Erdogans Einschüchterungs-Maschine
An vielen Orten in der Türkei greifen AKP-Sympathisanten Gebäude der pro-kurdischen Partei HDP an. Auch die Zentrale der regierungskritischen Zeitung Hürryiet wird bedrängt. Wenige Wochen vor den anstehenden Neuwahlen wird klar: Präsident Erdogan will die angestrebte absolute Mehrheit seiner AKP dieses Mal auf keinen Fall dem Zufall überlassen - und offenbar auch nicht dem Wähler.
Gewalt in der Türkei

Erdogans Einschüchterungs-Maschine

An vielen Orten in der Türkei greifen AKP-Sympathisanten Gebäude der pro-kurdischen Partei HDP an. Auch die Zentrale der regierungskritischen Zeitung Hürryiet wird bedrängt. Wenige Wochen vor den anstehenden Neuwahlen wird klar: Präsident Erdogan will die angestrebte absolute Mehrheit seiner AKP dieses Mal auf keinen Fall dem Zufall überlassen - und offenbar auch nicht dem Wähler.

Schon am Sonntag hatten vermutlich Anhänger der von Präsident Recep Tayip Erdogan gegründeten Partei AKP die Redaktion der Zeitung Hürryiet angegriffen. Am Dienstagabend kehrte erneut eine wütende Meute zum Zeitungsgebäude zurück und versetzte die Belegschaft erneut in Angst und Schrecken. „Sie waren mit Lastwagen gekommen und hatten unsere Sicherheitsleute und die wenigen Polizisten an der Einfahrt überwunden“, erzählte Chefredakteur Sedat Ergin. „Dann versammelten sie sich im Hof, riefen ‚Allahu akbar‘ und versuchten, die Eingangstür mit Knüppeln, Tritten und Steinen einzuschmeißen. Erst nach 25 Minuten kam die Polizei. Wir hatten Angst um unser Leben.“

Doch nicht nur gegen Presseorgane gehen AKP-Leute vor. Im ganzen Land greifen im Staatsfernsehen als „aufgebrachte Bürger“ bezeichnete Gruppen Parteizentralen der pro-kurdischen Partei HDP an, darunter offenbar auch Anhänger der nationalistischen Partei MHP. Deren Chef Devlet Bahceli machte jedoch ebenfalls Erdogan und die AKP für die Vorfälle verantwortlich. Nach offizieller Lesart geschahen die Angriffe unabhängig voneinander – internationale Beobachter haben jedoch kaum Zweifel daran, dass die Aktionen gegen die HDP und Hürryiet konzertiert sind. Offenbar sind sie Teil einer Abschreckungskampagne, die verhindern soll, dass die HDP bei den anstehenden Neuwahlen ein ähnlich gutes Ergebnis erzielt wie Anfang des Jahres.

Angriff auf HDP-Zentrale

Und die Meute geht mit aller Härte vor, angeblich als Reaktion auf zwei verheerende Anschläge der in der Türkei verbotenen kurdischen Separatistenpartei PKK mit insgesamt 30 toten Soldaten und Polizisten. Die HDP grenzte sich in der Vergangenheit zwar immer wieder mit klaren Aussagen von der PKK und deren Gewaltaktionen ab, in den türkischen Staatsmedien wird aber schon seit Monaten eine Nähe der HDP zu den Terroristen kolportiert. Auch führende Mitglieder der Regierung bezeichneten die Partei als einen „Arm der kurdischen Terroristen“. Jetzt brennen Gebäude der HDP, darunter auch die Parteizentrale in Ankara.

Im Anschluss an eine Demonstration auf dem Kizilay-Platz zogen rund hundert Personen zur HDP-Zentrale, überwanden eine Polizeiabsperrung und bewarfen das Gebäude mit Steinen. Eine Person drang ins Gebäude ein und legte einen Brand im Erdgeschoss. Erst nachdem die Menge zerstreut worden war, konnte die Feuerwehr das Feuer löschen. Die drei Mitarbeiter der Partei, die sich im Gebäude befanden, retteten sich auf das Dach. Weitere Mitarbeiter der HDP kamen solidarisch zu ihren Büros. Die kurdische Partei warf der Polizei vor, zu spät eingegriffen zu haben.

Halbherzige Verurteilungen

Die Verurteilungen der Taten klangen eher halbherzig und kamen außerdem sehr spät. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu teilte auf Twitter mit, es sei „inakzeptabel, wenn Medien, Parteien und dem Eigentum ziviler Bürger Schaden zugefügt wird“. Das geschah jedoch erst mehr als 48 Stunden nach dem ersten Angriff auf die Hürriyet. Auf die Angriffe auf die HDP-Zentrale ging Davutoglu bislang nicht explizit ein. „Wenn der Staatspräsident in seiner (…) Rede den Angriff verurteilt hätte, hätten sich die Angreifer nicht dazu ermutigt gefühlt, ein zweites Mal zu kommen“, kritisierte Hürriyet-Chefredakteur Sedat Ergin Staatspräsident Erdogan. Kaum verwunderlich, wurde doch laut Medienberichten die erste „Demonstration“ von Abdurrahim Boynukalin, einem AKP-Abgeordneten und Vorsitzenden des AKP-Jugendverbandes, angeführt. Der Anlass: Ein Zitat Erdogans wurde offenbar aus dem Zusammenhang gerissen und von der Zeitung verbreitet.

Was dahinter steckt

So ist am Ende sowohl der plötzlich vom Zaun gebrochene Krieg gegen die zuvor einige Jahre friedliche PKK als auch die Attacken auf HDP und Medien nur Teil der Strategie Erdogans, ein Präsidialsystem in der Türkei einzuführen. Dafür braucht er (noch) eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, die ihm insbesondere die HDP bei der letzten Wahl zunichte machte. Am Schluss soll der ganze Prozess vermutlich ohnehin in eine islamistische Diktatur unter seiner allmächtigen Führung münden. Schon 1998 zitierte er aus einem Gedicht sein eigentliches Ziel: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“