Noch ist alles braun. Aber schon in ein paar Wochen wird es auf der riesigen Wiese vor dem Dorf keimen, grünen, blühen. Johann Ellenrieder, 52, stapft über Maulwurfshaufen, die so früh am morgen noch tief gefroren sind. Er rammt die Mistgabel in den Boden, wälzt die Erde mit einer Drehbewegung um. Zwei Regenwürmer purzeln heraus. Ellenrieder hält den Brocken gegen das Sonnenlicht. „Da kann’sch durchschauen“, freut sich der Schwabe. Mit zugekniffenem Auge kann er durch die millimeterschmalen Gänge der Würmer tatsächlich das blaue Firmament sehen, die Wolken.
Ackersenf, Vogelmiere – Schmetterlinge
Der Bauer in der Reischenau westlich von Augsburg liebt seine Heimaterde. Er erzählt, wie er Unkraut schonend mit mechanischem Gerät herauszieht, auf Chemie bei der Bearbeitung verzichtet. Und wie auf seiner Erde zwischen Weizen oder Weidengras Ackersenf, Vogelmiere, Hederich gedeihen, um die in der warmen Jahreszeit Schmetterlinge und Bienen schwirren. Erd-Experte Ellenrieder zählt zu den Veteranen des ökologischen Landbaus in Bayern. Seit 1986 bewirtschaftet er den vom Vater geerbten Hof nach Biostandards. Auf 60 Hektar rund um Ustersbach baut er Weizen, Roggen, Hafer, Dinkel, Kartoffeln, Sonnenblumen, Hanf an. Auf weiteren 50 Hektar Grünland weiden 50 Milchkühe sowie 70 männliche Rinder für die Biofleisch-Mast. Nun könnten ihm größere Teile der bayerischen Bauern auf diesem Weg folgen.
Annehmen, verbessern, versöhnen.
Markus Söder, Ministerpräsident
Im Februar hat das „Volksbegehren Artenvielfalt“ in ganz Bayern 1,75 Millionen Unterstützer gefunden. Vordergründig geht es den Initiatoren um die Rettung der Bienen, die im intensiv betriebenen Landbau ihre natürliche Lebensgrundlage zu verlieren drohen. Im Kern drängen sie jedoch auf den Umbau der Landwirtschaft. Bis zum Jahr 2030 sollen dreißig Prozent der landwirtschaftlichen Fläche des Freistaats ökologisch bewirtschaftet werden.
Das Ringen um dieses Volksbegehren hat nun eine überraschende Wendung erfahren. Seit Wochen verhandelt die Staatsregierung mit Umweltschützern, Landwirten, betroffenen Verbänden. Nun hat sie beschlossen den Text des Plebiszits 1:1 in das bayerische Naturschutzgesetz zu übernehmen und mittels Verordnungen und Bestimmungen weiterzuentwickeln. „Annehmen, verbessern, versöhnen“, gibt Ministerpräsident Markus Söder als Losung aus. Eine Abstimmung der Bürger über die Vorlage wird somit überflüssig.
Priorität für die Ökologie
Nicht wenige Landleute fühlen sich an den Pranger gestellt. Regierungschef Söder will den Öko-Impuls von mehr als 1,7 Millionen Volksbegehrensunterzeichnern in Regierungshandeln verwandeln – und die Bauern auf diesem Weg mitnehmen: „Ökologie und Artenschutz bekommen in Bayern eine Priorität wie in keinem anderen Bundesland.“
Tatsächlich stehen die Voraussetzungen für den ökologischen Umbruch in keinem Land so gut wie im Freistaat. Bei der Biomilch hinkt der Konsumentenmarkt zwar dem Anliegen des Volksbegehrens hinterher. Große Abnehmer wie die Käserei Goldsteig in Cham oder die Milchwerke Berchtesgadener Land in Piding haben Wartelisten für neue Lieferanten gebildet. „Wir nehmen erst wieder neue Ökomilchbauern auf, wenn auch mehr Kunden solche Milchprodukte kaufen“, erklärt Florian Landstorfer, bei Goldsteig für die Milcherfassung zuständig. Berchtesgadener-Chef Bernhard Pointner freilich rechnet vor, dass in seinem Einzugsgebiet zwischen Watzmann und Zugspitze das bis 2030 geforderte Ziel von dreißig Prozent Biolandwirtschaft schon heute erfüllt sei.
Dreißig Prozent Öko-Landwirtschaft im Ganzen sind machbar.
Johann Ellenrieder, Bio-Bauer
Der gesamte Freistaat weist im Ländervergleich mit 344.600 Hektar bereits die größte Ökofläche überhaupt aus. Das entspricht einem Anteil an der gesamten landwirtschaftlichen Fläche von 11 Prozent. Der grüne Bereich ist längst in Bewegung geraten: Seit 2014 ist die Zahl der Biobetriebe von 6.000 auf fast 9.000 gestiegen. Der Ustersbacher Bioveteran Ellenrieder meint: „Das ist ein Prozess, der in vollem Gang ist. Dreißig Prozent im Ganzen sind machbar.“ Im Bio-Boom erkennt er eine Überlebenschance. Der Konsumentenmarkt für Bioprodukte wachse ständig, gerade für Milch oder Eier hätten sich – trotz Schwankungen – funktionierende Vertriebswege etabliert. „Nur für Fleisch ist das noch weit weg“, stellt Ellenrieder fest.
Bioweiderinder aus dem Bayerwald
Ein Schrittchen dieses Weges hat ein Projekt für Bioweiderinder im Bayerischen Wald bereits geschafft. Mittels einer vom Landwirtschaftsministerium geförderten „Ökomodellregion“ etabliert Projektmanager Gerhard Falter die Marke „Ilzer Land Weidefleisch“ für das Gebiet um die Marktgemeinde Perlesreut. Auf vierzig hat sich die Zahl der Ökobauern in der Region bereits verdoppelt. Immerhin einen davon konnte er schon überzeugen, seine Tiere unter dem neue Logo zu verkaufen.
Bauer Anton Höcker, 58, hat vor drei Jahren auf bio umgestellt. Seine Weiden oberhalb des Örtchens Schönberg düngt er rein organisch. Einen Großteil seines Fleischs liefert er an die Allgäuer Supermarktkette Feneberg. Doch dass er nun auch in seiner Heimatregion einen Abnehmer findet, freut ihn besonders: Der Schönberger Metzger Simon Pleintinger, 28, kauft bei Höcker alle zwei Monate ein Rind, schlachtet es selbst und stellt Brühwürste, Salami und Fleisch zum Kochen und Grillen her. Alles vom Rind, alles bio.
Das Bewusstsein bei der Kundschaft ist am Entstehen.
Simon Pleintinger, Bio-Metzger
Dass sowohl Höcker als auch Pleintinger anfangs zögerten, liegt an der Zurückhaltung der Käufer vor Ort. „Das Bewusstsein bei der Kundschaft ist am Entstehen“, glaubt der Fleischer. Aber: Rund zehn Prozent seines Umsatzes schafft Pleintinger inzwischen über seinen Online-Shop. Den überwiegenden Teil verschickt er in die Landeshauptstadt. „Das sind Leute, die hier Urlaub gemacht haben, daher unsere Wurst kennen.“
Auf dem Umweg über die große Stadt wird auch für Rinderzüchter Höcker das Projekt erst richtig interessant. Das Biorindfleisch bringt mit rund 5 Euro pro Kilo nur 80 Cent mehr ein als traditionell erzeugtes. Federführend bei der Umstellung war Ehefrau Helga, die auch die hofeigenen Ferienwohnungen vermarktet. „Die hat gesagt: ‚Urlaub auf dem Bauernhof‘ läuft nur gut, wenn wir bio sind“, erinnert sich Höcker. Denn viele Familien aus der Stadt verbringen ihre Ferien nur gern auf dem Land, wenn ihr Bauer ihrem Bild von umweltschonender Landwirtschaft entspricht. Die Appartments der Biobauernfamilie Höcker sind für 2019 bereits ausgebucht.
Stärkung für die Heimat
So haben die Höckers und Pleintingers mehrere Dinge auf einmal hinbekommen: Absatzwege für ihr Ökofleisch geschaffen, den Ferienort Schönberg gestärkt – und sich selbst gleich mit. „Dreißig Prozent Biofläche in der bayerischen Landwirtschaft, das ist zu schaffen“, ist der einst zögerliche Bauer inzwischen überzeugt. „Aber das trägt langfristig nur, wenn die Konsumenten mehr bio kaufen und auch den höheren Preis dafür bezahlen.“