Fordert grundlegende Reformen: Wirtschaftsminister Peter Altmaier. (Bild: imago images / Christian Spicker)
Altmaier

Deutsche Ausweichkultur

Kommentar Wirtschaftsminister Peter Altmaier fordert eine Reform des politischen Systems und eine stärkere Beteiligung der Bürger an Entscheidungen, um der Radikalisierung entgegen zu arbeiten. Doch das allein reicht nicht.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat sich für eine Reform des politischen Systems und eine stärkere Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen ausgesprochen.

„Wir dürfen unsere Hände nicht in Unschuld waschen, wenn der Anteil der Wähler, die keine staatstragende Partei mehr wählen, sich verdoppelt, die Mitgliederzahl der Parteien sich halbiert und die Abgeordnetenzahl immer weiter steigt“, schreibt der CDU-Politiker in einem Gastbeitrag für die Rheinische Post. Die großen Parteien müssten zu Veränderungen bereit sein.

Es geht um grundlegende Fragen des Vertrauens und der Akzeptanz.

Peter Altmaier

„Es geht längst nicht mehr um irgendeinen neuen Vorsitzenden, Kanzlerkandidaten oder Minister, es geht auch nicht um den soundsovielsten Koalitionskompromiss, es geht um grundlegende Fragen des Vertrauens und der Akzeptanz“, erklärte Altmaier. Dazu müssten alle zu grundlegenden Politikreformen bereit sein, etwa die Hinterzimmer-Entscheidungen informeller Gremien reduzieren.

Politik ermüdet

Konkret nannte er eine Verkleinerung des Bundestags in mehreren Stufen. Die Zahl der Abgeordneten sollte „alle 4 Jahre um 40 Sitze reduziert“ werden, bis eine angemessene Zahl erreicht ist. Die Zahl der Minister solle auf 15 festgeschrieben werden und die Zahl der Staatssekretäre und Regierungsbeauftragten ab der nächsten Regierungsbildung um ein Drittel reduziert werden. Bundestags- und Landtagswahlen müssten stärker konzentriert und zusammengefasst werden. Auch die Wahlperiode im Bund müsse auf fünf Jahre verlängert werden. Zudem müsse die Debattenkultur überdacht werden. Altmaier forderte Formate, mit denen Debatten auch außerhalb von Wahlen möglich sind, sowie Bürger-Online-Anhörungen im Vorfeld von Gesetzen.

Altmaier hat Recht, viele seiner Vorschläge hätten schon längst umgesetzt werden müssen, gerade beim Wahlrecht und der Bundestagsgröße. Die dauernden Wahlen ermüden die Stimmberechtigten und sorgen in der Politik für Dauer-Wahlkampf, anstatt für Dauer-Arbeit. Jede Landtagswahl lähmt auch den Bund und umgekehrt. Im Vergleich zu anderen Staaten hat Deutschland auch eine im Verhältnis zur Bevölkerung viel höhere Abgeordnetenzahl. Zudem hat beispielsweise das miserabel arbeitende Bundesland Berlin 25 Staatssekretäre, das gut funktionierende Bayern dagegen nur 4. Hier lässt sich auch auf Länderebene viel verbessern.

Problem umschifft

Aber der Minister umschifft mit seinen Vorschlägen das eigentliche Problem: In erster Linie muss sich die Politik ändern, will man der Verdrossenheit der Bürger entgegen wirken. Die großen Probleme der Bürger wie Arbeitsplätze, Steuerlast, Wohnungsnot, Mietpreise, Migration, Kriminalität oder Energiepreise dürfen nicht mit endlosen Debatten, schönen Sprüchen, unrealistischen Forderungen und dauernden Ankündigungen „erledigt“ werden. Sie müssen gelöst werden.

Eine große Koalition führt in fast allen Demokratien zum Erstarken der Ränder, weil sich die Trennschärfe zwischen den zwei großen Meinungsblöcken Konservativ und Sozialdemokratisch verabschiedet. Und weil die Wähler beider Seiten das Gefühl haben, es werde nicht mehr ihre Politik gemacht, sondern nur die andere Seite setze ihre Politik durch. Der Wähler hat vor lauter Kompromissen auch den – manchmal auch zutreffenden – Eindruck, die eigene Partei stehe nicht mehr ein für die jeweiligen Grundsätze.

Fakt ist aber auch: Die Neuauflage der großen Koalition ist nur notwendig geworden, weil die Randparteien Linke und AfD so stark geworden sind, dass es weder für eine konservative noch für eine linke Mehrheit reichte. Daran war zum einen die Migrationspolitik mit all ihren Folgen sowie die zunehmend konturlose CDU schuld, auf der anderen Seite eine führungslose SPD, die ihre Stammwähler vernachlässigt hat und dann im großen Klimahype unterging.

Zum Schweigen gebracht

Es ist aber auch der deutschen Ausweichkultur geschuldet: Unangenehme und ungelöste Probleme wie Migration, die Rolle des Islam oder die Energiewende werden zwanghaft klein gehalten oder beschönigt, gerade auch in den Medien. Vermeintliche politische „Korrektheit“ soll zudem alle Kritiker zum Schweigen bringen – wahlweise als Nazi, Islamhasser oder Klimaleugner verteufelt. Den Deutschen ist die Fähigkeit zur sachlichen Diskussion ohne Abwertung der Gegenposition abhanden gekommen. Hier krankt es viel deutlicher an der Debattenkultur als bei der Beteiligung an politischen Entscheidungen – wie auch Umfragen etwa zur gefühlten Meinungsfreiheit zeigen.

Friedrich Merz hat recht, wenn er für die Union fordert: „Wir müssen wieder politische Heimat für ein breiteres Spektrum von Wählerinnen und Wählern sein. Dazu müssen wir über die strittigen Themen, die in diesem Teil der Wählerschaft von hohem Interesse sind, offen reden und über die großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen diskutieren.“ Aber es muss auch Lösungen geben.

Wenn man sich dann auch noch um die von Altmaier genannten Punkte kümmert, dann werden die Wähler auch wieder von den Rändern zurück kommen.