Das Fußball-Länderspiel Deutschland-Niederlande in Hannover musste wegen konkreter Terrorgefahr abgesagt werden. (Foto: imago/Ulmer)
Europa im Visier

Im Zeichen des Terrors

In Hannover muss das Länderspiel Deutschland-Niederlande abgesagt werden, in Paris liefert sich die Polizei stundenlange Feuergefechte mit mutmaßlichen Terroristen, in Istanbul nimmt die türkische Polizei acht Terrorverdächtige fest, die auf dem Weg nach Deutschland waren: Europa steht unter Terror-Schock. Unterdessen haben die französischen Behörden alle 129 Todesopfer vom Freitag identifiziert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Absage des Fußball-Länderspiels zwischen Deutschland und den Niederlanden wegen Terroralarms verteidigt. Die Sicherheitsbehörden hätten eine richtige und verantwortliche Entscheidung getroffen und sich im Zweifel für Sicherheit entschieden, sagte Merkel. „Ich war genauso traurig wie Millionen Fans, dass diese Absage erfolgen musste. Aber die Sicherheitsbehörden haben eine verantwortliche Entscheidung getroffen. Gestern ist sie, und das ist richtig, im Zweifel für die Sicherheit getroffen worden“, sagte die Kanzlerin.

Es ist noch einmal deutlich geworden, dass es gut ist, dass wir die Sicherheitsbehörden haben.

Angela Merkel

Merkel dankte ausdrücklich der Polizei und den Fußballfans in Hannover für ihre besonnene Reaktion auf die Absage. „Es ist noch einmal deutlich geworden, dass es gut ist, dass wir die Sicherheitsbehörden haben.“ Denn es sei wichtig, auch in Zukunft Großveranstaltungen wie Fußballspiele in Deutschland abhalten zu können. „Deshalb ein ganz herzliches Dankeschön an alle, die für unsere Sicherheit sorgen.“ Zuvor hatte das Bundeskabinett über die Sicherheitslage beraten.

Auch Deutschland im Fadenkreuz

Ähnlich äußerte sich der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU):

Die Absage des Fußballländerspiels in Hannover hat uns eindrucksvoll vor Augen geführt, dass auch Deutschland im Fadenkreuz des internationalen Terrorismus steht. Sie war vor dem Hintergrund der aktuellen Gefährdungslage und der konkreten Hinweise richtig und geboten.

Dem Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) bescheinigte Mayer, sie hätten „verantwortungsvoll und im Interesse der Bürger unseres Landes gehandelt und deutlich gemacht, dass deren Sicherheit an erster Stelle stehen muss“.

Mayer lobte, die Polizei habe „ruhig und besonnen, aber auch entschlossen reagiert, um eine Gefährdung von Menschen auszuschließen“. Ohnehin sei die Polizei in ganz Deutschland wegen „der hohen Gefährdungslage und der aktuellen Flüchtlingssituation schon weit über das übliche Maß im Einsatz“, so Mayer. „Wir werden auch weiterhin auf absehbare Zeit mit dieser hohen Bedrohungslage leben müssen. Gleichzeitig müssen wir aber deutlich
machen, dass wir uns unser tägliches Leben und unsere Freiheiten nicht vom islamistischen Terror nehmen lassen“, betonte Mayer.

Keine Gefahr mehr für Bevölkerung

Nach der Absage des Fußball-Länderspiels in Hannover besteht für die Bevölkerung in der niedersächsischen Landeshauptstadt nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden keine Gefahr mehr. „Es gibt Stand heute keine akuten, keine konkreten Hinweise darauf, dass eine weitere Gefährdung in Hannover besteht“, sagte Innenminister Boris Pistorius (SPD). Möglicherweise habe die Spielabsage dazu geführt, dass es keinen Anschlag gegeben habe. „Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn wir nicht abgesagt hätten“, sagte Pistorius weiter.

Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bezeichnete die Absage vom Vorabend als richtigen Schritt. Sie sei wegen „konkreter Hinweise auf konkrete Gefahren“ gerechtfertigt gewesen. „Die Sicherheitslage in Niedersachsen ist stabil“, sagte Weil weiter. Auch für die demnächst öffnenden Weihnachtsmärkte hat sich die Lage nach Einschätzung von Innenminister Pistorius nicht geändert.

Keine Sprengstoff-Funde, nur Bomben-Attrappe im IC

Festnahmen oder Sprengstofffunde hatte es am Dienstagabend und in der Nacht zum Mittwoch nicht gegeben. Ein verdächtiger Gegenstand, der am Abend in einem IC entdeckt hatte, stellte sich nach Polizeiangaben als Attrappe heraus. Bei der Suche nach dem Mann, der das Paket in dem Zug abgestellt hatte, wertet die Bundespolizei Videoaufzeichnungen aus. Ein Reisender hatte das Paket in dem Zug bemerkt und den Unbekannten darauf aufmerksam gemacht, dass er etwas vergessen habe. Der Mann reagierte darauf aber nicht, sondern verließ den Zug und flüchtete.

Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.

Thomas de Maizière, Bundesinnenminister

Das Fußball-Länderspiel zwischen Deutschland und den Niederlanden war rund 90 Minuten vor dem geplanten Anpfiff wegen Hinweisen auf einen möglichen Anschlag abgesagt worden. Nach Medien-Informationen aus Sicherheitskreisen kamen die Hinweise von einem ausländischen Geheimdienst. Hannovers Polizeipräsident Volker Kluwe sagte: „Wir haben konkrete Hinweise gehabt, dass jemand im Stadion einen Sprengsatz zünden wollte.“ Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wollte sich bislang nicht näher zu den Hinweisen äußern und bat die Bevölkerung um einen „Vertrauensvorschuss“. De Maizière wörtlich: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“

Istanbul: Wollten die Terrorverdächtigen auf der Flüchtlingsroute nach Deutschland?

In Istanbul wurden acht IS-Kämpfer festgenommen, die als Flüchtlinge getarnt nach Deutschland reisen wollten. Das berichtet die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Am Flughafen Atatürk in Istanbul habe die Antiterror-Einheit „Inat Timi“ acht Männer festgenommen, die verdächtigt werden, im Auftrag der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der Reise nach Deutschland gewesen zu seien. Die Männer seien aus dem marokkanischen Casablanca nach Istanbul gereist. Von der Türkei aus wollten sie über die Flüchtlingsroute nach Deutschland weiterreisen, schreibt Anadolu unter Berufung auf türkische Sicherheitskreise.

Die Polizei habe bei der Einreise der Männer festgestellt, dass ihre Hotelbuchungen gefälscht gewesen seien. Ein Papier, das die Gruppe mit sich geführt haben soll und das Anadolu als Foto verbreitete, zeigt eine aufgemalte Route, die von Istanbul nach Izmir und dann mit dem Boot nach Griechenland und schließlich über Serbien nach Deutschland. Auf dem Plan waren demnach auch Schmugglerboote, Zugverbindungen und Busreisen aufgelistet.

Marokkaner brauchen für den Schengen-Raum ein Visum. In die Türkei können sie dagegen visafrei einreisen. Anadolu berichtete unter Berufung auf nicht näher genannte Polizeiquellen, die festgenommenen Marokkaner würden verdächtigt, Verbindungen zur Terrormiliz IS zu haben. Marokkanische Behörden haben in dieser Woche bereits vier IS-Verdächtige festgenommen.

Paris-St. Denis: Schießerei und Belagerung beendet, zwei Tote

Unterdessen sind bei einem siebenstündigen Polizeieinsatz gegen Komplizen der Attentäter von Paris zwei Verdächtige ums Leben gekommen. Eine Frau sprengte sich in die Luft, als Spezialkräfte eine Wohnung in Saint-Denis nördlich von Paris stürmten. Ein weiterer Mann sei von Schüssen und Granaten tödlich verletzt worden, sagte Staatsanwalt François Molins. Die Polizei hatte demnach Hinweise, dass sich der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge von Paris, Abdelhamid Abaaoud, in der Wohnung aufhalten könnte.

Sieben Personen wurden festgenommen, darunter ein Mann, der die Wohnung als Unterkunft zur Verfügung gestellt hatte, sowie eine seiner Bekannten. Die Identität der mutmaßlichen Terroristen war zunächst noch nicht geklärt. Fünf Mitglieder einer Spezialeinheit wurden bei dem Einsatz leicht verletzt, wie die Polizei mitteilte. Der Zugriff hatte gegen 4.30 Uhr begonnen dauerte rund sieben Stunden. Zwischenzeitlich waren Explosionen zu hören, außerdem fielen viele Schüsse.

Fahndung nach zwei mutmaßlichen Haupttätern

Währenddessen saßen nach Einschätzung 15.000 bis 20.000 Anwohner in ihren Wohnungen fest, wie der Beigeordnete Bürgermeister Stéphane Peu der Zeitung „Le Parisien“ sagte. Er berichtete von einem fast ununterbrochenen Schusswechsel, der eineinviertel Stunden gedauert habe. Etwa 15 Menschen, darunter Kinder, seien aus dem gestürmten Gebäude in Sicherheit gebracht worden. „Es gibt keine Verletzten unter den Bewohnern“, sagte Peu.

Der Zugriff richtete sich gegen den Islamisten Abaaoud, der als Drahtzieher der Anschläge vom Freitag mit 129 Todesopfern gesucht wird. Der 28-Jährige ist der meistgesuchte Islamist Belgiens. Er hat marokkanische Wurzeln und lebte früher in der Brüsseler Islamistenhochburg Molenbeek, zuletzt soll er sich in Syrien aufgehalten und für den IS gekämpft haben. Ob Abaaoud der Polizei ins Netz ging, war zunächst aber unklar. Die Polizei fahndet außerdem international nach dem 26-jährigen Franzosen Salah Abdeslam, den die französischen Ermittler für einen der Attentäter halten. Außerdem könnte nach Informationen aus Ermittlerkreisen möglicherweise noch ein weiterer Terrorist entkommen sein.

Alle 129 Todesopfer identifiziert

Die französischen Ermittler haben derweil alle 129 Todesopfer der Terroranschläge von Paris identifiziert, darunter zwei Deutsche. Bis Ende der Woche sollten auch alle Autopsien abgeschlossen sein, teilte der Élyséepalast in seiner Zusammenfassung der Kabinettssitzung in Paris mit. Jeweils nach der Autopsie stelle die Staatsanwaltschaft die nötigen Papiere für die Beisetzung der Toten aus. Islamistische Attentäter hatten am Freitagabend am Stade de France, im Musikclub „Bataclan“ und mehreren Bars und Restaurants im Osten von Paris zugeschlagen.

Weitere Luftangriffe auf Rakka

Auch in Syrien geht Frankreich weiter massiv gegen die Terrormiliz Islamischer Staat vor, die sich in einer nicht verifizierten Mitteilung zu dem Anschlag am Freitag mit 129 Todesopfern bekannt hatte. Bei Luftangriffen französischer Jets und durch Flugzeuge anderer Nationen auf die nordsyrische IS-Hochburg Al-Rakka wurden in den vergangenen drei Tagen mindestens 33 Extremisten getötet. Zudem gebe es Informationen über weitere Opfer, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Frankreichs Luftwaffe hatte nach der Terrorserie in Paris in den vergangenen Tagen massive Luftangriffe auf Stellungen der Terrormiliz Islamischer Staat in Al-Rakka und im Umland der Stadt geflogen. Dutzende Familien hochrangiger IS-Anführer seien wegen der Angriffe aus Al-Rakka gebracht worden, erklärte die Beobachtungsstelle weiter.

In Zusammenarbeit mit den USA will die Türkei nun auch die rund 100 verbleibenden Kilometer der Grenze zum Nachbarland Syrien schließen, wie US-Außenminister John Kerry auf CNN sagte. Es geht um einen Abschnitt im Nordwesten, der auf syrischer Seite unter Kontrolle der IS-Terrormiliz steht. Die Extremisten nutzen ihn als Nachschubroute.

Air France: Zwei Flugzeuge mussten umkehren

Zwei Flugzeuge der französischen Fluggesellschaft Air France wurden nach anonymen Drohungen auf Flügen von den USA nach Paris umgeleitet. Eine Maschine sei in Los Angeles gestartet und auf dem Weg nach Paris auf einen Flughafen in Salt Lake City im US-Staat Utah gelotst worden, teilte der Flughafen mit. Eine zweite Maschine mit 298 Menschen an Bord war von Washington nach Paris aufgebrochen, musste aber im kanadischen Halifax wieder landen. Beide Maschinen landeten sicher, die Passagiere konnten die Flugzeuge unverletzt verlassen.

dpa/wog