Alles Europa? Istanbul von der Galata-Brücke aus gesehen. (Bild: Fotolia/Dario Bajurin)
Regierung

Weiter Klavier spielen auf der Titanic

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) setzt weiter voll auf eine europäische Lösung in Kooperation mit den zweifelhaften Partnern Türkei und Griechenland, was auch im Mittelpunkt ihrer Regierungserklärung stand. Ein türkischer EU-Beitritt stehe aber nicht auf der Tagesordnung. Die Zweifel in der CSU bleiben, auch weil der türkische Präsident nun klar die Segel Richtung Diktatur setzt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der Türkei weitere Milliardenhilfen in der Flüchtlingskrise in Aussicht gestellt. Ein EU-Beitritt des Landes stehe aber nicht auf der Tagesordnung, sagte Merkel in einer Regierungserklärung zum EU-Türkei-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag in Brüssel. Auch für die von Ankara geforderten Visa-Erleichterungen gebe es Bedingungen, betonte Merkel im Bundestag. Der Wunsch Ankaras nach mehr Geld über die bereits zugesagten drei Milliarden Euro hinaus sei „völlig nachvollziehbar“, sagte Merkel. Die Europäische Union sei dazu auch bereit. Die Leistungen der Türkei bei der Unterstützung von inzwischen 2,7 Millionen Flüchtlingen könnten „gar nicht hoch genug gewürdigt“ werden, sagte Merkel. Entscheidend sei aber, dass die Gelder tatsächlich in sinnvolle Projekte für die Flüchtlinge flössen, etwa Unterbringung, Schulen und medizinische Versorgung. Die Regierung in Ankara will sechs Milliarden Euro, visafreies Reisen nach Europa und bessere Aussichten auf einen EU-Beitritt.

Es versteht sich deshalb von selbst, dass wir gegenüber der Türkei unsere Überzeugung zum Beispiel zur Wahrung der Pressefreiheit und für den Umgang mit den Kurden entscheidend einbringen.

Angela Merkel, in ihrer Regierungserklärung

Angesichts der Kritik aus der CSU warb Merkel um Unterstützung für ihren Kurs. „Wir sind in den Verhandlungen zur Lösung der Flüchtlingsfrage an einem entscheidenden Punkt angekommen“, sagte sie. Eine vertiefte Zusammenarbeit mit Ankara sei immer eine Angelegenheit des Gebens und Nehmens. „Es versteht sich deshalb von selbst, dass wir gegenüber der Türkei unsere Überzeugung zum Beispiel zur Wahrung der Pressefreiheit und für den Umgang mit den Kurden entscheidend einbringen.“ Die Kanzlerin knüpft auch Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger, wie sie Ankara nun schon vor dem Sommer durchsetzen will, weiter an Bedingungen. „Es ist noch viel zu lösen. Und wir werden sicherstellen, dass diese Bedingungen vollständig eingehalten werden.“ Die Beitrittsverhandlungen mit Ankara würden weiterhin ergebnisoffen geführt. Sie bekräftigte die Forderung nach einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise. „Es gereicht Europa nicht zur Ehre, sich als Union von 28 Mitgliedstaaten mit 500 Millionen Bürgern bislang so schwer getan zu haben, die Lasten zu teilen.“

Es gibt kein Recht auf Asyl in einem bestimmten Land.

Angela Merkel

Einseitige Maßnahmen würden laut Merkel nur kurzfristig Lösungen bringen. Die Kanzlerin gab zwar zu, dass Deutschland von der derzeitigen Abriegelung der Balkanroute profitiere. Allerdings würde das Problem so nur an Griechenland abgeschoben. Merkel forderte darum mehr Solidarität mit Griechenland – die Zustände dort dürften nicht von Dauer sein. „Als reicher Kontinent müssen wir diese Herausforderung gemeinsam meistern“, sagte sie. Schließlich gehe es auch Deutschland auf Dauer nur gut, wenn es Europa gut gehe. „Das verlangt von uns allen viel ab“, räumte sie ein. Die EU-Außengrenze zwischen Griechenland und der Türkei müsse geschützt werden, auch mit Hilfe der NATO. Die Zahlen für alle zu verringern, ohne dass europäische Errungenschaften geschwächt werden – das sei das Ziel. Es gebe „kein Recht auf Asyl in einem bestimmten Land“, aber ein Recht auf eine menschliche Behandlung.

Wie erwartet kein Kurswechsel

Die Kanzlerin setzt also weiter voll auf eine europäische Lösung in Kooperation mit der Türkei. Die CSU lehnt das nicht ab, fordert aber seit Monaten eine nationale Obergrenze bei der Zahl der Flüchtlinge und eine härtere Gangart an der deutschen Grenze, bisher allerdings vergeblich. Selbst die katastrophalen Landtagswahlergebnisse der CDU und die Gewinne der rechtspopulistischen AfD in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben bei Merkel kein Umdenken bewirkt – was auch niemand ernsthaft erwartete.

Nur eine Veränderung der Politik wird die AfD überflüssig machen und den Spuk dieser Gruppierung beenden.

Horst Seehofer

Bei einem Treffen im Kanzleramt wollen die Unionsspitzen um Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer am Mittwochabend erneut nach Wegen aus dem Streit suchen. Sie werden auch das besprechen, was für Seehofer ein „politisches Erdbeben“ war, für die CDU-Chefin lediglich „Licht und Schatten“. Allerdings wird nicht erwartet, dass es zu einer Annäherung der Positionen kommt. Beim Treffen der Unionsspitzen im Kanzleramt soll es dem Vernehmen nach auch über eine Lösung des koalitionsinternen Streits über Reformen bei der Leiharbeit, von Werkverträgen und bei der Erbschaftsteuer gehen. Seehofer hatte zudem am Montag nach einer CSU-Vorstandssitzung angekündigt, er werde im Kanzleramt seine Analyse der Landtagswahlergebnisse präsentieren. Von Merkel fordert er auch als Reaktion auf das Erstarken der AfD einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik. „Nur eine Veränderung der Politik wird die AfD überflüssig machen und den Spuk dieser Gruppierung beenden“, sagte er. Auch CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt betonte am Dienstag angesichts der Wahlergebnisse, die Lage sei insbesondere für die konservativen Parteien sehr ernst. Es sei eine klare Botschaft an die Herkunftsstaaten nötig, dass Europa und insbesondere Deutschland nicht alle Probleme der Welt lösen könne.

Probleme mit dem Verhandlungspartner Türkei

Hasselfeldt sagte im Bundestag: „Wir können uns nicht einseitig die Bedingungen von der Türkei diktieren lassen.“ Auch die Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort spiele eine große Rolle und komme allmählich voran. „Eine Integration der Flüchtlinge ist nur zu erledigen und leisten, wenn wir auch die Zahlen reduzieren und zwar deutlich und nachhaltig. Die Aufnahmefähigkeit unseres Landes hat Grenzen“, betonte Hasselfeldt. Mit den Asylpaketen habe man die richtigen Maßnahmen getroffen, auch die Maghrebstaaten müssten nun zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden.

Wir können mit der Türkei über Erleichterungen reden, aber nicht über vollständige Visafreiheit.

Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär

Von „roten Linien“ sprach der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer. „Vollständige Visafreiheit“ und „volle EU-Mitgliedschaft“ der Türkei sind für ihn ausgeschlossen. „Wir können mit der Türkei über Erleichterungen reden, aber nicht über vollständige Visafreiheit“, sagte auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. Zudem müsse die EU eine klare Position zu Defiziten bei Menschenrechten sowie Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei einnehmen. In einem Beschluss vom 5. November zum weiteren Vorgehen in der Flüchtlingskrise hätten sich die Parteichefs lediglich auf die Beschleunigung der Verhandlungen mit der Türkei geeinigt.

Distanz zu Merkel

Das erinnert mich an den Klavierspieler auf der Titanic. Der spielte auch bis zum Schluss, denn sein Flügel funktionierte ja. Und abgesoffen ist er trotzdem.

Peter Ramsauer, zu Angela Merkel

Klar auf Distanz zur Einschätzung der Kanzlerin, die AfD sei keine existenzielle Bedrohung für die CDU, ging auch der CSU-Politiker Peter Ramsauer. „Das erinnert mich an den Klavierspieler auf der Titanic“, sagte der ehemalige Verkehrsminister der „Welt„. „Der spielte auch bis zum Schluss, denn sein Flügel funktionierte ja. Und abgesoffen ist er trotzdem.“ Wer jetzt das Wahlergebnis in dieser Weise schönrede, bringe die Bürger noch mehr in Rage, meinte Ramsauer. Auf die Frage, ob Merkel noch die Richtige sei, berichtete Ramsauer: „Wenn ich meine Ortsvorsitzenden frage, ob sie bereit seien, in 17 Monaten wieder Merkel-Plakate aufzuhängen, dann sehe ich nur in lange Gesichter. Ich habe Verständnis für diese Position. Diese Leute stehen an vorderster Front und sind nicht mehr bereit, jede Politik mitzumachen.“ In der CDU scheine leider nicht mehr der alte Leitsatz zu gelten, dass rechts von ihr keine demokratisch legitimierte Kraft existieren darf, sondern links von ihr. „Rechts von der CDU ist man immer noch in der Mitte“, so Ramsauer. Man könne aber nicht auf Dauer gegen breiteste Teile der Bevölkerung regieren. „Die Bundesregierung muss eine Kehrtwende vollziehen.“ Die sei auch erkennbar: Wenn die Kanzlerin nämlich konsequent ihrer Politik gefolgt wäre, dann hätte sie die Menschen von der griechisch-mazedonischen Grenze abholen lassen müssen. Das habe sie nicht getan.

Diese Bilder sind nicht schön. Aber sie sind, so hart das ist, Teil der Lösung und entfalten eine politische Wirkung. Mit der Willkommenskultur sind völlig falsche Signale gesendet worden. Davon sind wir inzwischen Lichtjahre entfernt.

Peter Ramsauer, in der Welt.

Türkei rutscht in die Diktatur

Der türkische Präsident Erdogan zeigt unterdessen immer ungenierter, wie er Merkels Not ausnutzen will: Er beschreitet ganz offen den Weg in die Diktatur. Er forderte jetzt, „terroristische Verbrechen“ im türkischen Strafrecht breiter zu definieren. Auch Anwälte, Akademiker, Schriftsteller, Journalisten und Aktivisten könnten Terroristen sein, „wenn sie ihre Position oder ihren Stift zur Unterstützung des Terrorismus nutzen“. Darunter ist nach seinem Verständnis vermutlich jede regierungskritische Äußerung zu verstehen. In einer Rede im Fernsehen sagte Erdogan, Begriffe wie Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit hätten absolut „keinen Wert“ mehr. Auch Meinungs- und Pressefreiheit müssten der Sicherheit des Landes untergeordnet werden.

Der, der im Kampf gegen den Terror auf unserer Seite steht, ist unser Freund. Der, der auf der anderen Seite steht, ist unser Feind.

Recep Erdogan, türkischer „Präsident“

Erst am Dienstag waren drei Akademiker wegen des Vorwurfs der „terroristischen Propaganda“ festgenommen worden. Sie hatten aber nur eine Petition unterzeichnet, in der die Gewalt des Militärs beim Einsatz gegen kurdische Rebellen verurteilt wird. Die Polizei setzte unterdessen ihre landesweiten Razzien gegen Kurden fort. Dutzende Menschen wurden festgenommen, darunter mehrere Minderjährige, wie die Nachrichtenagentur DHA berichtete.

Auch Griechenland ist unzuverlässig

Die Türkei ist aber nicht der einzige zweifelhafte Partner, auf den sich Merkel stützen will: Im notorisch unzuverlässigen Griechenland hat sich nichts geändert. Auch die regierende linke Syriza-Partei, die alles besser machen wollte, betreibt nach Medienberichten ungeniert Vetternwirtschaft – das uralte Problem in Griechenland. Immerhin stellen Syriza-Politiker Verwandte und Freunde nach diesen Berichten nicht im eigenen Amt an, sondern in anderen Ämtern. Auch die Auflagen der Gläubiger sind, wie von allen Griechenlandkritikern immer erwartet, kaum umgesetzt worden, egal ob bei Rente, Mehrwertsteuer oder Privatisierungen.

Der Ansturm auf Europa ist unterdessen ungebrochen: Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks kamen seit Anfang März knapp 19.000 Migranten über das Meer nach Griechenland – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Mittlerweile halten sich nach Angaben aus Athen in Griechenland rund 44.000 Migranten auf. Bei mehr als der Hälfte handele es sich um Frauen und Kinder. Knapp 90 Prozent aller Migranten stammten aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.