Der Neubau der EZB in Frankfurt am Main. (Bild: European Central Bank/Robert Metsch/fkn)
Bundesverfassungsgericht

EZB darf Schrottanleihen kaufen – aber nur begrenzt

Das Bundesverfassungsgericht gibt nachträglich einem zentralen Baustein der Euro-Rettung seinen Segen - zieht aber klare Leitplanken ein. Die Richter billigten im Grundsatz, dass die Europäische Zentralbank klamme Euro-Staaten im Ernstfall durch Staatsanleihenkäufe in großem Stil stützt. So einfach wie 2012 von EZB-Präsident Draghi gedacht, dürfte das aber nicht mehr werden.

Nach diesem Urteil dürfte sich auch die Bundesbank an solchen Maßnahmen beteiligen. Voraussetzung ist aber, dass die die Europäische Zentralbank (EZB) sich dabei an bestimmte Regeln hält. Mit dieser Entscheidung, die ausschließlich für die Bundesbank gilt, schließen sich die deutschen Verfassungshüter in wesentlichen Punkten einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2015 an. Der Senat habe zwar weiterhin Bedenken, sehe sich aber an die Luxemburger Rechtsprechung gebunden, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle in Karlsruhe. Die europäische Rechtsgemeinschaft gehe aus dem Verfahren gestärkt hervor.

Ist der unlimitierte Kauf von Staatsanleihen von Krisenländern Aufgabe der EZB?

Im Mai 2010 begann die EZB erstmals mit dem Kauf von Staatsanleihen. Das „Securities Markets Programme“ (SMP) sollte den Anstieg der Renditen von Anleihen angeschlagener Euroländer bremsen. Bis Anfang 2012 kaufte die EZB Staatspapiere für rund 220 Milliarden Euro, zumeist italienische Anleihen – ein Schelm, wer dem Italiener Draghi dabei Böses unterstellte. Das SMP wurde dann 2012 durch das OMT-Programm („Outright Monetary Transactions“) ersetzt, das den unlimitierten Kauf von Staatsanleihen von Krisenländern vorsah, was bislang allerdings niemals angewandt wurde. Staaten in finanziellen Schwierigkeiten konnten und können die Notenbank seither um Hilfe bitten, wenn sie sich an gewisse Spielregeln halten. Allein die Ankündigung der Währungshüter um EZB-Präsident Mario Draghi, wenn nötig unbegrenzt Staatsanleihen von Ländern in Finanznot zu kaufen, beruhigte jedoch damals auf dem Höhepunkt der Euro-Schuldenkrise die Finanzmärkte. Denn der Kauf von Staatsanleihen senkt indirekt die Zinslast eines Landes und hält es so zahlungsfähig. So wurde letztlich keine einzige Anleihe gekauft – was aber keine Garantie für die Zukunft ist.

Die Kläger sind gescheitert

Mehrere Klagen wurden deshalb gegen das OMT angestrengt. Sie sind mit dem aktuellen Urteil formal gescheitert. Geklagt hatten dennoch unter anderen der frühere CSU-Vize Peter Gauweiler, der Verein „Mehr Demokratie“ mit Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und die Linksfraktion im Bundestag. Die Kläger befürchteten, dass durch das Programm der deutsche Steuerzahler in Mithaftung genommen wird für Risiken, die nicht kalkulierbar sind. Umstritten war auch, ob die EZB eigenmächtig solche Risiken für den Steuerzahler eingehen und direkt in nationale Haushalte eingreifen durfte – ohne Beteiligung des deutschen Parlaments. Als nicht demokratisch legitimiertes EU-Organ sei die Zentralbank auch nicht befugt, Wirtschaftspolitik zu betreiben.

Die europäischen Verträge sehen klar vor, dass die Mitgliedstaaten das letzte Wort haben und nicht eine demokratisch nicht legitimierte EU-Instanz.

Peter Gauweiler

Gauweiler rechnete vor dem Urteil noch damit, dass seine Klage gegen das Staatsanleihen-Ankauf-Programm der EZB wenigstens teilweise erfolgreich sein würde. In der Bayern2 radioWelt am Morgen sagte er: „Die europäischen Verträge sehen klar vor, dass die Mitgliedstaaten das letzte Wort haben und nicht eine demokratisch nicht legitimierte EU-Instanz. Ich gehe davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht dem Bundestag, der Bundesbank und dem Bundesrat einige konkrete Vorgaben setzt. Es hat ja bereits (…) zum Ausdruck gebracht, dass bestimmte Grenzen und Linien nicht überschritten werden dürfen.“

Die Bedingungen

Nach dem nun erfolgten Urteil dürfen etwaige Staatsanleihenkäufe nicht vorab angekündigt werden. Ihr Volumen müsste zudem im Voraus begrenzt sein. Die Verfassungshüter legen auch Wert darauf, dass die Schuldtitel nur so lange gehalten werden, wie es für die Stabilisierung des Krisenstaates unbedingt notwendig ist. Bundesregierung und Bundestag verpflichtet der Richterspruch, die Umsetzung des Programms dauerhaft zu überwachen und bei Verstößen einzugreifen. Dabei müssen sie auch darauf achten, ob einmal gekaufte Anleihen später noch zu einem Risiko für den Bundeshaushalt werden.

Bislang bislang hat die EZB weder einen moderaten Anstieg der Inflation im Euroraum noch eine deutliche Zunahme der Kreditvergabe in den südeuropäischen Volkswirtschaften erreicht.

Markus Söder

Bayerns Finanzminister Markus Söder sieht im Karlsruher EZB-Urteil eine „sehr schlechte Nachricht für Sparer, Kleinanleger und Besitzer von Lebensversicherungen“. Die Europäische Zentralbank dürfte sich in ihrem Kurs der „massiven Eingriffe in die Anleihemärkte und der Niedrigstzinsen“ bestätigt sehen, kommentierte Söder am Dienstag die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Er warf der Bank am Dienstag vor, beide Ziele verfehlt zu haben, die sie eigentlich erreichen wollte: „Bislang bislang hat die EZB weder einen moderaten Anstieg der Inflation im Euroraum noch eine deutliche Zunahme der Kreditvergabe in den südeuropäischen Volkswirtschaften erreicht.“ Das OMT-Programm sei nicht verfassungswidrig, „richtig ist es deshalb aber nicht“, kritisierte Söder. „Es ist höchste Zeit für eine Zinswende, für eine Abkehr von der Politik des billigen Geldes.“

Die Vorgeschichte

Die Verfassungsrichter hatten Anfang 2014 schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken geäußert, wollten aber den EuGH entscheiden lassen. Der Luxemburger Gerichtshof sah in dem Beschluss keinen Verstoß gegen EU-Recht. Grundsätzlich dürfe die Notenbank zur Euro-Rettung Staatsanleihen kaufen, „das Programm überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten“. Die Schritte der Notenbank müssten aber verhältnismäßig und gut begründet sein und dürften keine wirtschaftspolitische Maßnahme darstellen, so der EuGH.

Auf dieser Grundlage fiel nun das endgültige Urteil des Bundesverfassungsgerichts. „Die Bundesbank darf sich an einer künftigen Durchführung des OMT-Programms nur beteiligen, wenn und soweit die vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellten Maßgaben (…) erfüllt sind“, so steht es in der Entscheidung. Damit erlauben die deutschen Richter der Bundesbank als größtem EZB-Anteilseigner die Teilnahme – aber nur, wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Das Grundgesetz räume dem Recht der Europäischen Union an bestimmten Stellen Vorrang ein, so das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. „Zur Sicherung seiner demokratischen Einflussmöglichkeiten im Prozess der europäischen Integration hat der Bürger grundsätzlich ein Recht darauf, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten nur in den vom Grundgesetz dafür vorgesehenen Formen (…) erfolgt und die (…) geschützte Verfassungsidentität nicht verletzt wird“, heißt es im Urteil. Im vorliegenden Fall würden aber die Pflichten des Bundestags bei der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung durch das sogenannte OMT-Programm nicht beeinträchtigt.

Die aktuellen Anleihenkäufe

Auf die aktuellen Anleihenkäufe der EZB ist das Urteil nicht übertragbar. Um die Konjunktur anzukurbeln, steckt die Notenbank seit März 2015 viele Milliarden Euro in Staats- und Unternehmensanleihen („Quantitative Easing“, QE). Auch dagegen gibt es Verfassungsklagen. Die Kläger werfen der Notenbank erneut vor, demokratische Grundrechte der Deutschen zu übergehen. Die EZB lege immer neue Programme auf, die unkalkulierbare Risiken für die Bilanz der Bundesbank und damit auch die deutschen Steuerzahler zur Folge hätten.

Für die sogenannte „Quantitative Lockerung“ druckt sich die Zentralbank quasi selbst Geld und kauft damit in großem Stil Anleihen – Staatsanleihen und andere Papiere wie Unternehmensanleihen. Gerade bei Letzterem trägt sie das Risiko einer Unternehmenspleite (der Bayernkurier berichtete). Inzwischen investiert die EZB monatlich 80 Milliarden Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere. Das Geld fließt – anders als beim OMT vorgesehen – nicht nur in Papiere von Krisenstaaten, sondern in Anleihen aus dem gesamten Euroraum. Bis mindestens Ende März 2017 wollen die Währungshüter auf diese Weise 1,74 Billionen Euro in den Markt pumpen. Das soll die Konjunktur ankurbeln und die anhaltend niedrige Inflation wieder in Richtung der EZB-Zielmarke von knapp unter 2,0 Prozent befördern.

Die Vorgabe der deutschen Richter, das Volumen von Anleihenkäufe zu begrenzen, macht es nach Einschätzung von Commerzbank-Ökonom Michael Schubert für die EZB aus rechtlicher Sicht schwieriger, ihr QE-Programm nochmals auszuweiten. Die EZB hat sich selbst bereits Obergrenzen für die Käufe gesetzt. Der Kläger Gauweiler betonte jedenfalls die Bedeutung für die anstehende verfassungsrechtliche Bewertung der aktuellen Anleihenkäufe der EZB. Er sei neugierig, was der Senat dazu im Lichte der formulierten Grundsätze sagen werde. „Da wird man dann Butter bei die Fische bekommen.“

Reaktionen auf das Urteil

Der CSU-Finanzexperte und erste stellvertretende Vorsitzende des Währungsausschusses im Europäischen Parlament, Markus Ferber, erklärte zu dem Urteil:

Das heutige Urteil ist ein klares Signal an die Finanzmärkte und an die politisch Verantwortlichen. Ich bin froh, dass nach jahrelangem Streit mit dem heutigen Urteil nun endlich Klarheit herrscht. Die Leitplanken, die das Bundesverfassungsgericht mit dem heutigen Urteilsspruch nochmal betont, entsprechen genau den Randbedingungen, die sich auch die EZB auferlegt hat. Fakt ist, die Arbeit der EZB wird nur erfolgreich sein, wenn sie unabhängig agieren kann, effektive Instrumente zur Hand hat, diese aber mit Bedacht einsetzt.

Der neue ifo-Präsident Clemens Fuest hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dagegen kritisiert. „Die Richter haben gegenüber ihrem Vorlagebeschluss von 2014 eine Kehrtwende vollzogen und es nicht gewagt, die Europäische Zentralbank beim Kauf von Staatsanleihen stärker in die Schranken zu weisen als der Europäische Gerichtshof“, sagte er am Donnerstag. „Das ist schade, denn es ist offensichtlich, dass das OMT-Programm in erster Linie das fiskalische Ziel verfolgt, hoch verschuldeten Staaten den Zugang zu Krediten zu erhalten. Die damit verbundenen Risiken tragen die deutschen Steuerzahler mit, ohne dass der Bundestag zugestimmt hat. Die Schranken für eine Beteiligung der Bundesbank durch die Bedingungen des EuGH fallen viel zu schwach aus und hätten vom Bundesverfassungsgericht geschärft werden müssen. Die verlangte dauerhafte Beobachtung der EZB durch Bundestag und Bundesregierung auf Risiken für den Bundeshaushalt ist eine zahnlose Bestimmung.“

Auch der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, kommentierte die Entscheidung:

Das heutige Verfassungsgerichtsurteil hat gezeigt, dass der Krisenpolitik der EZB auf dem Rechtsweg nur schwer beizukommen ist. Umso mehr ist die Politik jetzt aufgefordert, sich einer Reform der rechtlichen Rahmenbedingungen der EZB zu widmen. Denn es ist grotesk, dass Deutschland im EZB-Rat nur wenig Mitspracherecht hat, obwohl die deutschen Steuerzahler mit Abstand das größte Haftungsrisiko für die wirtschaftspolitischen Interventionen der EZB tragen.

Die aktuellen Abstimmungsregeln im EZB-Rat müssten dringend reformiert werden. „Es kann nicht sein, dass Deutschland zeitweise gar kein Stimmrecht hat und Bundesbank-Präsident Jens Weidmann alle fünf Monate auf die Ersatzbank muss. Ich fordere für Deutschland ein permanentes Stimmrecht“, so Holznagel. Auf jeden Fall müsse sichergestellt werden, dass die Europäische Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft funktioniere und „nicht als verkappte Transferunion“.

Das neue Urteil stellt grundsätzliche Weichen

Das aktuelle OMT-Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt auch erneut grundsätzliche Weichen für das künftige Verhältnis zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH).

Hier die bisherigen Stationen, bei denen die in juristischen Fachkreisen oft debattierte und erwartete Kollision von EuGH und Bundesverfassungsgericht stets mehr oder weniger geschickt umgangen wurde:

  • 1974 behielten sich die Verfassungsrichter im sogenannten Solange I-Beschluss noch vor, die Anwendung von Gemeinschaftsrecht durch deutsche Gerichte zu überprüfen, solange es in Europa keinen Grundrechtekatalog gibt, der dem deutschen vergleichbar ist (sogenannte Solange-I-Entscheidung).
  • 1986, als es einen Konsens über europäische Grundrechte gab, änderte Karlsruhe seine Linie: Die Richter wollten kein Gemeinschaftsrecht mehr überprüfen, solange der EuGH einen gleichwertigen Grundrechtsschutz gewährleistet (Solange II-Entscheidung).
  • 1993 stellte das Bundesverfassungsgericht im „Maastricht-Urteil“ zum EU-Vertrag klar, dass die europäische Einigung dort ihre Grenzen hat, wo die Demokratie ausgehöhlt wird. Es dürften also nicht so viele Befugnisse verlagert werden, dass der gewählte Bundestag entmachtet wird.
  • Im Jahr 2000 setzte dann die „Bananenmarkt-Entscheidung“ Verfassungsbeschwerden gegen EU-Recht hohe Hürden. Sie seien nur dann zulässig, wenn die Kläger begründen könnten, dass der Schutz der Grundrechte generell unter den Standard des Grundgesetzes abgesunken ist, legten die Karlsruher Richter fest.
  • 2009 stellten die Richter mit Blick auf den Lissabon-Vertrag klar, dass das Grundgesetz keinen europäischen Bundesstaat erlaubt. Sie behielten sich vor, Rechtsakte der EU darauf zu prüfen, ob sie über die durch die Verträge zugewiesenen Kompetenzen hinausgehen.
  • Im Juli 2010 musste sich Karlsruhe damit auseinanderzusetzen, ob der EuGH mit einem Urteil zum deutschen Arbeitsrecht seine Kompetenzen überschritten hatte. Die Richter nahmen sich jedoch zurück: Sie wollen nur dann noch kontrollierend eingreifen, wenn ein Unionsakt offensichtlich kompetenzwidrig ist und das Machtgefüge in der EU verschiebt.
  • Im Dezember 2015 verhinderten die Verfassungsrichter, dass ein europäischer Haftbefehl vollstreckt wurde. Begründung damals: Die Anwendung des Unionsrechts hat zwar Vorrang – aber wenn der Kern des Grundgesetzes (Verfassungsidentität) berührt ist, gibt es Grenzen.

Eines machte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, in dem Urteil deutlich: „Die Europäische Zentralbank unterliegt wie jede europäische Institution kompetenzbeschränkenden Regeln, deren Einhaltung von Gerichten kontrolliert werden kann.“

(dpa/avd)