Sie maßen sich nach Meinung der Union zu viele Kompetenzen an: Die Bundesverfassungsrichter. Bild: Stockhoff/imago
Bundesverfassungsgericht

Richter sind keine Gesetzgeber

Die Kritik am Bundesverfassungsgericht wird schärfer: Hochrangige Abgeordnete von CDU und CSU sind mit vielen Urteilen des höchsten deutschen Gerichts unzufrieden und kritisieren einen angemaßten Gestaltungsanspruch der Richter.

Grundtenor der Kritik: Das Verfassungsgericht maßt sich über die reine Überprüfung von Gesetzen an den Maßstäben des Grundgesetzes hinaus Kompetenzen an, die es nicht hat. Genauer: Es reklamiert mit vielen seiner Entscheidungen einen Gestaltungsanspruch, der in die Domäne der Politik und der gewählten Abgeordneten gehört.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) kritisiert einen „deutlich erkennbaren Gestaltungsanspruch“ der Karlsruher Richter in „hochpolitischen Fragen“. Als Konsequenz plädiert er für eine Grundgesetzänderung, um den Einfluss der Richter einzudämmen. Bei seiner Kritik bezieht sich Lammer vor allem auf Wahlrechtsentscheidungen des Gerichts.

Die Entscheidung, die Fünfprozenthürde bei Kommunalwahlen aufzuheben, habe „ruinöse Folgen“ für die Entscheidungsfindung auf kommunaler Ebene, sagte Lammert der Welt am Sonntag. „Die Verdoppelung der Beratungszeit bei gleichzeitiger Reduzierung der Erfolgsaussichten ist tödlich für die Bereitschaft zum ehrenamtlichen politischen Engagement.“

Lammert fordert Verfassungsänderung

„Wir haben hier eine der wenigen wirklichen Lücken in der Verfassung“, so Lammert. Das Grundgesetz schweige „zu den Grundsätzen des Wahlsystems, zur Frage nach Mehrheits- oder Verhältniswahlrecht, nach Sperrklauseln oder dem Ausgleich von Überhangmandaten“. Diese Lücke verleite das Gericht dazu, in den Spielraum des Gesetzgebers einzugreifen.

Schon 2013 hatte sich Lammert gegen eine als arrogant und gönnerhaft empfundene Äußerung des SPD-nahen Gerichtspräsidenten Andreas Voßkuhle gewandt. Voßkuhle hatte gesagt, das Gericht wolle die Arbeit des Bundestags „fordernd und fördernd“ begleiten – ganz so, als wäre Karlsruhe die Erzieherin des Parlaments. Lammerts Antwort lautete damals, das Verfassungsgericht sei eines von fünf Verfassungsorganen, aber nicht das höchste. Dabei ist der Bundestag das einzige Verfassungsorgan, dessen Mitglieder direkt vom Volk gewählt werden, was ihm eine besondere Legitimation verleiht.

Noch eine Spur schärfer fällt die Kritik des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok (CDU), aus. Er griff das Gericht wegen der Abschaffung der Dreiprozenthürde bei Europawahlen an. „Mit dem Urteil schwächt Deutschland sich selbst“, kritisiert er. Einerseits klage das Verfassungsgericht über zu wenig Demokratie in der Europäischen Union, andererseits hindere es das Parlament daran, „vernünftige demokratische Kontrolle auszuüben“. In dem Urteil komme „die Verachtung einiger Richter für Politik zum Ausdruck“, sagte Brok.

Fehlurteile: Erbschaftsteuer und Kopftuch

Die Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, kritisiert: „Das Bundesverfassungsgericht legt seinen Auftrag in den letzten Jahren besonders weitreichend aus. Das Gericht versucht relativ stark in die politische Entscheidungsfreiheit einzugreifen.“ Zugleich setze das Verfassungsgericht „fast unlösbare Aufgaben“ für den Gesetzgeber. Hasselfeldt: „Das sehe ich kritisch.“ Karlsruhe sei nicht der „bessere Gesetzgeber“.

Hasselfeldt nennt das Urteil zur Erbschaftsteuer und das Kopftuchurteil – diese hätten sie „sehr irritiert“. Bei der Erbschaftsteuer fordere das Verfassungsgericht jetzt eine Bedürfnisprüfung. „Das ist ein Begriff aus dem Sozialrecht, den das Steuerrecht eigentlich nicht kennt.“

Es mache eine ordnungspolitisch saubere Lösung schwierig, nun plötzlich ein „artfremdes Instrument“ in das Erbschaftsteuerrecht einzuführen. „Solche konkreten politischen Vorgaben sind aus meiner Sicht nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts“, so Hasselfeldt. Und ein weiteres Beispiel: „Beim Kopftuch-Urteil trägt das Bundesverfassungsgericht die Konflikte in die Schule. Das ist kontraproduktiv.“

Staatliche Neutralität verbietet Kopftuch bei Lehrerinnen

Das Kopftuch-Urteil nimmt auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer, ins Visier. Das Gericht hatte erklärt, eine ab­strakte Gefahr für den Schulfrieden und die weltanschauliche Neutra­lität der Schule genüge nicht für ein Verbot.

Mayer ist anderer Meinung: „Meines Erachtens reicht das Bestehen einer abstrakten Gefahr für ein Verbot aus. Nur so kann der Gesetzgeber mit der gebotenen Klarheit regeln, wie das staatliche Neutralitätsgebot in den Schulen umgesetzt wird. So können alle grundrechtsrelevanten Belange zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden.“

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer kritisiert am Bundesverfassungsgericht einen Mangel an Respekt vor der grundgesetzlich verbrieften Gewaltenteilung. „Keiner wird die Gewaltenteilung in unserem Staat hinterfragen“, betont Scheuer.

„Karlsruhe muss wieder stärker respektieren, dass die gesellschaftlichen Grundentscheidungen durch den Gesetzgeber, durch Politik und Parlament getroffen werden. Das Bundesverfassungsgericht sollte nicht das Geschäft der Politik miterledigen wollen, sondern sich wieder verstärkt ausschließlich auf die Rechtsprechung konzentrieren.“