Neuer Kurs: Migranten aus Seenot retten und dann zurück nach Afrika bringen. (Bild: imago images/Christian Ditsch)
Flüchtlinge

„Nach Afrika zurückbringen“

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann fordert den Aufbau von Rückkehrzentren in Nordafrika durch EU und UN. Solange müssten auch die Grenzkontrollen an der bayerischen Grenze beibehalten werden. Sonst werde ein "falsches Signal" gesendet.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat sich in der Zeitung Die Welt dafür ausgesprochen, den Aufbau von Rückkehrzentren in Nordafrika endlich durchzusetzen. „Wer aus Afrika kommt und sich in Seenot bringt, wird wieder nach Afrika zurückgebracht“, forderte er. „Wenn wir das durchsetzen würden, käme sehr schnell niemand mehr auf die Idee, sich von Schleusern auf ein Gummiboot setzen zu lassen.“

Die Logik muss aber sein: Wer aus Afrika kommt und sich in Seenot bringt, wird wieder nach Afrika zurückgebracht.

Joachim Herrmann

Rückkehrzentren in Afrika

Dazu bedürfe es Rückkehrzentren in Afrika, wie sie der EU-Rat eigentlich auch vor einem Jahr beschlossen hatte. „Solche Einrichtungen, die von der EU und der UN in Nordafrika betrieben würden, müssen rasch kommen, um das Ertrinken und die unerlaubte Migration zu stoppen.“ Das eigentliche Problem bei der gegenwärtigen Konstruktion sei, „dass jeder, der vor dem Ertrinken gerettet wird, nach Europa gebracht wird“.

Die Haltung, fast jeden aufzunehmen, der hier leben will, teilt in Deutschland wie in ganz Europa nur eine laute Minderheit.

Joachim Herrmann

Dass jemand aus Afghanistan nach Deutschland fliehe, sei nicht naheliegend, weil die meisten Flüchtlinge in sichere Regionen ihrer Heimatländer oder in Nachbarstaaten fliehen würden. Dies komme „nur durch Schleuserorganisationen zustande“. Es sei besser, das Geld für Flüchtlinge dort einzusetzen, beispielsweise auch, um „eine bessere Zukunftsperspektive“ in den Herkunftsländern zu erreichen. „Aber die Haltung, fast jeden aufzunehmen, der hier leben will, teilt in Deutschland wie in ganz Europa nur eine laute Minderheit“, betonte Herrmann in der Welt. Von „diesen irrealen Vorstelllungen“ müsse man sich genau wie von rechtsextremen Ideen abgrenzen.

Grenzkontrollen beibehalten

Herrmann sprach sich außerdem in dem Interview dafür aus, die Grenzkontrollen in Bayern vorerst beizubehalten. „Wir können so lange auf die Kontrollen nicht verzichten, so lange die EU-Außengrenzen nicht wirksam geschützt sind. Weder auf unsere Grenzkontrollen in Bayern noch auf die in Österreich zu Slowenien.“ Der bayerische Innenminister wies auch darauf hin, dass das kein Alleingang sei: „Das ist auch keine deutsche Extrawurscht, die Franzosen haben an der Grenze zu Italien einen noch intensiveren Grenzschutz.“ Um Staus zu vermeiden, sollten die Kontrollen allerdings flexibler gestaltet werden, so Herrmann.

Man darf nicht so tun, als hätten wir keine relevante illegale Migration mehr.

Joachim Herrmann

Die Kontrollen bewirkten laut dem Minister eine Eingrenzung der Migrations- sowie Kriminalitäts- und Terrorgefahren. Allein im letzten Jahr seien mehr als 6000 Personen nur an der Grenze zu Österreich durch die Bundespolizei zurückgewiesen worden. Auch Straftäter und Schleuser seien gefasst worden. Hinzu komme die „Abschreckungswirkung“ der Grenzkontrollen: 2015 seien es 90 Prozent der Asylbewerber in Deutschland gewesen, die über die bayerische Grenze einreisten, 2018 seien es nur noch maximal 20 Prozent gewesen. „Deswegen stellt sich mir eher die Frage, ob man an den anderen deutschen Grenzen auch kontrollieren sollte, als dass man die in Bayern abschafft.“ Mit einem Ende der stationären Kontrollen würde man „ein völlig falsches Signal“ setzen. „Man darf nicht so tun, als hätten wir keine relevante illegale Migration mehr – nur weil wir nicht mehr die Zustände von vor vier Jahren haben.“

Die Mehrheit der Deutschen ist einer aktuellen Bertelsmann-Studie zufolge skeptisch gegenüber Zuwanderung. Rund 52 Prozent fanden, es gebe zu viel Einwanderung. Und 49 Prozent meinen, Deutschland könne keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen, da die Belastungsgrenze erreicht sei. 71 Prozent der Befragten glauben, dass Zuwanderung den Sozialstaat zusätzlich belastet – rund 83 Prozent im Osten und 68 Prozent im Westen. Gut zwei Drittel befürchten Konflikte zwischen Eingewanderten und Einheimischen. Eine Mehrheit (63 Prozent) meint auch, dass zu viele Migranten die deutschen Wertvorstellungen nicht übernehmen. 64 Prozent befürchten als Folge von Zuwanderung Probleme an den Schulen und 60 Prozent Wohnungsnot in Ballungsräumen.

Europas Probleme

Europa selbst hat nach Ansicht von Herrmann bisher keinen wirksamen Grenzschutz aufgebaut. Auch die Rückführungszahl abgelehnter Asylbewerber konnte sie nicht nachhaltig steigern.

Und ein neues Problem ist die Regierungssuche in Italien: Denn für die deutlich geringeren Migrantenzahlen sorgte vor allem der harte italienische Migrationskurs von Innenminister Matteo Salvini. Da dessen Partei „Lega“ nun nicht mehr an der neuen Regierung aus „Fünf-Sterne“-Bewegung und Sozialdemokraten beteiligt sein soll, könnten die Zahlen wieder steigen. Die Sozialdemokraten hatten bereits mehrmals eine Umkehr in der Migrationspolitik gefordert, zudem müsse sich eine neue Regierung „loyal“ zu Europa bekennen. Die „Fünf Sterne“ hatten allerdings Salvinis harte Linie gegen Migranten, die von Afrika aus Richtung Italien übersetzen, immer aus Überzeugung mitgetragen.

Diese Sorge vor einem sogenannten Pull-Effekt ist nicht unberechtigt.

Horst Seehofer

Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer mahnte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur eine Lösung zur Rettung von Bootsflüchtlingen an, die keine neuen Anreize schaffe, sich auf die Reise über das Mittelmeer zu begeben. „Meine Amtskollegen aus Europa weisen mich darauf hin, dass die Zahl der Menschen, die sich von Libyen nach Europa über das Mittelmeer aufmachen, so gering wie seit Jahren nicht mehr ist. Sie haben Bedenken, dass sich bei einem Mechanismus wieder mehr Menschen auf den lebensgefährlichen Weg machen“, sagte Seehofer und betonte: „Diese Sorge vor einem sogenannten Pull-Effekt ist nicht unberechtigt.“ Auch er wolle diesen Effekt unbedingt vermeiden.

Seehofer hofft auch auf einen EU-Kompromiss zur Umverteilung von Bootsflüchtlingen. Es sei ein „unwürdiger Zustand“, dass bei jedem neuen Schiff diese Debatte immer aufs Neue geführt werden muss. Man arbeite mit Hochdruck an einem verlässlichen und solidarischen Ad-hoc-Mechanismus für die Seenotrettungsfälle – aber es sei äußerst schwierig. Für den 19. September hat Maltas Regierung Deutschland und andere Staaten zu einem EU-Sondertreffen zur Seenotrettung eingeladen. Am Donnerstag waren weiter zwei private Rettungsschiffe mit rund 200 geretteten Migranten an Bord im Mittelmeer unterwegs, die deutsche „Eleonore“ und das italienische Rettungsschiff „Mare Jonio“. Die italienische Regierung hat eine Einfahrt in den Hafen verboten.

(dpa/Welt/BK)