Die Belastungsgrenze vieler Kommunen ist erreicht. Die CSU fordert eine andere Asylpolitik. (Bild: Fotolia/cevahir87)
Asylpolitik

„Unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt“

Nach dem Gespräch mit bayerischen Kommunalpolitikern über die Asylkrise will sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) künftig im Monatstakt mit kommunalen Spitzenverbänden treffen. "Ich habe schon das Gefühl, dass das Problem in der vollen Dimension bei ihr angekommen ist", sagte Christian Bernreiter, Präsident des Bayerischen Landkreistages. Wachsende Zweifel gibt es an Deutschlands Aufnahmefähigkeit.

Nach einem Gespräch mit bayerischen Kommunalpolitikern über die Flüchtlingskrise will sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) künftig im Monatstakt mit kommunalen Spitzenverbänden aus ganz Deutschland treffen. Man habe sich darauf verständigt, fortan drei Themen voranzutreiben, sagte der Vorsitzende des bayerischen Städtetags, der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD), der Deutschen Presse-Agentur. Dies seien die schnellere Abschiebung von Flüchtlingen mit geringer Bleibeperspektive, der Wohnungsbau für alle benachteiligten Gruppen (also auch sozial schwache Deutsche) sowie die Verteilung und rechtliche Stellung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge.

Wir haben deutlich rübergebracht, dass wir am Ende der Fahnenstange angekommen sind. Wir schaffen die 800.000 Menschen heuer – in einer Gewaltaktion. Aber wir können das nicht jedes Jahr.

Christian Bernreiter

Der Präsident des Bayerischen Landkreistages, Christian Bernreiter, sagte nach dem Gespräch mit Merkel, man habe sich sachlich ausgetauscht und die Kanzlerin sei „brennend interessiert“ gewesen. „Ich habe schon das Gefühl, dass das Problem in der vollen Dimension bei ihr angekommen ist. Aber eine schnelle Lösung wird es nicht geben“, so Bernreiter. „Wir haben deutlich rübergebracht, dass wir am Ende der Fahnenstange angekommen sind. Wir schaffen die 800.000 Menschen heuer – in einer Gewaltaktion. Aber wir können das nicht jedes Jahr. Ich glaube, das ist jedem klar, dass es in dieser Dimension nicht weitergehen kann.“ Bernreiter habe Merkel von völlig überlasteten Jugendamts-Mitarbeitern bis hin zu Burn-Out-Fällen berichtet, von täglich 1000 ankommenden Flüchtlingen im 9000-Einwohner-Ort Simbach am Inn und davon, dass er als Landrat jüngst 35 Objekte abklappern musste, um eine neue Unterbringungsmöglichkeit zu schaffen. „Das sind die Probleme, mit denen unsere 71 Landrätinnen und Landräte täglich zu kämpfen haben“, so Bernreiter. „Berlin muss diesen Ernst der Lage erkennen. Deswegen war unser Besuch unbedingt nötig.“ Es gehe nicht darum, zu jammern, so der Landkreistagspräsident. Aber: „Als wir enorme Zugänge in München verzeichneten, redeten andere Länder von Willkommenskultur und nahmen dann doch keine Flüchtlinge auf.“ Es gehe darum, ein realistisches Bild davon zu vermitteln, was die enorm hohen Flüchtlingszahlen vor Ort wirklich bedeuten – und dann den Bund zum Handeln zu bringen. „Ohne einen Masterplan kommen wir nicht weiter“, so Bernreiter.

Ganz normale Menschen rufen uns Landräte an und fragen, ob wir noch wissen, was wir tun.

Christian Bernreiter

In 35 Jahren politischer Aktivität habe er eine Stimmung wie jetzt noch nicht erlebt. Diesen Eindruck schilderte der Deggendorfer Landrat auch der Kanzlerin. „Ganz normale Menschen rufen uns Landräte an und fragen, ob wir noch wissen, was wir tun.“ Aus bürgerlichem Mund würde massive Angst und tiefe Sorge formuliert, was verständlich sei. Hinter den hohen Zugangszahlen stehe in der Praxis immenser Bedarf an Raum, Betten und sonstiger Versorgung. „Die Zeit der einfachen Lösungen ist vorbei.“ Dieses Fazit würden alle bayerischen Landräte ziehen, egal von welcher Partei. „Wann und wie stoppen wir diese Völkerwanderung? Diese Frage haben wir auch Angela Merkel gestellt“, so Bernreiter. Die Kanzlerin habe den bayerischen Landkreisen ihre höchste Anerkennung ausgesprochen und versichert, sie wisse um die Belastungen der Grenzregionen. Diese gilt besonders bei den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UmF). Bis dato sind für diese Gruppe die Jugendämter der Grenzlandkreise zuständig, in denen sie in Deutschland ankommen.

„Das war nicht mehr zu schultern“, so der Deggendorfer Landrat. Am Donnerstag haben sich Bund und Länder auf eine bundesweite Verteilung geeinigt. Dabei wird berücksichtigt, dass Bayern bei den UmF schon weit über dem Soll ist. Trotzdem: „Auch bei den unbegleiteten Minderjährigen muss noch nachgebessert werden.“ Der Gesetzentwurf sorge für eine gewisse Entlastung Bayerns, sorge aber auch bei der Finanzierung nicht für echte Gerechtigkeit zwischen den Ländern. „Auch wenn Angela Merkel nicht bei uns vor Ort war – jetzt weiß sie aus erster Hand, was wir leisten“, zieht der Landkreistagspräsident ein Fazit des Gesprächs. „Wir werden jetzt ganz genau darauf achten, was sie aus diesem Wissen macht.“

Brandl: Viele Flüchtlinge werden ihr Heil in den Großstädten und Ballungsräumen suchen

Am Montag habe Merkel allerdings glaubhaft versichert, „Tag und Nacht“ an Lösungen zu arbeiten, wie die Zugangszahlen reduziert und nicht anerkannte Asylbewerber rückgeführt werden könnten, fügte Gemeindetagspräsident Uwe Brandl hinzu. Dafür brauche man aber auch Europa. „Die Kanzlerin hat in einer intensiven und konzentrierten Gesprächsatmosphäre die akuten Probleme der Gemeinden und Städte aufgenommen und eine Lösung zugesagt. Sie hat gut zugehört und uns versichert,

  • dass sich die Bundesregierung mit den Ländern um eine zügige Rückführung nicht anerkannter Asylbewerber bemühen werde,
  • alle Möglichkeiten einer Abschwächung der ungebremsten Zuwanderung, wie sie derzeit stattfindet, ausschöpfen wird und
  • den Gemeinden und Städten finanziell unter die Arme greifen wird, sobald entsprechender Bedarf seitens der Kommunen an die Bundesregierung gemeldet wird.“

Brandl wies darüber hinaus darauf hin, dass nach ersten Erkenntnissen aus den Gemeinden und Städten der ländlichen Gegenden eine Urbanisierungswelle zu befürchten ist. Viele Flüchtlinge werden ihr Heil in den Großstädten und Ballungsräumen suchen; der ländliche Raum, der ausreichend Wohnraum und Unterbringungsmöglichkeiten sowie vielfältige Chancen bereithält, scheint für Flüchtlinge nicht attraktiv genug zu sein.

Zweifel an Aufnahmefähigkeit wachsen

Unterdessen werden die Zweifel immer größer, wie der nicht abreißende Flüchtlingsstrom in den nächsten Jahren gehandhabt werden soll. Die Menschen fragten sich zunehmend, ob Gesellschaft und Arbeitsmarkt tatsächlich in der Lage seien, nächstes Jahr erneut 800.000 Flüchtlinge zu integrieren, sagte beispielsweise der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach der „Passauer Neuen Presse„. „Die Zweifel werden immer größer, und sie sind berechtigt.“ Er warnte, aus einer großen Herausforderung für das Land könne schnell eine Überforderung werden: „Ich kann nur dringend davor warnen, alle Skeptiker in die ausländerfeindliche Ecke zu stellen.“

Wenn es so weitergeht, dann ist dieses Land, dann ist Europa überfordert.

Hans-Peter Friedrich

Auch Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte dem Sender N24, die Aufnahmefähigkeit Deutschland sei endlich. „Die allermeisten Bürger sehen und wissen, dass die Integrationskraft jeder Gesellschaft, jedes Staates irgendwo an eine Grenze kommt.“ Die Aufnahmefähigkeit Deutschlands sei bereits mit den für dieses Jahr prognostizierten Flüchtlingen erreicht. „Ich glaube, die 800.000 oder wie viele es sein mögen, können wir jetzt bewältigen. Aber wenn es so weitergeht, dann ist dieses Land, dann ist Europa überfordert.“

Unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt, auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo diese Grenzen liegen.

Joachim Gauck

Sogar Bundespräsident Joachim Gauck sprach von Grenzen bei der Aufnahme von Flüchtlingen: „Unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt, auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo diese Grenzen liegen.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Mitte September gesagt, dass das Grundrecht auf Asyl für politisch Verfolgte keine Obergrenze kenne. Das gelte auch für Bürgerkriegsflüchtlinge. Es bestehe ein „fundamentales Dilemma“ zwischen großer Hilfsbereitschaft auf der einen und endlichen Möglichkeiten auf der anderen Seite, sagte Gauck. Als eine der Herausforderungen nannte Gauck den Wohnungsbau. Es würden wohl weniger Neubauten fertig, als Menschen ankämen. „Wettbewerb um Wohnraum, besonders preiswerten Wohnraum, dürfte unvermeidlich sein.“ Auch sei ungewiss, ob es überall sofort ausreichend Plätze in Kindertagesstätten und Schulen gebe, zumal viele Kommunen bereits jetzt unter einer angespannten Haushaltslage litten.

In der Partei und an der Basis ist die Euphorie längst nicht so groß wie an der Parteispitze und im Kanzleramt.

Klaus-Peter Willsch, CDU

Der CDU-Wirtschaftsexperte Klaus-Peter Willsch sagte der „Passauer Neuen Presse“ mit Blick auf diese Äußerungen: „In der Partei und an der Basis ist die Euphorie längst nicht so groß wie an der Parteispitze und im Kanzleramt.“ Die Probleme müssten klar benannt werden. Bereits heute habe Deutschland gewaltige Probleme bei der Integration. „Die werden nicht geringer, wenn jetzt Hunderttausende Flüchtlinge zu uns kommen.“