Die EZB-Politik zerstört die Sparguthaben. (Bild: imago images/Panthermedia; bearb.: BK)
EZB

Draghis fatales Erbe

Kommentar Es wird immer deutlicher: Die Niedrigzinspolitik sowie die Wertpapierkäufe der EZB haben katastrophale Auswirkungen, nicht nur für Sparer. Schulden-Staaten werden belohnt, dringend notwendige Reformen dort verhindert. Immer mehr Banken warnen.

Derzeit verlangt die Europäische Zentralbank (EZB) von Geschäftsbanken 0,4 Prozent Zinsen für geparkte Gelder. EZB-Präsident Mario Draghi hatte angedeutet, dass es neue Anleihenkäufe geben und dass dieser negative Einlagensatz weiter ins Minus gesenkt werden könnte – möglicherweise schon bei der nächsten EZB-Sitzung am 12. September. Der Strafzins soll Banken dazu bringen, mehr Kredite zu vergeben und so die Wirtschaft anzukurbeln. Ein Trugschluss?

Der Bock als Gärtner?

Kaum jemand spricht es offen aus, fast niemand will es hören: Aber ausgerechnet einen Banker aus einem der größten Schuldenstaaten Europas, den Italiener Mario Draghi, zum EZB-Präsidenten zu machen, das war vielleicht nicht die schlaueste Entscheidung der EU.

Unter Mario Draghi hat die EZB eine ultraexpansive Geldpolitik betrieben, die in Südeuropa viele Probleme verschleiert hat.

Markus Ferber, MdEP

Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber bilanzierte: „Unter Mario Draghi hat die EZB eine ultraexpansive Geldpolitik betrieben, die im Ergebnis wenig gebracht hat, aber gerade in Südeuropa viele Probleme verschleiert hat.“ Kaum Reformen, neue Schulden. Die Ära der Negativzinsen müsse unter der designierten EZB-Chefin Christine Lagarde ein Ende finden. Ferber weiß, wovon er redet: Mit einer ähnlichen Wirkung wie die EZB-Politik hat auch der deutsche Länderfinanzausgleich letztlich nur dazu geführt, dass die Empfängerländer keine Reformen ihrer schlechten Wirtschaftspolitik durchführten. Kein Land außer Bayern bemühte sich, vom Empfänger- zum Zahlerland zu werden, da Leistung nur bestraft und nicht belohnt wurde.

Das ist verwunderlich. Hatte Draghi doch früher als Gouverneur der italienischen Notenbank immer wieder italienische Regierungen zu notwendigen Strukturreformen aufgefordert. Und 2015 mahnte er schon als EZB-Chef vor verschleppten Strukturreformen in Griechenland. Vergangenheit.

Andere negative Auswirkungen

Klarer als Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing kann man auch die weiteren negativen Folgen von Draghis verfehlter Politik kaum anprangern: „Langfristig ruinieren diese Niedrigzinsen das Finanzsystem.“ Und weiter: „Gesamtwirtschaftlich wird eine weitere Zinssenkung auf dem aktuellen Niveau verpuffen. Sie wird lediglich die Vermögenspreise weiter in die Höhe treiben und die Sparer weiter belasten.“

Schon jetzt belaste die EZB-Zinspolitik die Branche enorm, betonte Sewing. „Allein uns als Deutsche Bank kosten die negativen Einlagenzinsen einen hohen dreistelligen Millionenbetrag in diesem Jahr. Auf vier Jahre hochgerechnet sind das deutlich mehr als zwei Milliarden Euro“, rechnete er vor. Bereits jetzt kostet der Negativzins allein Banken in Deutschland rund 2,3 Milliarden Euro im Jahr.

Wir haben schon lange darauf hingewiesen, dass die Auswirkungen eines Tages die breite Bevölkerung erreichen werden.

Helmut Schleweis, Sparkassenverband

Deutsche Bank halt, könnte man meinen. Aber auch die kleinen Institute sind gefährdet. Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) verursache „immense betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Kosten“, sagte auch der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), Helmut Schleweis, dem Handelsblatt. „Das muss jemand bezahlen. Die Möglichkeiten der Sparkassen, das abzupuffern, sind endlich.“ Die EZB setze mit ihrer Negativzinspolitik „die bisherigen wirtschaftlichen Spielregeln außer Kraft“, stellte Schleweis fest. „Wir haben schon lange darauf hingewiesen, dass die Auswirkungen eines Tages die breite Bevölkerung erreichen werden.“

Die Zentralbanken hätten auch kaum noch Mittel, „um eine echte Wirtschaftskrise wirkungsvoll abzudämpfen“, so der Deutsche-Bank-Chef Sewing bei einer Bankentagung in Frankfurt. „Sie haben bereits jetzt den Geldhahn bis zum Anschlag aufgedreht – allen voran die Europäische Zentralbank.“ Angesichts der sich deutlich eintrübenden Konjunktur warnte der Deutsche-Bank-Chef: „Auf eine ernsthafte Wirtschaftskrise ist die Welt nicht gut vorbereitet – und Europa schon gar nicht.“

Ändert sich die EZB-Politik nach Draghi?

Immerhin: Die designierte EZB-Präsidentin, die Französin Christine Lagarde, – auch sie aus einem der größten Schuldenstaaten – kennt die Auswirkungen der Niedrigzinsen in Europa. „Wir müssen die negativen Folgen und Nebeneffekte im Blick behalten“, mahnte die 63-Jährige jüngst im Europaparlament in Brüssel. Die Sorgen der Leute müssten beachtet werden.

Gleichzeitig machte sie aber klar, dass sie die sehr lockere Geldpolitik für absehbare Zeit für nötig hält, da die Eurozone wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt sei, während die Inflation niedrig sei. Die Entscheidungen der Notenbank will sie künftig nur besser erklären. Es komme darauf an, „etwaige kurzfristige Nachteile und langfristige Vorteile von Entscheidungen zu kommunizieren“, und das nicht nur für Markt- und Finanzakteure. Ob den deutschen Sparern damit gedient ist, dass sie jetzt besser verstehen, warum die EZB ihre Guthaben zugunsten der Schuldenstaaten vernichtet?

Der Norden zahlt

Die Folgen der EZB-Politik sind nicht nur in Deutschland schon länger fatal: Sparguthaben werfen bis auf wenige Ausnahmen keine Zinsen mehr ab. Sparer aus Deutschland, Österreich und anderen nordeuropäischen Staaten haben durch die Niedrigzinsen bereits Milliarden verloren. Viele flüchteten in riskante Geschäfte oder in Immobilienkäufe, was die Preise auf dem Wohnungsmarkt explodieren ließ. Banken zahlen Milliarden an Strafzinsen und geben diese Kosten natürlich an ihre Kunden weiter, bisher meist nur an Unternehmen oder große Investoren. Zum Teil aber auch über höhere Kontoführungsgebühren an jeden einzelnen Privatkunden.

Auf eine ernsthafte Wirtschaftskrise ist die Welt nicht gut vorbereitet – und Europa schon gar nicht.

Christian Sewing, Deutsche Bank

Die EZB sieht das anders: Die Maßnahmen der Notenbank hätten die Wirtschaft in Europa seit der Finanzkrise angekurbelt, sagte Lagarde. Etwa 11 Millionen neue Jobs seien entstanden. Überprüfen lässt sich die alleinige Kausalität aber nicht wirklich, auch andere Ursachen könnte es dafür geben.

Die Bundesregierung lotet nun nach einem Vorschlag von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ein mögliches Verbot von Strafzinsen für Kleinsparer auf juristische Machbarkeit aus. Ob das sinnvoll ist? Schließlich kalkulieren auch Banken und Sparkassen wie andere Kaufleute ihre Preise und Entgelte auf Grundlage des Marktumfeldes in eigener Verantwortung. Natürlich klagen Banken schnell über angebliche Risiken, auch wenn sie noch deutlich in der Gewinnzone sind. Zwingt man sie aber dauerhaft zu unwirtschaftlichen Praktiken, könnte das mittel- oder langfristig ihre Stabilität gefährden, warnen auch die der Gier eher unverdächtigen Sparkassen, Volks-, Raiffeisen- und Genossenschaftsbanken.

Es bleibt nur eine Lösung: Die EZB muss ihre Politik ändern, wie es auch der einzige Draghi-Dauerkritiker, Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, immer angemahnt hat. So schlecht ist Deutschland mit der Geldpolitik der Bundesbank ja nicht gefahren.