21 Flüchtlinge haben bei Kaeser eine Ausbildung begonnen. (Bild: Kaeser Kompressoren/fkn)
Integration

Flüchtlinge werden Kollegen

Für 12.000 Stellen fanden Unternehmer in Bayern keine geeigneten Kandidaten. Auch die Hoffnung Asylbewerber in Ausbildungen zu bringen, erfüllte sich bei vielen nicht. Wie Integration gelingen kann, zeigt ein Besuch der Firma Kaeser Kompressoren.

Funken fliegen, metallischer Lärm füllt die Halle. Ayman Shanana hat sich die Schutzbrille über die Augen gestreift und schweißt. Exakte Schweißnähte auf den Formblechen. Der 23-jährigen Syrer zählt zu den 110 Auszubildenden, die beim Kompressorenhersteller Kaeser in Coburg arbeiten. Vormittags absolvieren sie Praxisunterricht an den Werkbänken, nachmittags sitzen sie im Stockwerk darüber im Unterrichtszimmer und pauken Deutsch. Verwirrend, es geht an diesem Tag um die Vokabel „Schweiß“. Shanana versucht seinen Mitschülern den Begriff „Schweißfuß“ zu erklären. Sein Bruder Ahmad, 21, der neben ihm in der Schulbank sitzt, versteht als Erster, was er meint. Die jungen Schweißer lachen ein bisschen verdruckst.

Flüchtlinge werden KollegenPlay Video
Flüchtlinge werden Kollegen

Die beiden Brüder aus Damaskus haben im September 2016 ihre Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer beim fränkischen Druckluftspezialisten begonnen, mit ihnen 19 weitere Flüchtlinge. Einige von ihnen haben studiert, als Bäcker oder als Elektroniker gearbeitet. 21 von 1,2 Millionen Menschen, die mit der Flüchtlingswelle ins Land kamen. Die Migranten weckten bei Unternehmern hohe Erwartungen. „Wir haben gehofft, mit ihnen den Fachkräftemangel zu mildern“, sagt Ausbildungsleiter Rüdiger Hopf. Doch bald sei ihnen klar geworden, dass daraus so schnell nichts werden würde. Integration in den Arbeitsmarkt ist ein langer Weg.

Integrationsprojekte für den Arbeitsmarkt

Aber die Zeit drängt. Rund 400.000 Flüchtlinge beziehen laut Statistik Hartz IV. Von denen, die 2015 ins Land kamen, haben nur zehn Prozent einen Job gefunden. Gleichzeitig können immer weniger Lehrstellen besetzt werden. In Bayern fehlen laut Agentur für Arbeit 12.000 Lehrlinge. Zudem fehlen bis Jahresende 227.000 fertig ausgebildete Fachkräfte. Nach der Flüchtlingswelle gründete die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) mit der Staatsregierung das Projekt „Integration durch Arbeit“ (IDA) an dem sich bayernweit 850 Unternehmen beteiligen. Darunter auch die Firma Kaeser, die bereits vor vier Jahren begonnen hat, Auszubildende im europäischen Ausland, vorzugsweise aus Spanien, anzuwerben.

Wir haben uns die Rekrutierung von Praktikanten zunächst viel einfacher vorgestellt.

Rüdiger Hopf, Abteilungsleiter bei Kaeser Kompressoren

Lehrlingsbetreuer Hopf sagt: „Die Rekrutierung haben wir uns anfangs viel einfacher vorgestellt.“ Hilfe bekam das Unternehmen von Mitarbeitern der vbw, die Suchenden Ausbildungsstellen vermitteln. Kaeser hat ein Konzept entwickelt, um zu prüfen, ob Bewerber geeignet sind. Dazu gehört ein sechsmonatiges Praktikum vor Ausbildungsbeginn. Von 70 Praktikumsabsolventen übernahm Kaeser schließlich 21, allesamt junge Männer. Sie lernen zusammen mit 77 deutschen Lehrlingen und zwölf Azubis aus Europa. Den Einheimischen gefällt das gut. Lehrling Marcel Hofmann, 22, erzählt: „Anfangs waren die Flüchtlinge zurückhaltend, aber im Laufe der Zeit haben sie sich immer mehr geöffnet und Freundschaften geschlossen.“ Hofmann trifft Ayman feierabends gelegentlich auf ein Bier.

Hohe Motivation und Fleiß

Für die Neuankömmlinge ist die Ausbildung aber oft ungewohnt anstrengend. „Bei uns müssen sie selbstständig arbeiten und von sich aus mehr zu leisten, als sie das vielleicht aus ihren Heimatländern gewohnt sind“, sagt Ausbilder Simon Krätschmer. Aber er hat gute Erfahrungen gesammelt. Fleiß, Ehrgeiz, Verlässlichkeit. „Die Motivation ist wirklich groß“, sagt er. Ein Deutsch- und ein Fachsprache-Kurs kommen hinzu, die Pädagogin Linda Kirstner leitet. „Diese Chancen, die wir ihnen hier bieten, nutzen sie auch“, sagt die Lehrerin. Was die Integration außerdem erleichtert ist das firmeneigene Wohnheim. So hat Kaeser die ehemalige Coburger Jugendherberge zu 30 Wohneinheiten umgebaut. Denn was Flüchtlinge auf ihrem Integrationsweg bremst, ist neben mangelnden Sprachkenntnissen oft Ort und Art der Unterbringung.

Flüchtlinge setzen auf „schnelles Geld“

Dass die Arbeitsbedingungen bei Kaeser den Bedürfnissen der Neuankömmlinge vorbildlich angepasst sind, zahlt sich aus. Bislang hat niemand die Ausbildung abgebrochen. Im Rahmen des Projektes „IdA“ beendete nur jeder Dritte seine Beschäftigung vor Kursende.

Grund dafür waren unter anderem Umzug, Krankheit oder eine Abschiebung der Kandidaten. Trotzdem haben Politik und Wirtschaft in Bayern einiges geschafft. 60.000 Flüchtlinge haben im vergangen Jahr ein Praktikum, eine Ausbildung oder einen Job gefunden. Über 40 Prozent entfallen dabei auf Praktikumsplätze. Hoffnungen darauf, mehr Stellen zu vermitteln, ruhen vor allem auf dem Mittelstand. Laut Umfrage haben die 30 Dax-Unternehmen in Deutschland nur rund 50 Flüchtlinge fest eingestellt. Voraussetzung dabei ist aber auch, dass Flüchtlinge an einer Ausbildung interessiert sind. Häufiger setzen sie jedoch auf Helferjobs um zwar weniger, dafür aber schneller Geld zu verdienen. Geld, das sie ihren Familien in die Heimatländer schicken, wie eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft ergab.

Zukunft hängt vom Frieden ab

Ahmad Shanana hofft nach seiner Ausbildung ein Abitur und ein Studium anschließen zu können. Sein Bruder Ayman würde nach der Ausbildung gerne wieder zurück nach Syrien gehen, um sein Land aufzubauen.

Voraussetzung dafür sei aber Frieden, doch daran zweifelt er. In Coburg fühlen sich die beiden wohl. „Integration ist für mich, wenn ich die deutsche Kultur verstehe und respektiere. Und die lerne ich am besten im Betrieb und nicht im Sprachkurs“, sagt er.

Bis die Mehrheit der Flüchtlinge im deutschen Arbeitsmarkt Fuß gefasst hat, werden schätzungsweise fünf Jahre vergehen, prophezeit Herbert Brücker, Migrationsexperte vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Abteilungsleiter Hopf sieht das Integrationsprojekt bei Kaeser auf einem guten Weg. Auch in diesem Jahr sollen weitere Flüchtlinge die Chance auf eine Ausbildung bekommen. 35 absolvieren aktuell ein Praktikum. Nur eines läuft nicht so wie ursprünglich geplant: Die Auszubildenden aus dem europäischen Ausland in den Niederlassungen unterzubringen. Allerdings nicht wegen ihrer fachlichen Qualifizierung. Sie wollen lieber in Coburg bleiben.