Bewacht und geschützt: Ein Polizeiauto steht vor der Synagoge in Würzburg. Die Bewachung von jüdischen Einrichtungen in Bayern wird nochmals verstärkt. (Foto: Picture allance/dpa)
Kabinett

Polizei schützt jüdische Einrichtungen

Die bayerische Staatsregierung geht noch konsequenter gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus vor. Jüdische Einrichtungen werden noch besser geschützt, Hasspostings im Internet werden intensiver verfolgt, auch durch den Verfassungsschutz.

Nach dem antisemitisch motivierten Anschlag in Halle will die bayerische Staatsregierung Synagogen und andere jüdische Einrichtungen baulich und technisch stärker schützen. Zudem will sie stärker gegen Rechtsextremismus vorgehen und fordert eine Änderung des Strafgesetzbuchs, damit antisemitische Straftaten härter bestraft werden können.

Die Bewertung der Sicherheitslage erfolgt laufend und einzelfallbezogen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zum Schutz jüdischer Einrichtungen

In den vergangenen Jahren habe Bayern rund 13 Millionen Euro für bauliche und technische Maßnahmen an den rund 170 jüdischen Einrichtungen des Landes ausgegeben, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nach der Kabinettssitzung in München. Nun sollen nochmals drei Millionen Euro als Sondermittel hinzukommen. Auch die Polizeipräsenz an den Einrichtungen sei bis auf Weiteres erhöht worden. Nun wolle man noch einmal auf alle jüdischen Gemeinden zugehen, um die Gefährdungslage neu zu bewerten. „Die Bewertung der Sicherheitslage erfolgt laufend und einzelfallbezogen“, sagte Herrmann.

Kampf gegen Hasspostings im Internet

Es gehe aber auch ganz generell darum, Rechtsextremismus konsequent zu bekämpfen, sagte Herrmann. Beispielsweise sollen Hasskriminalität und Hasspostings im Internet noch intensiver verfolgt werden. Zudem fordert die Staatsregierung hier, dass der Strafrahmen für Beleidigungen im Internet erhöht wird. Aktuell seien Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr möglich, sagte Justizminister Georg Eisenreich (CSU). „Wir wollen das auf bis zu zwei Jahre erhöhen.“ Im Einzelnen sollen künftig „antisemitische“ Beweggründe als eigener Strafzumessungsgesichtspunkt im Paragraph 46 StGB genannt werden, bislang wurden antisemitisch motivierte Taten unter dem Oberbegriff „menschenverachtend“ erfasst. „Ziel sind angemessene harte Strafen. Damit setzt Bayern ein klares Signal gegen Ausgrenzung und Hass“, sagte Eisenreich.

Unter anderem soll sich der bayerische Verfassungsschutz stärker darauf konzentrieren, gewaltorientierte Einzelpersonen und rechtsextremistische Netzwerke im Internet zu identifizieren. Dazu werden Onlinerecherchen ausgebaut, Hasskriminalität im Internet, vor allem Hasspostings, von Verfassungsschutz und Polizei noch intensiver verfolgt. Dabei rücken unter anderem Akteure der „Neuen Rechten“, die sogenannten Mischszenen mit Rockern und Hooligans sowie die rechtsextremistische Musik- und Kampfsportszene vermehrt in den Fokus.

Online-Durchsuchungen und Telefonüberwachung

Die Befugnisse für Online-Durchsuchungen und Telekommunikationsüberwachung hat die Staatsregierung nach eigener Auskunft bereits angepasst, damit die Sicherheitsbehörden in Bayern trotz neuer digitaler Verschlüsselungstechniken bei der Strafverfolgung handlungsfähig bleiben. Auf Bundesebene fordert der Freistaat erweiterte Überprüfungsverfahren durch Waffenbehörden. Die zuständigen Behörden sollen künftig neben der jeweils zuständigen Polizeidienststelle auch den Verfassungsschutz bei der Zuverlässigkeitsprüfung einbeziehen.

Neben der konsequenten Strafverfolgung setzt die Staatsregierung zudem auf Prävention. Diese soll rechtsextremistische und antisemitische Denkmuster und Handlungen bereits im Ansatz verhindern. Wichtige Akteure bei der Rechtsextremismus-Prävention sind die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus, die Landeskoordinierungsstelle „Demokratie leben! Bayern gegen Rechtsextremismus“ sowie die Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz, die mit vielen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten.

Grundsatzerklärung: Jüdisches Leben gehört zu Bayern

„Die Bayerische Staatsregierung steht fest an der Seite der jüdischen Gemeinden“, erklärte das Kabinett grundsätzlich nach seiner Sitzung. „Jüdische Menschen prägen das Leben in Bayern seit Jahrhunderten, Bayern ist ihre Heimat. Der jüdisch-christliche Wertekanon ist das Fundament unseres Miteinanders in Demokratie, Freiheit und Frieden. Für jegliche Formen von Extremismus, antisemitischen Gesinnungen und Strömungen ist in Bayern kein Platz.“

Zum antisemitisch motivierten Anschlag in Halle schreibt die Staatsregierung: „Der menschenverachtende antisemitische Angriff auf die Synagoge in Halle a. d. Saale macht tief betroffen. Die Staatsregierung gedenkt der Opfer des Angriffs und ergreift alle erforderlichen Maßnahmen, um jüdische Einrichtungen in Bayern zu schützen und sichere Gebete, sichere Veranstaltungen und ein sicheres Leben zu garantieren.“

Beinah 100 antisemitische Vorfälle in Bayern

Unterdessen wurden alarmierende Zahlen bekannt: In Bayern wurden in den vergangenen sechs Monaten beinahe 100 antisemitische Vorfälle gemeldet. Das teilte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS Bayern) am Dienstag mit. „Wir gehen von einer weit größeren Dunkelziffer aus“, kommentiert RIAS-Leiterin Annette Seidel-Arpaci die aktuellen Zahlen. „Die antisemitischen Denkmuster des Attentäters von Halle finden wir bei vielen der registrierten Vorfälle. Es ist nur die Frage, inwieweit dieses Denken auch in die Tat umgesetzt wird“.

Bei den insgesamt 96 in Bayern gemeldeten Fällen wurde laut RIAS 40 Mal der Holocaust geleugnet. 14 Mal wurden demnach die Juden für alles Böse in der Welt verantwortlich gemacht. Knapp jeden zweiten Vorfall schätzt RIAS unterhalb der Strafbarkeitsschwelle ein. „Das ist kein Grund zur Erleichterung. Denn diese Zahl zeigt auch, wie weit Antisemitismus im Alltag, in der Mehrheitsgesellschaft verankert ist“, sagt Seidel-Arpaci. Seit April können Betroffene und Zeugen online und per Telefon antisemitische Vorfälle an RIAS melden.