Kommunale Interessen sind ihnen egal: Die bayerischen Grünen-Chefs Ludwig Hartmann und Katharina Schulze. (Bild: imago images / Overstreet)
Versiegelung

Grüne Zuchtmeister der Kommunen

Die Grünen wollen mal wieder ein Verbot erlassen: Nachdem ihr letzter Vorschlag, Flächenverbrauch ab einer bestimmten Grenze zu verbieten, vor dem Verfassungsgerichtshof scheiterte, legen sie nun einen neuen Plan vor. Dieser wird stark kritisiert.

Im Dauerstreit über den Flächenverbrauch in Bayern haben die Grünen einen neuen Gesetzentwurf vorgelegt. Damit wollen sie die diversen Kriterien erfüllen, die der Bayerische Verfassungsgerichtshof vor einem Jahr in einem Urteil aufgestellt hatte, als er das geplante Volksbegehren verwarf. Aus der CSU, den Gemeinden und aus Wirtschaft und Handwerk kommt Kritik am erneuten Vorstoß der Grünen.

Auf Etappen zum Ziel

Auch der neue Gesetzentwurf der Grünen hat zum Ziel, den Flächenverbrauch in Bayern auf täglich maximal fünf Hektar zu begrenzen. Erreichen wollen die Grünen dies bis zum Jahr 2026 in mehreren Etappen. Den Kommunen sollen Flächenbudgets zugewiesen werden – wobei für überörtliche Planungen etwa für Bundesstraßen 35 Prozent des Budgets zur Verfügung stehen. Weitere 5 Prozent soll es für Härtefälle, Notlagen und überregional bedeutsame Projekte geben. Bleiben allen Gemeinden also nur 60 Prozent, das sind nur rund 3 Hektar pro Tag.

Grundlage für die Zuteilung der Budgets soll die Einwohnerzahl sein – kleinere Kommunen sollen im Vergleich zu größeren Kommunen mehr Quadratmeter pro Jahr und Einwohner zugeteilt bekommen. Städte und Gemeinden sollen ihre Budgets ansparen oder über sogenannte Entsiegelungsmaßnehmen oder die Rücknahme von Bebauungsplänen vergrößern können.

Freiwilligkeit statt Verbote

Die Staatsregierung setzt dagegen darauf, mit freiwilligen Maßnahmen in etwa dieselbe Zielgröße zu erreichen. „Wir halten nichts von einer von oben verordneten Verbotspolitik“, sagt Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW). Es gebe keine „gerechte oder praxistaugliche Formel“ für strikte Flächenkontingente. Aiwanger sieht in der Debatte eine unnötige Panikmache, da unter die Verbrauchsfläche auch der Bau von Grünanlagen, Parks, Photovoltaikflächen und Fußballplätzen gerechnet werde. „Ziemlich genau die Hälfte dieses jetzigen Flächenverbrauchs ist wirklich versiegelt, also zubetoniert.“

Kritik von allen Seiten

Sandro Kirchner, der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, und Jürgen Baumgärtner, der verkehrspolitische Sprecher der CSU-Fraktion, kritisieren den Gesetzentwurf der Grünen. Dieser bremse vollkommen unverhältnismäßig Infrastrukturvorhaben im Bereich Wohnungsbau, Mobilität und Wirtschaft und setze damit Bayerns Zukunft aufs Spiel. „Die wirtschaftliche Entwicklung muss auch künftig in ganz Bayern möglich sein, der ländliche Raum darf nicht gegen die Stadt ausgespielt werden“, sagt Kirchner. „Wer einen Gesetzentwurf zum Thema Flächensparen vorlegt, ohne Einvernehmen mit den kommunalen Spitzenverbänden, den Wirtschafts-, Wohnungs- und Verkehrsverbänden erzielt zu haben, handelt unseriös und betreibt reinen Populismus“, so Kirchner weiter. „So schaden die Grünen der Akzeptanz für das Ziel sparsamer und verantwortungsvoller Umgang mit der Ressource Fläche in Bayern.“

Wenn eine Kommune einen Radweg von 10 Kilometer Länge und 2 Meter Breite bauen will, muss sie vier Jahre lang ihr Flächenbudget ansparen.

Jürgen Baumgärtner

Der CSU-Verkehrspolitiker Baumgärtner hält ebenfalls nichts vom Konzept der Grünen: Sie würden mit ihrem Gesetzentwurf ein landesweites Flächenbudget von 0,9 Quadratmeter je Einwohner pro Jahr vorschreiben. Für die durchschnittliche Kommune in Bayern mit im Schnitt 6056 Einwohnern bedeute dies ein kommunales Flächenbudget von 5450 Quadratmeter. „Konkret heißt das: Wenn eine Kommune einen beiderseitig befahrbaren Radweg von 10 Kilometer Länge und 2 Meter Breite zur Verbindung ihrer Ortsteile bauen will, muss sie vier Jahre lang ihr Flächenbudget ansparen und auf jegliche sonstige Entwicklung in ihrem Ort verzichten“, rechnet Baumgärtner vor.

CSU: Nur mit den Kommunen

Kirchner stellt die Unterschiede zu den Plänen der CSU heraus: „Wir wollen gemeinsam mit den Kommunen wirkungsvolle Steuerungsinstrumente zum Flächensparen umsetzen. Wir brauchen für Bayern eine umfassende Flächensparoffensive mit einem Maßnahmenbündel aus Anreizen, Fördern, Belohnen, Ordnungsrecht und Bewusstseinsänderung im gesellschaftlichen Konsens.“

Die Grünen führen sich wie Zuchtmeister der bayerischen Gemeinden und Städte auf.

Uwe Brandl, Gemeindetagspräsident

Bayerns Gemeindetagspräsident Uwe Brandl kritisiert das grüne Konzept ebenfalls mit deutlichen Worten: „Die Grünen führen sich wie Zuchtmeister der bayerischen Gemeinden und Städte auf. Den Kommunen gesetzlich vorschreiben zu wollen, dass sie pro Tag nicht mehr als fünf Hektar Fläche überplanen dürfen, ist nichts Anderes als staatlicher Dirigismus in Reinkultur. Das werden wir nicht hinnehmen.“

Der Gesetzentwurf sei außerdem aller Voraussicht nach verfassungswidrig, weil ein solches Gesetz massiv in die gemeindliche Planungshoheit eingreifen würde, wenn der Staat jeder Gemeinde nur ein bestimmtes Kontingent zur Überplanung zuweisen würde. Die gemeindliche Entwicklung wäre über Jahre gehemmt. Auch der Verteilmechanismus wäre grob ungerecht, schimpft Brandl.

Fehlerhafte Begründung

Der Bayerische Gemeindetag weist darüber hinaus darauf hin, dass die Begründung des Gesetzentwurfs falsch ist. „Es findet kein Flächen’fraß‘ statt, wenn beispielsweise unbebaute Wiesen für Einfamilienhäuser mit Garten, Kindergärten mit Spielflächen, Schulen mit Pausenhöfen oder Krankenhäuser mit Ruhezonen bebaut werden. Es findet vielmehr eine Flächenumwandlung zugunsten der Bürgerinnen und Bürger statt“, betonte der verärgerte Kommunalpolitiker.

Brandl weiter: „Die Haltung der Grünen ist an Schizophrenie nicht zu überbieten: Einerseits die ganze Welt retten zu wollen, indem man alle Menschen nach Deutschland einlädt und die Grenzen aufmacht; andererseits dringend benötigten Wohnraum und Sozialeinrichtungen verhindern, indem man durch Flächenbegrenzung die kommunale Planung blockiert oder ganz zum Erliegen bringt. Da kann man nur noch den Kopf schütteln.“

Wirtschaft und Handwerk entsetzt

Auch die bayerische Wirtschaft sieht in den vorgestellten Plänen der Grünen ‎keinen praktikablen Lösungsweg. Größte Kritikpunkte sind ‎für den Bayerischen Industrie- und Handelskammertag (BIHK) das Festhalten an ‎einer gesetzlichen Obergrenze und die Einführung der ‎Kontingente. „Wir brauchen mehr Effizienz und nicht mehr Auflagen“, erklärt ‎BIHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl. Die Politik ‎müsse Anreize zur effizienteren Flächennutzung setzen. Als mögliche Instrumente nennt ‎Gößl die Einführung eines Baulückenkatasters, eine maßvolle Nachverdichtung, ‎die Revitalisierung von Brachflächen sowie die engere Zusammenarbeit benach‎barter Gemeinden beim Flächenmanagement. „Innen statt außen, höher statt ‎breiter und gebündelt statt zerfasert, das sind die großen Linien“, so Gößl.

Auch das bayerische Handwerk kritisierte die Grünen. Die Pläne lösten nicht die bestehenden Probleme, sondern heizten „den unfairen Wettbewerb um Flächen“ weiter an, betonte Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Bayerischen Handwerkstages (BHT). „Gerade kleine und mittlere Unternehmen des Handwerks drohen in der Konkurrenz um Flächen zerrieben zu werden.“ Die herannahende Wohnbebauung, strengere Auflagen zu Emissionen jeglicher Art, steigende Bodenpreise sowie eine höhere Sensibilität der Bevölkerung führten zu einer immer stärkeren Verdrängung von Handwerksbetrieben aus ihren Standorten.

Die Fakten

Am 17. Juli 2018 hatte der Bayerische Verfassungsgerichtshof ein erstes Volksbegehren – an dem sich neben den Grünen auch der Landesbund für Vogelschutz und die ÖDP beteiligten – für unzulässig erklärt. Es fehlten die Vorgaben zur Umsetzung der 5-Hektar-Grenze und sei darum ein Verstoß gegen die Planungsfreiheit der Kommunen.

Laut Bayerischen Landesamt für Statistik sind 88 Prozent der Fläche des Freistaats Wälder, Äcker, Naturland und Gewässer. Gewerbe, Industrie und Handel nehmen nur ein Prozent in Anspruch, der Wohnbau dagegen drei Prozent. Der Flächenverbrauch liegt in Bayern bei rund 10 Hektar pro Tag – weil der Freistaat aufgrund seiner Attraktivität für Unternehmen und Bürger eine hohe Zuwanderung ‎zu verzeichnen hat.