Entscheidung (mal wieder) vertagt
Der mit Spannung erwartete Gipfel mit der Türkei zur Lösung der Flüchtlingskrise ist ohne wirkliche Ergebnisse zu Ende gegangen. Die Türkei wartet zwar mit neuen Lösungsansätzen auf - allerdings auch mit weiteren Forderungen. Zu diesen gehören auch Fortschritte beim EU-Beitrittsverfahren - die CSU reagiert mit Skepsis. Die Partei kündigt Widerstand bei der Visafreiheit für Türken an.
Bilanz des EU-Gipfels

Entscheidung (mal wieder) vertagt

Der mit Spannung erwartete Gipfel mit der Türkei zur Lösung der Flüchtlingskrise ist ohne wirkliche Ergebnisse zu Ende gegangen. Die Türkei wartet zwar mit neuen Lösungsansätzen auf - allerdings auch mit weiteren Forderungen. Zu diesen gehören auch Fortschritte beim EU-Beitrittsverfahren - die CSU reagiert mit Skepsis. Die Partei kündigt Widerstand bei der Visafreiheit für Türken an.

Das Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs mit der türkischen Regierung, bei dem konkrete gemeinsame Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise besprochen werden sollten, ist am Montagnach nach stundenlangen Verhandlungen ergebnislos beendet worden. Ursprünglich hatten die Befürworter einer europäischen Lösung – allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel – den Brüsseler Gipfel als entscheidendes Treffen bezeichnet, um die Zusammenarbeit mit der Türkei für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen neu zu definieren.

Das Resultat der Marathonsitzung vom Montag ist nicht das, was sich viele erhofft haben – aber es könnte ein Schritt in die richtige Richtung sein. Denn die Türkei hat Vorschläge gemacht, wie sie sich die Zusammenarbeit vorstellt. Allerdings sind die Zugeständnisse – wenig überraschend – mit weiteren Forderungen verbunden.

Türkei stellt weitere Forderungen

Endgültige Beschlüsse sollen jetzt beim kommenden Gipfel Ende nächster Woche gefasst werden. Die Grundlage dafür bietet das Angebot der Türkei. Ankara hat zugesagt, alle Migranten zurückzunehmen, die unerlaubt aus der Türkei auf die griechischen Inseln übersetzen. Die Kosten dafür soll die EU tragen. Außerdem fordert die Türkei eine geordnete Aufnahme von syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge durch die EU-Staaten geben. Für jeden Syrer, der von den griechischen Inseln zurück in die Türkei gebracht wird, soll einer legal in die EU kommen können. Dafür könnte der existierende Rahmen zur Umsiedlung von Flüchtlingen genutzt werden.

Die Türkei stellt für ihre Hilfe allerdings auch Forderungen an die EU. Dazu gehören etwa eine Beschleunigung des Verfahrens zur Aufhebung der Visumpflicht für türkische Staatsbürger, die in die EU reisen wollen. Ziel ist es, dass Türken spätestens von Ende Juni an kein Visum mehr für Reisen in EU-Länder brauchen. Hinzu kommt mehr Tempo bei der Auszahlung der drei Milliarden Euro, die die EU der Türkei bereits im November für die Versorgung von Flüchtlingen zugesagt hat. Die ersten Projekte sollen bis Ende März finanziert werden. Zudem soll die EU über zusätzliche Hilfsgelder entscheiden. Außerdem fordern die Türken noch eine Ausweitung der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

Scheuer: „Türkei hat sich wie auf Bazar verhalten“

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer kritisierte in einer Reaktion besonders das Verhalten der Türkei. Die Verhandlungsposition der EU habe sich „ohne Zweifel in den vergangenen Monaten durch die EU-interne Vielstimmigkeit in der Flüchtlingskrise verschlechtert“, sagte Scheuer der Tageszeitung Die Welt. „Die Türkei hat wie auf dem Bazar neue Forderungen gestellt und den Preis in die Höhe getrieben.“ Klar ist für den Christsozialen: „Die CSU ist gegen einen EU-Beitritt der Türkei und gegen eine vollständige Visafreiheit für alle Türken. Jedem muss klar sein: Auch wenn man ein Ergebnis mit der Türkei erreicht, müssen die Flüchtlingskontingente auf alle Schultern in der EU verteilt werden. Es muss schlussendlich ein Gesamt-EU-Türkei-Abkommen sein und kein Nur-Deutschland-Türkei-Pakt.“

 Wir werden nichts akzeptieren, das nicht eine deutliche Begrenzung der Migration zum Ziel hat.

Marcel Huber

Auch der Fraktionschef der EVP im Europaparlament, Manfred Weber, sieht die neuen Forderungen der Türkei kritisch. „Es stehen drei Milliarden für die Flüchtlingscamps in der Türkei bereit, sie sind aber noch nicht eingesetzt. Bevor immer neue Forderung gestellt werden, sollte erst einmal das Vereinbarte umgesetzt werden“, sagte der CSU-Politiker der Mittelbayerischen Zeitung. Ausschließen will Weber neue Gelder nicht, stellte eine mögliche Zusage unter den Vorbehalt, dass sich die Türkei für eine Begrenzung des Flüchtlingszuzugs nach Europa einsetze. „Ich verstehe, dass sich die türkische Regierung für die enorme Flüchtlingsbelastung längerfristige Planungssicherheit wünscht. Im Europäischen Parlament würden wir uns dafür sicher nicht völlig verschließen, soweit die Flüchtlingszahlen nach Europa deutlich gesunken sind.“

Einer diskutierten Visafreiheit für türkische Bürgerinnen und Bürger in der EU erteilte Bayerns Staatskanzleichef Marcel Huber eine klare Absage. Eine Visafreiheit für die Türkei komme für die bayerische Landesregierung genauso wenig infrage wie eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU, sagte der Huber auf einer Pressekonferenz. Wenn es dazu komme, werde der Freistaat „massiven Widerstand“ leisten. Für eine abschließende Bewertung der beim EU-Gipfel gefassten Pläne sei es noch zu früh, weil es noch keinen einzigen Beschluss gegeben habe. „Wir werden nichts akzeptieren, das nicht eine deutliche Begrenzung der Migration zum Ziel hat“, sagte Huber.

Der Chef der bayerischen Staatskanzlei kritisierte die geplante Regelung, dass die Türkei alle Migranten zurücknimmt, die von ihrem Boden aus illegal in die EU eingereist sind. Syrische Flüchtlinge, die diesen Weg rechtswidrig gewählt haben, sollen ebenfalls dorthin zurückgebracht werden. Im Gegenzug sollen gleichviele Syrer aus den dortigen Flüchtlingslagern von den EU-Staaten übernommen werden. Da andere EU-Staaten nicht zur Aufnahme von mehr Flüchtlingen bereit seien, würden diese Flüchtlinge in Deutschland landen, kritisierte Huber. Damit werde die Migrationsbewegung „in keiner Weise reduziert“.

Seehofer sieht Beratungsbedarf und dankt Balkanstaaten

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sieht nach dem EU-Flüchtlingsgipfel noch viel Beratungsbedarf. „Leistung und Gegenleistung müssen übereinstimmen“, sagte Seehofer. Bayern habe „größte Bedenken“ türkische Zugeständnisse mit einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU und der vollen Visafreiheit für türkische Bürger zu verbinden. „Wir haben auch viele Fragen im Detail.“ Geklärt werden müsse insbesondere, welche Staaten Flüchtlinge aus der Türkei übernehmen, sagte Seehofer.

Ausdrücklich dankte Seehofer den Balkanstaaten. Der Rückgang der Flüchtlingszahlen sei allein auf die Schließung der dortigen Grenzen zurückzuführen, sagte Seehofer bei einer Pressekonferenz mit seinem Amtskollegen aus dem österreichischen Bundesland Tirol, Günther Platter. „Ich bin zu jedem Zeitpunkt für wahrheitsgemäße Darstellungen“, sagte Seehofer. „Das ist der objektive Befund und Politiker sollen sich mit objektiven Befunden beschäftigen.“

Gift für CDU-Wahlkämpfer in den Ländern?

Für die CDU-Wahlkämpfer in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt könnte sich die Vertagung konkreter Beschlüsse negativ auf deren Kampagnen auswirken. Besonders scharf wird der Umstand kritisiert, dass eine Formulierung in der vorab erarbeiteten EU-Erklärung offenbar auf Betreiben Deutschlands entschärft wurde. Ursprünglich hatte es in dem Text geheißen, die Balkanroute nach Mitteleuropa sei offiziell gesperrt. Mehrere Medien berichteten jetzt, dass sich die Bundeskanzlerin explizit dafür eingesetzt hatte, dass dieser Passus umformuliert wurde.

Beobachter gehen davon aus, dass sich das Beharren von CDU-Chefin Angela Merkel auf eine europäische Lösung in Unmut gegenüber ihrer Partei – auch auf Landesebene – entladen wird. Die rechtspopulistische AfD hatte bereits bei den Kommunalwahlen in Hessen zweistellig abgeschnitten – auch zu Lasten der Christdemokraten. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hatte von einer „klassischen Protestwahl“ gesprochen – ein Phänomen, das sich jetzt in drei Bundesländern zu wiederholen droht.

 

(dos/dpa)