Ernste Gesichter bei der SPD. (Bild: Imago)
SPD-Parteitag

Nervöse Genossen

Auf dem Parteitag in Berlin zeigt sich die SPD nervös und aufgekratzt. Während die Mitglieder davonlaufen und die Partei im 25-Prozent-Ghetto feststeckt, hält eine relative Mehrheit der Genossen Außenminister Steinmeier für den besseren Kanzlerkandidaten im Vergleich mit Parteichef Gabriel. Derweil feuert frustriertes Personal auf die Union und beschädigt damit die große Koalition im Bund.

Angesichts drohender Streitigkeiten über die Asylpolitik auf dem dreitägigen Berliner Parteitag sowie Zweifeln an der Kanzlertauglichkeit des Parteichefs Sigmar Gabriel üben sich Genossen aus der zweiten Reihe in Ablenkungsmanövern: Sie schlagen heftig auf den Partner der großen Koalition im Bund ein, vor allem auf die CSU.

So meint der ewig schlechtgelaunt aussehende Parteilinke und Bundesvize Ralf Stegner aus Schleswig-Holstein, unterstellen zu müssen, dass „die CSU ihre eigene Kanzlerin demontiert und sich flegelhaft benimmt“. Gleichzeitig sendete er den Hilferuf an die 600 SPD-Delegierten: Sigmar Gabriel habe ein gutes Ergebnis als SPD-Chef verdient, sagte Stegner in der Welt. „Wir haben einen Vorsitzenden, an dem man sich gelegentlich reiben kann, weil er echte Überzeugungen hat und Probleme nicht aussitzt.“ Ausgerechnet den dauernden Zickzack-Kurs Gabriels als „echte Überzeugung“ zu bezeichnen, zeugt schon von ziemlichem Realitätsverlust.

Stegners Kritik an der CSU wirkt unlogisch und wirr

Ähnlich wirr konstruiert Stegner Kritik am Kurs der Union in Sachen Flüchtlingskrise und Asylpolitik. Schon bemerkenswert, wenn ausgerechnet er, dessen rot-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein weit weniger Flüchtlinge aufgenommen hat, als dem Land laut Königsteiner Schlüssel zugekommen wären, der Union vorwirft, in der Flüchtlingskrise zu wenig gegen Rechtsextremismus zu tun. „Da versagen die Konservativen komplett. Die SPD ist momentan die Partei, die Deutschland zusammenhält“, meint Stegner zu wissen. Also ist das lang anhaltende Ignorieren der SPD von Problemen in der Asylfrage und das Blockieren des bereits vereinbarten Asylpakets II ist laut Stegner das, was „Deutschland zusammenhält“.

Herr Stegner trägt wohl erneut schwer daran, dass er, nachdem die glücklose Frau Fahimi abberufen wurde, wieder nicht SPD-Generalsekretär wird. Solche unterirdischen Typen nimmt nicht mal die SPD. Stegner soll sich mal keine Gedanken um die CSU machen, sondern vielmehr um die 25-Prozent-SPD.

Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär

Grotesk wirkt dieser Vorwurf vor allem deshalb, weil Stegner die reale Gefahr durchaus erkennt, dass die deutsche Unterschicht – klassische Wählerklientel der SPD – die Hauptlast des millionenfachen Flüchtlingszustroms zu tragen haben wird: Bei der Konkurrenz um schlecht qualifizierte Arbeitsplätze und Sozialwohnungen, bei der Arbeitsagentur, beim Sozialamt und so weiter. Der Ulmer Professor Franz-Josef Radermacher hat das bereits beim CSU-Zukunftskongress in Nürnberg klar analysiert. Stegner formuliert das in der Welt so: Die Politik müsse höllisch aufpassen, dass sich keine Debatte nach dem Motto breitmache: „Ihr tut alles für die Flüchtlinge, aber nichts für uns.“ Das würde den Rechtspopulisten in die Hände spielen. Aber warum er dann ausgerechnet der CSU, die den Zustrom ja begrenzen will, vorwirft, die Rechtsextremisten zu stärken, ist in sich nicht logisch.

SPD steckt tief im 25-Prozent-Ghetto fest, Mitglieder laufen davon

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer antwortete dem dauerfrustrierten SPD-Vize folgendermaßen: „Herr Stegner trägt wohl erneut schwer daran, dass er, nachdem die glücklose Frau Fahimi abberufen wurde, wieder nicht SPD-Generalsekretär wird. Solche unterirdischen Typen nimmt nicht mal die SPD. Stegner soll sich mal keine Gedanken um die CSU machen, sondern vielmehr um die 25-Prozent-SPD.“ Denn in der Tat haben die jüngsten Umfragen bestätigt, dass die SPD von der Auseinandersetzung zwischen CSU sowie Teilen der CDU und Kanzlerin Merkel um eine Zuwanderungs-Obergrenze nicht profitieren kann: Sie kann nach wie vor nur auf 23,5 Prozent, 24 oder 25 Prozent hoffen (Jüngste Umfragen von INSA, Forsa bzw. dimap).

Massiver Mitgliedeschwund kommt dazu: Die SPD hat nur noch 446.000 Mitglieder, der tiefste Stand seit Gründung der Bundesrepublik.

Gleichzeitig spricht sich mit 44 Prozent eine relative Mehrheit der SPD-Anhänger für den blass wirkenden, aber vergleichsweise soliden Außenminister Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidaten aus. Das ergab eine Umfrage von Infratest-dimap. Eine Watschn für Parteichef Gabriel, der laut Stegner Erstzugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur hätte. Massiver Mitgliedeschwund kommt dazu: Die SPD hat nur noch 446.000 Mitglieder, der tiefste Stand seit Gründung der Bundesrepublik. In den 1970er Jahren, während der Willy-Brandt-Euphorie, gab es über eine Million SPD-Genossen.

Murren auch aus Hessen

Auch aus der hessischen SPD-Provinz hört man unzufriedene Stimmen. „Chaostage“ diagnostiziert der SPD-Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel in der Union. Nur die SPD, die halte seit 152 Jahren „Deutschland zusammen“, behauptet er historisch überaus fragwürdig in der FAZ. Man denke nur an die große Ablehnung in der SPD (bis auf Willy Brandt und wenige andere Ausnahmen) zur Wiedervereinigung 1989 und 1990. Auffällig der übereinstimmende Wortlaut zwischen Schäfer-Gümbel und Stegner – gut möglich, dass diese Phrase im SPD-Vorstand als Sprachregelung ausgegeben wurden.

Überraschung: Die SPD will mal wieder neue Schulden machen.

Auch Schäfer-Gümbel thematisiert das Problem der sozialen Schieflage angesichts des millionenfachen Flüchtlingszustroms: „Wir sind diejenigen, die dafür Sorge tragen, dass Flüchtlinge und andere, die auch auf der Suche nach Arbeit und bezahlbarem Wohnraum sind, nicht gegeneinander ausgespielt werden“, sagt er. Gleichzeitig begeht der Hesse denselben Fehler wie die meisten Genossen vor ihm: Er will angesichts dieser Herausforderungen eine stärkere Neuverschuldung, um staatliche Ausgaben anzuheizen – und das Wahlvolk ruhigzustellen. Vor allem angesichts der Flüchtlingskrise sei die Schwarze Null „kein Dogma“, behauptet er. Beschleunigte Abwärtsspirale in den Schuldenstaat also, weil die 25-Prozent-SPD ihre Felle davonschwimmen sieht.

Außenpolitik im Schatten des IS-Terrors

Zu Beginn des Parteitags debattierte die SPD stundenlang über den außenpolitischen Leitantrag, der im Schatten des deutschen Militäreinsatzes gegen den IS steht. Außenminister Steinmeier verteidigte die heikle Bundeswehr-Mission gegen die Terrormiliz IS und rief seine Genossen zu Mut in der Außenpolitik auf. Deutschland könne nicht nur das Vorgehen der anderen kommentieren, sagte Steinmeier. Deutschland trage Verantwortung. „Deshalb können wir nicht ausweichen“, sagte der Außenminister.

Es wird nur eine politische Lösung für den Syrien-Krieg geben. Aber ich kann doch nicht die Augen davor verschließen, dass ISIS eine politische Lösung nicht will.

Frank-Walter Steinmeier, Außenminister, SPD

Der Bundestag hatte am vergangenen Freitag den Weg frei gemacht für den Einsatz deutscher Soldaten gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Die Bundeswehr soll die Kampfjets der Anti-IS-Koalition in Syrien und im Irak mit Aufklärungsflügen unterstützen, selbst aber keine Bomben abwerfen. Am Donnerstag machten sich die ersten Bundeswehr-Flugzeuge von Deutschland auf den Weg in den Einsatz. Das Mandat gilt bis Ende 2016 und erlaubt die Entsendung von bis zu 1200 Soldaten. In den Reihen der Sozialdemokraten hatte es einige Zweifel an dem Einsatz gegeben. Bei der Bundestagsabstimmung hatten 31 SPD-Abgeordnete mit Nein votiert oder sich enthalten. Auch beim Parteitag meldeten sich einige pazifistische Kritiker zu Wort. Unter anderen beklagte die frühere Entwicklungsministerin und Parteilinke, Heidemarie Wieczorek-Zeul, für die Mission fehle ein UN-Mandat mit einem klaren Ziel. Der militärische Kampf sei eine „Ersatzlösung, die gefährliche Elemente hat“.

Steinmeier ruft SPD-Pazifisten zur Realität

Steinmeier räumte ein, keiner der aktuellen Konflikte könne militärisch gelöst werden. Das gelte auch für den Kampf gegen den IS. „Es wird nur eine politische Lösung für den Syrien-Krieg geben“, betonte er. „Aber ich kann doch nicht die Augen davor verschließen, dass ISIS eine politische Lösung nicht will“, beschwor er den pazifistisch-utopistischen Teil seiner Genossen. Mit „Selbstmordkommandos“ ließen sich keine Friedensgespräche führen. Politik und Diplomatie müssten den Ton angeben, mahnte er. Deutschland dürfe sich aber auch beim militärischen Engagement nicht raushalten. An die Sozialdemokraten appellierte er: „Lasst uns nicht das eine gegen das andere ausspielen.“

Auch Altkanzler Gerhard Schröder appellierte bei seinem ersten Auftritt auf einem SPD-Parteitag seit acht Jahren an die Sozialdemokraten, sich entschlossen für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit einzusetzen. Er erinnerte an die gestorbenen SPD-Politiker Helmut Schmidt und Egon Bahr sowie den ebenfalls gestorbenen Schriftsteller Günter Grass: „Ihr Antrieb lautete, ohne Frieden ist alles nichts.“ Diese Maxime habe das Handeln dieser großen Persönlichkeiten bestimmt und sei deren Vermächtnis. „Ihr Tod ruft uns in Erinnerung, was uns Sozialdemokraten im Kern zusammenhält – und was uns von anderen unterscheidet“, sagte er. „Lasst uns das nicht vergessen.“

dpa/wog