren, aber auch der konsistenten Beurteilung von Schutzbedürfnissen auf EU-Ebene sichern“, zitiert die Welt aus einem Entwurf der Kommission.

Es geht um eine einheitliche europäische Behandlung von Asylanträgen.

Richard Kühnel, Vertreter der EU-Kommission in Deutschland

Hinter der bürokratischen Formulierung scheint die Absicht auf, Asylverfahren aus der Zuständigkeit der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten auf die europäische Ebene zu heben. In ihrem Papier zeigt sich die Kommission unzufrieden mit dem so genannten Dublin-Verfahren, wonach Flüchtlinge in dem Land Asyl beantragen müssen, in dem sie zuerst europäischen Boden betreten: „Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass insbesondere in Situationen des Massenzustroms entlang spezifischer Migrationsrouten das vorhandene System die gesetzliche Verantwortung für die Mehrheit der Asylsuchenden einer begrenzten Zahl von Mitgliedsländern aufbürdet. Das ist eine Situation, die die Möglichkeiten eines jeden betroffenen Staates strapaziert.“ Dies gilt für Länder wie Griechenland oder Italien, die das Dublin-System aufgrund des Flüchtlingsansturms schlicht ignorierten und Hunderttausende über ihr Staatsgebiet nach Norden durchreisen ließen.

Zwei Lösungsvorschläge

Das EU-Papier bringt zwei Varianten zur Lösung des Problems ins Spiele: Entweder einen „korrigierenden Fairness-Mechanismus“, der das Verfahren grundsätzlich beibehält, es aber um einen „Verteilungsschlüssel“ auf andere Staaten ergänzt. Oder als zweite Option nur einen Verteilungsschlüssel, der Flüchtlinge „auf die Mitgliedsländer verteilt, wenn sie irgendwo in der EU einen Antrag stellen“ – also offenbar ohne bindendes Dublin-Verfahren für die Länder ihrer Erst-Einreise.

Führen diese Vorschläge nun zu einer zentralen Asyl-Behörde, die statt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der anderen nationalen Behörden über die Asylanträge der nach Europa gelangten Flüchtlinge entscheiden soll? Der Vertreter der Kommission in Deutschland, Richard Kühnel, bestätigte die Tendenz der Vorschläge mittlerweile. Es gehe um eine „einheitliche europäische Behandlung von Asylanträgen“. Die andere Option sei, weiter „auf Basis des bestehenden Dublin-Systems zu operieren“ – dies sei jedoch die „weniger ambitionierte“ Version. Die EU-Kommission wolle die Vorschläge am Mittwoch beschließen und dann zur Debatte stellen. Es handle sich nicht um einen förmlichen Gesetzesvorschlag, sagt Kühnel, sondern um einen Anstoß für einen Diskussionsprozess in den Mitgliedstaaten, „in welche Richtung die Dublin-Reform gehen soll“.

Ferber gegen „europäische Mammut-Behörde“

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass es richtig wäre, wenn die EU entscheidet, wer in Frankreich, Spanien, Portugal, in Deutschland oder in Polen einen Aufenthalt bekommt.

Markus Ferber, Europa-Parlamentarier

Einer Reform des Dublin-Systems stimmt der CSU-Europarlamentarier Markus Ferber grundsätzlich zu: „Wir können nicht erwarten, dass Griechenland alle Asylverfahren von Flüchtlingen abwickelt, die in Griechenland einen Antrag stellen. Da muss schon eine Lastenteilung erfolgen.“ Eine zentrale Behörde der Europäischen Union dafür lehnt Ferber jedoch ab: „Wenn man den Personalaufwuchs beim Bundesamt für Migration in der letzten Zeit betrachtet und das dann mal 28 (Staaten) nimmt, da kann man sich vorstellen, was das für eine riesenhafte Behörde ergeben würde.“ Für falsch hielte er es, „wenn die EU entscheidet, wer in Frankreich, Spanien, Portugal, in Deutschland oder in Polen einen Aufenthalt bekommt“.

Zahl der in Italien ankommenden Flüchtlinge verdoppelt

Auf dem Mittelmeer verschieben sich derweil die Schwerpunkte. Seit gestern setzen türkische und griechische Behörden den so genannten „Türkei-Deal“ um und schaffen Flüchtlinge über die Ägäis zurück in die Türkei. Ohnehin sind in den letzten beiden März-Wochen wesentlich weniger Migranten in griechischen Gewässern angekommen. Ihre Zahl ging um 63 Prozent zurück. Dafür zeichnet sich die mögliche Verlagerung der Fluchtrouten in Richtung Italien ab. Im selben Zeitraum kamen dort 3888 Flüchtlinge an – etwa doppelt so viele wie noch im Vormonat. Schätzungen zufolge warten entlang der Küste in Libyen mindestens 200.000 Menschen auf gutes Wetter und ruhige See, um zur italienischen Insel Lampedusa übersetzen zu können.

Die französische Zeitung „Figaro“ meldet, dass in Südfrankreich über die Grenze zu Italien ebenfalls die Zahlen der Neuankömmlinge deutlich steigen.

Neue Fluchtroute Brenner-Pass

Weiter nördlich richtet sich die österreichische Grenzpolizei darauf ein, auch den Brenner-Pass für Flüchtlinge zu schließen, damit diese nicht auf diesem Wege die weitgehend geschlossene Balkan-Route umgehen können. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner bestätigte in einem Interview mit dem Münchner Merkur, dass der Brenner gesichert werden soll.

Sie wissen vielleicht, dass wir hier ein Grenzmanagement aufbauen und auch Tageskontingente eingeführt haben. Die halten wir strikt ein.

Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner

Ihrem Land sei es gelungen, „die Westbalkanroute dicht zu machen“, wofür man Dank aus ganz Europa bekommen habe. „Von dieser Initiative profitiert vor allem auch Deutschland“, so die Innenministerin mit einem Seitenhieb auf die deutsche Kanzlerin Merkel. Erst diese Maßnahmen hätten die „Politik des Durchwinkens“ beendet. Und: „Wir haben damit viel Druck erzeugt in Richtung einer Europäischen Lösung. Das hat auch das Abkommen zwischen Europa und der Türkei beschleunigt.“ Sie befürchtet neue Ausweichrouten über Bulgarien und Italien, die man möglichst früh ebenfalls sichern müsse. „Die Flüchtlingskrise ist nicht beendet“, so die Ministerin. „Wir wissen, dass in einigen Tagen das Wetter besser und wärmer wird und dass sich ab dann wieder Hunderttausende auf den Weg machen. In der Türkei warten an der Grenze zu Griechenland etwa 700.000 Menschen, in Istanbul sind 400.000 Menschen Richtung Bulgarien orientiert. Die werden nicht achselzuckend umkehren.“

Deutschland könnte einen Beitrag dazu leisten und die österreichischen Bemühungen am Brenner mit Personal unterstützen.

Alexander Dobrindt, Bundesverkehrsminister

500.000 unregistrierte Flüchtlinge?

Unterdessen hat die „Bild“-Zeitung eine beunruhigende Zahl in Umlauf gebracht: Angeblich 500.000 Flüchtlinge sollen derzeit unregistriert in Deutschland leben – aus Sorge, bei einem Asylantrag möglicherweise abgelehnt zu werden. Dabei beruft sich das Blatt auf Informationen aus dem Bundesinnenministerium. Innenminister Thomas de Maizière bezeichnete die Zahl inzwischen als „absurd“.

(GD/avd)