Bayern hilft mehr als jedes andere Bundesland, hier die Flüchtlingsversorgung in einer Unterkunft in Augsburg. Bild: Imago/epd/Annette Zoepf
Der Brief der Ordensleute

Was ist wahre christliche Asylpolitik?

Kommentar 45 Ordensobere haben in einem offenen Brief die Maßnahmen und Wortwahl von Horst Seehofer in der bayerischen Flüchtlingspolitik kritisiert. Am Gedenktag des heiligen Martin appellierten sie "die Rhetorik im Blick auf die Geflüchteten zu überdenken und jene als Schwestern und Brüder zu sehen, die in Not geraten sind". Ihre Thesen halten einer Überprüfung jedoch nicht stand.

Die Ordensleute sehen sich „gedrängt“, ihre Stimme für die Flüchtlinge erheben. Immerhin, nach weit mehr als einem Jahr Flüchtlingskrise. Man nehme „mit brennender Sorge“ wahr, wie auch in unserem Land „rechtsnationale Kräfte und Meinungen wieder sprach- und öffentlichkeitsfähig werden, die ein Klima der Angst und Bedrohung schüren und gegen Geflüchtete und Menschen anderer Religionen hetzen und inzwischen schon tätlich gegen sie vorgehen“. Weiter heißt es an Seehofer gerichtet: „Wir appellieren an Sie, dringend von einer Rhetorik Abstand zu nehmen, die Geflüchtete in ein zwielichtiges Licht stellt. Wir plädieren vielmehr dafür, in den politischen Debatten und Entscheidungen die Geflüchteten zuerst als Mitmenschen zu sehen, die als Schwestern und Brüder zu uns kommen und unsere Solidarität brauchen.“ Zudem plädieren die Unterzeichner gegen Transitzonen, für die Rücknahme der Einstufung der Westbalkan-Länder als sichere Herkunftsstaaten wegen der Korruption, Willkürherrschaft und Unterdrückung von Minderheiten dort und gegen die „oft menschenunwürdigen Zustände“ in den Flüchtlingsunterkünften. „Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Seehofer, deshalb dringend, die Kräfte in unserer Gesellschaft zu stärken, die in der jetzigen Situation eine Pflicht zum Handeln und eine Chance sehen, einen Maßstab von Menschlichkeit aufzurichten, der auf Solidarität und dem Einsatz für Benachteiligte fußt“, so der Brief weiter. „Abschottung, Grenzen und Begrenzungen sind für uns keine Lösung. Kreativität, guter Wille und eine Mentalität, die dem Teilen mehr zutraut als der Sorge nur für das eigene Wohlergehen, sind für uns zukunftsweisende Wege, für die wir uns einsetzen.“

Wie nun ist dieser Brief zu bewerten?

Seehofer wehrt sich

Ministerpräsident Horst Seehofer nimmt den Brief ernst. Er selbst und die CSU verwahrten sich im Landtag jedoch gegen den Vorwurf einer unchristlichen Politik. „Den Vorwurf der Unchristlichkeit und Unmenschlichkeit, das will ich nicht annehmen“, sagte der CSU-Chef unter stürmischem Beifall und „Bravo“-Rufen seiner Fraktion. „Ich denke, es ist jetzt vor allem notwendig, den Autoren die realen Inhalte der bayerischen Flüchtlingspolitik mitzuteilen. Wir betreiben eine Politik, die sehr christlich und sehr human geprägt ist“, so der Ministerpräsident. Er nannte neben der umfassenden Versorgung der Ankommenden auch das bundesweit einzigartige Integrationspaket als Beleg dafür. „Die Frage der Begrenzung der Zuwanderung bleibt für mich national und international ganz oben auf Tagesordnung“, widersprach er aber nicht nur den Ordensleuten.

Gewagte Thesen

Halten die Thesen der Ordensleute überhaupt einer Prüfung stand?  CDU und SPD haben die bisherigen Maßnahmen in Berlin mit beschlossen. Einen Brief haben diese Parteien jedoch nicht erhalten.

Der Ansturm auf deutsche und insbesondere bayerische Kommunen ist mittlerweile so groß, dass viele Kommunen sagen, sie hätten ihre Belastungsgrenze überschritten. Das gilt auch für ehrenamtliche Helfer, Polizisten und Behörden. Da der Flüchtlingszuzug anhalten dürfte und der Winter naht, kann zudem erwartet werden, dass sich die Situation noch deutlich verschlechtert. Ist es also überhaupt noch human und damit christlich, Flüchtlinge in Turnhallen, Traglufthallen, Sportstadien und bald Zeltstädten unterzubringen und die Helfer und Kommunen über Gebühr zu belasten? Und nächstes Jahr? Übernächstes Jahr?

Wie christlich ist es, Flüchtlinge in die Perspektivlosigkeit zu entlassen?

Wie christlich ist es, wenn sie dann als Flüchtlinge anerkannt werden, aber keine Wohnung finden, weil schlicht keine freien Wohnungen mehr da sind? Wie christlich ist es, sie in die Perspektivlosigkeit zu entlassen, weil man niemals alle Flüchtlinge, die in den letzten und den kommenden Jahren in Deutschland landen, in den Arbeitsmarkt integrieren kann – zum einen wegen fehlender Bildung und fehlender Qualifikationen, zum anderen schlicht wegen zu wenig Jobs.

Die Bibel lehrt nicht, unbegrenzt zu helfen

Man muss den Ordensleuten außerdem entgegen halten: Sankt Martin hat seinen Mantel geteilt und nicht den ganzen Mantel abgegeben. Denn dann wäre er vermutlich selbst erfroren. Auch der barmherzige Samariter gab dem Opfer der Räuber das, was notwendig war, die Wundversorgung, den Transport zur Herberge und die Bezahlung des Wirtes für die weitere Pflege. Nicht mehr, nicht weniger. Und heißt es nicht in der Bibel: „Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.“ Sich selbst soll man nicht vergessen, das heißt es nämlich auch. Die Bibel lehrt uns also nicht, unbegrenzt zu helfen, sondern im Rahmen unserer Möglichkeiten. Wie sagte doch kürzlich ein evangelischer Pastor und Bundespräsident namens Joachim Gauck: „Unsere Herzen sind weit, aber unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Dies findet sich auch in einem auf römischen Recht fußenden Grundsatz wieder: Niemand darf gezwungen werden, mehr zu leisten, als er leisten kann. Ein „zukunftsweisender Weg“ ist unbegrenztes Teilen jedenfalls nicht.

Ein Umkehrschluss

Am Wochenende war die katholische Kirche in die Kritik geraten, weil sich die Bistümer die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen in ihren Einrichtungen weitgehend vom Staat erstatten lassen. Bayerns Finanzminister Markus Söder hatte daraufhin mit dem Satz „Barmherzigkeit braucht keine Miete“ an die Kirche appelliert, für Flüchtlingsunterkünfte keine oder eine geringere Miete zu verlangen. Den Satz könne er nicht verstehen, sagte daraufhin Kardinal Reinhard Marx. „Die Miete dient ja der Barmherzigkeit“, weil ein Großteil der Einnahmen der Flüchtlingsarbeit in den jeweiligen Pfarreien zugute komme. Ihm sei unverständlich, warum Institutionen, die etwas für Flüchtlinge tun, in ein negatives Licht gestellt werden sollen. Genau diese Sätze von Kardinal Marx könnte man nun auf die Forderungen und Handlungen von Horst Seehofer ummünzen, die letztlich dem Erhalt der Christlichkeit dienen. Warum also sollen sie in ein negatives Licht gestellt werden?

Im Elfenbeinturm der Klostermauern?

Und eine Frage müssen sich die Ordensleute vor allem stellen lassen: Ist es christlich und Teil der im Brief gerühmten „Solidarität“, bei aller Nächstenliebe zu Flüchtlingen die faktisch Nächsten, nämlich die eigene Bevölkerung und ihre Sorgen, an den Rand zu drängen oder ganz zu vergessen? Solidarität ist keine Einbahnstraße nur für Flüchtlinge. Eine unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen überfordert unser Land in vielerlei Hinsicht und damit auch seine Bürger. Klar gesagt: Es wäre verantwortungslos und nicht christlich, die Einheimischen zu überfordern. Wie die Ordensleute schreiben, haben sie selber Kontakt zur Flüchtlingskrise und den Helfern. Sie sind also nicht im Elfenbeinturm ihrer Klostermauern gefangen, was eine solch einseitige Sicht erklären würde. Umso unverständlicher ist der Brief.

Die Wahrheit sieht anders aus

Das Plädoyer der Ordensleute gegen Transitzonen und die Liste der sicheren Herkunftsstaaten kommt reichlich spät, aber sei es drum. Die Transitzonen existieren noch gar nicht, sind also überhaupt noch nicht zu beurteilen. Und die Westbalkanländer sind EU-Beitrittskandidaten oder wollen dies werden und sie sind allesamt Demokratien. Natürlich haben sie ihre Schwächen und Fehler, aber es sind keine Willkürstaaten. Millionen Menschen dort leben gerne in diesen Ländern und verwahren sich dagegen, dass ihre Heimat als „unsicher“ bezeichnet wird. Zu erwarten ist außerdem, dass es in diesen Ländern im Zuge des EU-Beitrittsprozesses zu weiteren Verbesserungen kommen wird. Man sollte zudem nicht alles glauben, was „Flüchtlinge“ aus diesen Ländern erzählen.

Im Gegenteil bemühen sich unsere Kommunen um eine bestmögliche Unterbringung, die zudem weit über dem Standard der Herkunftsländer der Asylsuchenden liegt.

Wo die Ordensleute die „oft menschenunwürdigen Zustände“ in den Flüchtlingsunterkünften gesehen haben, wird nicht im Brief erwähnt. In Bayern jedenfalls dürfte das, abgesehen von unverschuldeten Extremsituationen durch unerwarteten Flüchtlingsansturm wie in Wegscheid, Simbach, Freilassing oder zeitweise München, kaum der Fall sein. Dort ist es eben genau der unbegrenzte Zuzug, der diese Zustände verursacht hat, das sollten sich die Ordensleute vor Augen führen. Im Gegenteil bemühen sich unsere Kommunen um eine bestmögliche Unterbringung, die zudem weit über dem Standard der Herkunftsländer der Asylsuchenden liegt. Dies als „menschenunwürdig“ zu bezeichnen, beleidigt ihre Anstrengungen – wie schon die wortgleiche Bezeichnung der Asylunterkunft im niederbayerischen Böbrach durch den selbsternannten Flüchtlingsrat, nur weil das Haus etwas abgelegen war. Eine solche Rhetorik stellt Menschen ins Zwielicht, nicht die klaren Worte von Seehofer.

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten.

Achtes Gebot

Diese angebliche Zwielicht-Rhetorik, die von den Unterzeichnern ähnlich wie von grünen Verbalhütern indirekt sogar in die Nähe von Rechtsradikalen gerückt wird, entpuppt sich ebenso als falsches Argument. Abgesehen davon, dass sich gerade Horst Seehofer immer deutlich und öffentlich von den braunen Wiedergängern distanziert hat, hat er auch ihre Sprache immer gemieden. In dem Brief wird auch gar nicht erläutert, wo Seehofer diese Grenze überschritten haben soll. Eine Begrenzung des Zuzugs, wie sie der Ministerpräsident fordert, ist wohl kaum darunter einzuordnen. Rechtsradikalen liegt zudem nichts ferner als eine Begrenzung, sei wollen einen totalen Aufnahmestopp. „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten“, heißt es im achten Gebot. Nur davon hat Seehofer Gebrauch gemacht. Er belügt die Bürger nicht über die wahren Zustände im Freistaat. Ganz nebenbei: Wir haben kein Wortschatzproblem, sondern eine Flüchtlingskrise zu lösen, die größte Herausforderung seit der Wiedervereinigung. Eine weitere Randnotiz: Die katholische Kirche in anderen Ländern wie beispielsweise Polen, einem Land, das nur Christen aufnehmen will und nicht mal annähernd so viel Hilfe leistet wie Bayern, hat sich noch nicht über die Sprache der Politiker dort beschwert.

Wo noch etwas zu tun wäre

Ministerpräsident Seehofer sieht „in der jetzigen Situation eine Pflicht zum Handeln“, nur anders als es die Ordensleute offenbar tun. Kein Bundesland nimmt so viele Flüchtlinge auf wie Bayern. Kein Bundesland hilft mehr. Das scheinen die Ordensleute irgendwie nicht mitbekommen zu haben. Auch die Kirchen und viele Gläubige helfen mit, was man nicht oft genug loben kann. Handeln ganz anderer Art, das wünscht man sich allerdings auch oft genug von der katholischen Kirche. Beispielsweise wenn man darauf hofft, sie würde sich mal etwas mehr für die weltweit am meisten verfolgte Minderheit, nämlich die Christen, einsetzen. Eine zugespitzte Frage muss erlaubt sein: Sind die zu mehr als zwei Dritteln muslimischen Asylsuchenden wichtiger? Eben jene Muslime, deren Integration hierzulande seit Jahrzehnten bei einem großen Teil gescheitert ist, obwohl sich Italiener, Ex-Jugoslawen, Griechen, Spanier oder Vietnamesen unter genau den gleichen Voraussetzungen gut integriert haben. Und diese gescheiterte Integration eines großen Teils der Muslime gibt es nicht nur bei uns, sondern auch in Spanien, Frankreich, Holland, Belgien oder Großbritannien. Papst Benedikt forderte einst die geistige Auseinandersetzung mit dem Islam. Auch dies wäre eine große Aufgabe für die katholische Kirche.