Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). (Foto: imago/Mike Schmidt)
Flüchtlingskrise

„De Maizière hat recht“

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und zahlreiche weitere Unionspolitiker haben den Vorstoß von Innenminister Thomas de Maizière begrüßt, die Schutzbedürftigkeit der Zuwanderer aus Syrien wieder rechtsstaatlich zu prüfen und den Familiennachzug gegebenenfalls einzuschränken. Dagegen kritisierte vor allem die SPD de Maizière.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erhält für seinen Vorstoß für eine Einzelfallprüfung bei syrischen Zuwanderern immer mehr Zustimmung aus der Union. CSU-Chef Horst Seehofer, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und zahlreiche weitere Unionspolitiker schlossen sich de Maizière an und forderten, Syrern nicht mehr generell als Kriegsflüchtlinge gemäß der Genfer Konvention zu behandeln, sondern nach Einzelfallprüfung gegebenenfalls nur noch einen sogenannten subsidiären Schutz zu gewähren. Das bedeutet, den Aufenthalt zunächst auf ein Jahr zu begrenzen und den Familiennachzug zu verbieten.

Wir müssen wieder nach dem Gesetz handeln und den Flüchtlingsstatus jedes Syrers genau prüfen.

Horst Seehofer

„Thomas de Maizière hat recht“, sagte Seehofer der Süddeutschen Zeitung. „Wir müssen wieder nach dem Gesetz handeln und den Flüchtlingsstatus jedes Syrers genau prüfen.“ Der bayerische Ministerpräsident will wie de Maizière zum Prozedere zurückkehren, das im November 2014 vorläufig außer Kraft gesetzt worden war. Damals hatte die Bundesregierung entschieden, so gut wie allen Syrern pauschal den Status eines Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention zu geben. Sie sind damit Asylberechtigten gleichgestellt.

Flüchtlinge mit lediglich subsidiärem Schutz hingegen bekommen zunächst nur eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr. Die Spitzen der Koalition hatten zudem am vergangenen Donnerstag beschlossen, für diese Gruppe den Familiennachzug für einen Zeitraum von zwei Jahren auszusetzen. Die SPD hatte zunächst verbreitet, dies betreffe nur 1700 Personen. Der Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU), erklärte, die Verfahren für Syrer würden weiter wie bisher behandelt. Angesichts von Protesten der SPD war ein Vorstoß des Ministers in diese Richtung vom Kanzleramt vorerst gestoppt worden.

Schäuble: „Unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt“

Schäuble wies in der ARD darauf hin, dass dies internationalem und europäischem Recht entspreche: „Wir müssen natürlich den Familiennachzug begrenzen, denn unsere Aufnahmekapazität ist ja nicht unbegrenzt“, sagte er. „Ich halte das für eine notwendige Entscheidung und ich bin sehr dafür, dass wir sehr rasch uns darüber in der Koalition verständigen.“ Infolge dessen sei es „eine notwendige Maßnahme, dass man im Einzelnen prüft und dass eben in Syrien klar ist: Es können nicht alle jetzt nach Deutschland kommen“, betonte Schäuble.

In den Beschlüssen des Koalitionsgipfels ist die Aussetzung des Familiennachzuges für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz ein wesentlicher Punkt.

Andreas Scheuer

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer vertrat in der Passauer Neuen Presse die Auffassung, de Maizières Position sei „völlig korrekt“. „Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. In den Beschlüssen des Koalitionsgipfels ist die Aussetzung des Familiennachzuges für Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz ein wesentlicher Punkt. Das war unstrittig zwischen den Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD.“ Dies müsse jetzt umgesetzt werden. „Sonst schaffen wir weitere Anreize, und der Flüchtlingszustrom wird sich noch vergrößern.“

Die CSU-Landesgruppe im Bundestag sieht das ganz ähnlich. „Die Asylverfahren sind in Deutschland nach klaren rechtsstaatlichen und auch für alle vorhersehbaren Prinzipien durchzuführen. Daher kann es beschleunigte Verfahren nur für einen Übergangszeitraum und nicht auf Dauer geben“, betont der innen- und rechtspolitische Sprecher der Landesgruppe, Michael Frieser. „Auch für syrische Antragsteller muss wieder eine individuelle Prüfung vorgenommen werden.“ Die Syrer könnten auch weiterhin einen Anspruch auf unseren Schutz haben. In vielen Fällen könnten sie aber keine individuelle Verfolgung nachweisen, so Frieser. Ihnen stehe dann nur ein subsidiärer Schutz mit einem Aufenthaltsrecht von zunächst einem Jahr zu. „Dies sichert dennoch ihren Aufenthalt bei uns, bis der Krieg beendet ist.“

Dies führt letztlich nur dazu, dass sich Menschen aus anderen, teilweise auch aus sicheren Herkunftsstaaten, als Syrer ausgeben.

Michael Frieser

Frieser sagte weiter, auch im Hinblick auf die vielen unterschiedlichen Krisenregionen könne es auf Dauer keine Bevorzugung einer bestimmten Flüchtlingsgruppe geben. „Dies führt letztlich nur dazu, dass sich Menschen aus anderen, teilweise auch aus sicheren Herkunftsstaaten, als Syrer ausgeben. Eine Rückkehr zu einer individuellen Prüfung jedes Antrages ist daher vorzuziehen.“ Grundsätzlich dringt Frieser auf eine Begrenzung des Zuzugs: „Die Flüchtlingsströme bringen bereits jetzt unsere Kapazitäten an ihre Grenzen. Die Aufnahme eines Vielfachen an Familienmitgliedern wird diese Situation noch weiter verschärfen. Dieser Realität muss sich auch der Koalitionspartner stellen.“

Kreuzer: de Maiziéres Plan schnell umsetzen

Der Vorsitzende der CSU-Fraktion im bayerischen Landtag, Thomas Kreuzer, sagte, der Vorstoß de Maizières solle nicht mehr diskutiert und zerredet werden, sondern: „Man muss sie sofort umsetzen und anwenden.“ Kreuzer sagte, er könne die Haltung der SPD nicht mehr nachvollziehen. „Wer in Deutschland glaubt denn, dass wir den Familiennachzug von drei oder vier Millionen Menschen pro Jahr schultern können?“ Gerade wer an einer humanen Asylpolitik interessiert sei, könne nicht Millionen Menschen ins Land holen, von denen man nicht wisse, wo sie wohnen sollen, wo sie Arbeit finden und wie sie in diese Gesellschaft integriert werden könnten. „Ein unkontrollierter Zustrom schadet den Einheimischen wie den zu uns Kommenden gleichermaßen“, so der CSU-Politiker.

Wer in Deutschland glaubt denn, dass wir den Familiennachzug von drei oder vier Millionen Menschen pro Jahr schultern können?

Thomas Kreuzer

Dass die Diskussion aus dem Ruder gerate, erkenne man daran, dass überhaupt darüber gestritten werde, ob Bürgerkriegsflüchtlinge lebenslangen oder subsidiären Schutz bekämen. „Natürlich helfen wir den Menschen, so lange dort Krieg herrscht. Also ist es doch logisch, den Aufenthalt zeitlich zu befristen und notfalls zu verlängern“,  sagte Kreuzer. Die Situation sei doch erst dadurch entstanden, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entgegen der Rechtslage syrischen Migranten den Status nach der Genfer Flüchtlingskonvention zubilligte, weil das Verfahren einfacher ist, so der Fraktionschef.

Kreuzer warnte dringend davor, die jüngsten Beschlüsse der Koalitionsspitze ad absurdum zu führen. Dort wurde vereinbart, den Familiennachzug zunächst für zwei Jahre einzuschränken, um die Zuwanderungszahlen zu begrenzen (BAYERNKURIER berichtete). „Die SPD muss sich doch fragen lassen, wieso sie einer Begrenzung des Familiennachzugs zugestimmt hat, wenn sie die Regel nur auf 0,6 Prozent der Flüchtlinge anwenden will? Eine solche Politik verschärft das Problem und führt die deutsche Bevölkerung hinters Licht. Das ist mit der CSU nicht zu machen“, sagte der CSU-Politiker. Und weiter: „Die diebische Freude bei der SPD, dass die beschleunigte Rückführung nur für zwei Prozent und der begrenzte Familiennachzug nur für knapp ein Prozent gelten soll, grenzt an Schadenfreude gegenüber dem eigenen Volk.“

Viel Unterstützung auch aus der CDU

Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Ansgar Heveling (CDU), forderte ebenfalls eine Rückkehr zur Einzelfallprüfung für Syrer. Es gelte der Gerechtigkeits- und Gleichheits-Gesichtspunkt gegenüber anderen Flüchtlingsgruppen wie etwa aus Eritrea oder Afghanistan, sagte er im Deutschlandfunk. Bis Ende 2014 sei die Einzelfallprüfung praktiziert worden. Es gehe nun darum, wieder zu diesem Status zurückzukehren, sagte Heveling. Es habe aktuell keine Einschränkung des Asylrechts gegeben. „Es ist nur eine Differenzierung, die das Gesetz schon seit vielen Jahren so vorsieht“, so Heveling. 2014 habe es bereits die unterschiedliche Behandlung von Syrern gegeben, 70 Prozent der Syrer hätten den Status nach Genfer Flüchtlingskonvention bekommen und zwölf Prozent den subsidiären Schutz.

Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner begrüßte de Maizières Vorstoß ebenfalls. Vor den Sitzungen der CDU-Spitzengremien in Berlin sagte Klöckner, die Begrenzung des Zuzugs sei eine Frage der Mathematik und der menschenwürdigen Unterbringung. Irgendwann werde es auch eine Belastungsgrenze geben. CDU-Vize Armin Laschet sagte: „Man muss mit dem Koalitionspartner diese Frage besprechen.“ Er mahnte aber eine sachliche Diskussion an. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn sagte, Deutschland habe mehr Flüchtlinge als andere Länder in Europa aufgenommen. Da sei es legitim, auch über den Familiennachzug zu diskutieren.

Wir müssen den Familiennachzug begrenzen. Unsere Kapazitäten sind endlich.

Gerd Landsberg, DStGB

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, nannte de Maizières Vorstoß in der Bild-Zeitung „keine dumme Idee“: „Wir müssen den Familiennachzug begrenzen. Unsere Kapazitäten sind endlich.“ Unterstützung erhielt de Maizière sogar vom FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. „Kriegsflüchtlinge sollten zunächst nur einen vorübergehenden Schutz erhalten“, sagte Lingner. „Dieser Schritt hätte auch eine hohe symbolische Wirkung, um die Sogwirkung nach Deutschland zu reduzieren.“

SPD redet Koalitionskrise herbei

SPD-Chef Sigmar Gabriel lehnte dagegen de Maizières Vorstoß ab. Die SPD werde dazu jetzt nicht Ja sagen, weil das in der Koalition so nie besprochen worden sei, so Gabriel in der ARD. „Im Gegenteil, es ist das Gegenteil besprochen worden. Und niemand kann von der SPD erwarten, dass wir so im 24-Stunden-Takt mal öffentlich zu irgendwelchen Vorschlägen Ja oder Nein sagen.“ Gabriel warnte davor, den Eindruck entstehen zu lassen, „dass wir, ein bisschen lax gesprochen, jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben“. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) forderte im ZDF, „das, was man beschlossen hat, erst mal umzusetzen, bevor bereits die nächsten Vorschläge gemacht werden“.

Der SPD-Vizevorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel mutmaßte gar, der Streit über das Thema Flüchtlingspolitik habe sich bei der Union deutlich verschärft. „Man muss wirklich ernsthaft die Frage stellen, ob da jetzt ein Machtkampf offen ausgetragen wird, der ja seit Wochen und Monaten schwelt“, sagte Schäfer-Gümbel im ZDF. Die SPD könne nicht hinnehmen, dass permanent in der Koalition Entscheidungen getroffen würden, die kurz darauf wieder infrage gestellt würden. Schäfer-Gümbel sprach von „permanenten Chaostagen“ in der Union, was auch die Koalition als Ganzes belaste. Die Wahrheit sieht anders aus: Die Union musste und muss die SPD zum Handeln tragen, weil aus deren Kreisen keine weiterführenden Vorschläge kamen und kommen, um den Asylansturm deutlich und schnell zu reduzieren. Wenn überhaupt, so griff sie lediglich CSU-Forderungen auf und machte sie sich zu eigen. Und die Genossen sind es, die heute so und morgen wieder ganz anders über ihren asylpolitischen Kurs reden.

Weiterhin sehr hoher Zustrom: 13.000 Immigranten am Wochenende

Unterdessen bleibt die Zahl der Immigranten an der österreichisch-bayerischen Grenze sehr hoch. Am Wochenende waren nach Angaben der Bundespolizei rund 13.000 Migranten eingereist. Schwerpunkt war erneut der Raum Passau. Dort kamen am Samstag 4490 Menschen über die Grenzen, am Sonntag 4044.

In den deutschen Gemeinden fehlen einer Studie zufolge allein in diesem Jahr Unterbringungsplätze für rund 370.000 Flüchtlinge. Die Kommunen rechnen damit, 2015 insgesamt knapp 870.000 Migranten aufzunehmen und allein zwischen Oktober und Dezember gut 380.000, wie aus einer Umfrage der Wirtschaftsberatung „Ernst&Young“ unter rund 300 größeren Gemeinden hervorgeht. Derzeit stünden nur rund 500.000 Plätze zur Verfügung.

Kriminalbeamte: Zehn Prozent der Asylbewerber sind kriminell

Unterdessen erklärte der Bund deutscher Kriminalbeamter (BdK), rund zehn Prozent der Asylbewerber würden straffällig. Das wäre ein Wert, der deutlich über dem der einheimischen Bevölkerung liegt. Wie BdK-Chef André Schulz in der Welt erklärte, gebe es etwa bei der Erstaufnahmeeinrichtung in Braunschweig „seit Wochen“ eine „deutlich spürbare Zunahme von Eigentumsdelikten: Wohnungseinbrüche, Fahrrad- und Ladendiebstähle“.

Die Kriminalpolizei habe entsprechend reagiert und eine Sonderkommission eingerichtet, so der Verbandschef. Es seien dort „im dreistelligen Bereich Tatverdächtige ermittelt“ worden. Dabei sei klargeworden, dass die Täter meist keine Kriegsflüchtlinge und keine Syrer, Afghanen oder Iraker seien. „Sondern junge Männer aus dem Balkan, dem Kaukasus, Nord-, West- und Zentralafrika. Es sind in der Regel Personen, die schon in ihren Heimatländern als Straftäter aufgefallen sind“, so Schulz.

wog/dpa/SZ/Welt