Wenden sich mit Grausen: Bronzeskulptur der Bremer Stadtmusikanten neben dem Bremer Rathaus. (Bild: imago Images/epd/Dieter Sell)
Rot-Rot-Grün

Die Bremer Stadtdilettanten

Die CDU hat die Wahl in Bremen gewonnen. Regieren wird aber ein rot-grün-rotes Bündnis. Der jetzt vorgelegte Koalitionsvertrag des Linksbündnisses steht vor allem für zwei Dinge: Unbezahlbarkeit und den weiteren Niedergang der Hansestadt.

Drei Parteien wollen in Bremen regieren. Die seit 12 Jahren regierenden Roten und Grünen haben sich nach der Wahl die Linkspartei ins Boot geholt. SPD-Bürgermeister und Wahlverlierer Carsten Sieling hat den Koalitionsvertrag ausgehandelt und sich dann aus dem Staub gemacht. „Das Wichtigste war und ist für mich, mich für eine soziale und wirtschaftlich erfolgreiche Politik einzusetzen und dafür zu sorgen, dass das in unserem Bundesland auch weiter stattfinden kann“, behauptete er. Gewagte These im höchstverschuldeten Bundesland mit den meisten Arbeitslosen und der schlechtesten Bildung.

Nichts ist mit Finanzierung hinterlegt.

Carsten Meyer-Heder, CDU Bremen

Der rund 140-seitige Vertrag ist eine Fülle von Versprechen, die der Pleite-Stadtstaat nie bezahlen kann. „Wir haben es mit einem haushaltslosen Koalitionsvertrag zu tun. Nichts ist mit Finanzierung hinterlegt“, kritisierte der CDU-Chef und Wahlsieger Carsten Meyer-Heder. „Kein Aufbruch, nur ein ‚Weiter So‘ mit Verstärkung der Linken. Konflikte und unerledigte Projekte werden weiter auf die lange Bank geschoben, anstatt sie endlich anzupacken.“ CDU-Fraktionschef Thomas Röwekamp kritisierte: „Dieser Koalitionsvertrag blendet die Mitte der Gesellschaft aus. Es ist eine Ansammlung ideologischer und linker Wunschvorstellungen.“

Die Ressortverteilung

Der neue Senat umfasst neun statt wie bisher acht Ressorts, die SPD behält den Bürgermeister sowie Inneres und Kinder/Bildung. Hinzu kommt das neue Ressort: „Häfen, Wissenschaft und Justiz“, das ohne inneren Zusammenhang ist, aber kostenintensiv.

Die Grünen erhalten die Ressorts „Umwelt, Bau und Verkehr“, Finanzen sowie „Soziales, Jugend, Integration und Sport“. Die Linken übernehmen die Ministerien „Wirtschaft, Arbeit und Europa“ sowie „Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz“.

140 Seiten voller Versprechen

Der rot-grün-dunkelrote Koalitionsvertrag will „ein neues Kapitel für einen Aufbruch unseres Landes und seiner beiden Städte aufschlagen“, heißt es in der Präambel stolz. Da entsteht der Eindruck, als ob die zwölf Jahre amtierende rot-grüne Vorgängerregierung und 74 Jahre durchgängige SPD-Regentschaft nicht existiert hätten. Und jetzt wird alles neu und besser, und das ausgerechnet mit der Linkspartei?

Viele linke Phrasen reihen sich in dem Text aneinander: Die Basis dieses Bündnisses sei die „weltoffene, solidarische Gesellschaft“, ökologisch, gerecht und bürgernah, Vielfalt, Gender bis in die Kita und alle gegen Rechts sowieso.

Bildungsversager

In der Bildung heißt es: „Die Investitionen in Personal und Infrastruktur von Schulen und Kitas haben für uns Priorität.“ Bedeutet irgendwie erneut, dass es für die rot-grüne Vorgängerregierung keine Priorität hatte.

Und das war auch so: In Bildungsstudien liegt die Hansestadt regelmäßig auf den hintersten Plätzen. Im „Bildungsmonitor“ des vergangenen Jahres stand etwa dieses vernichtende Urteil: „Bei der Überprüfung der Kompetenzen von Viertklässlern in Deutsch und Mathematik aus dem Jahr 2016 und bei der Überprüfung der Bildungsstandards beim Lese-Kompetenztest von Neuntklässlern im Jahr 2015 schnitt Bremen schlechter als alle anderen Bundesländer ab.“ Die Bremer Handelskammer mahnte deshalb jetzt: „Verbesserungen der Bildungsqualität von der Kita bis zum Ende der Ausbildung muss Priorität haben.“ Die Reaktion der Politik: Das Abitur gibt es in Bremen schon länger für lau, jetzt sollen Oberschulen den Gymnasien „gleichberechtigt“ zur Seite gestellt werden. Man ahnt Schlechtes.

Auch sollen jetzt laut Rot-Rot-Grün die Pro‐Kopfausgaben für Schüler sukzessive auf das Niveau der anderen Stadtstaaten angehoben werden. Warum nicht schon längst? Waren 12 Jahre Rot-Grün und mehr als 70 Jahre SPD-Regierung nicht genug Zeit dafür?

Schulsanierung durch Schattenhaushalte.

Handelskammer Bremen

Der rot-grüne Sanierungsstau an den Schulen wird endlich angegangen: Zur Schulneubaufinanzierung sollen aber Modelle über die Wohnungsgesellschaften Gewoba und Brebau getestet werden. Die sollen bauen, finanzieren und dann an die Stadt langfristig vermieten. Soll wohl verhindern, dass man die Schuldenbremse reißt. Die Bremer Handelskammer nennt das „ungedeckte Schecks“ und „Schattenhaushalte“.

Weitere kostenintensive Versprechen und zugleich Eingeständnis des bisherigen Versagens: mehr Ärzte in sozial benachteiligten Quartieren, mehr Pflegekräfte und schrittweise verdoppelte Mittel für die wirtschaftlich angeschlagenen Krankenhäuser. Rot-Rot-Grün will auch den Öffentlichen Gesundheitsdienst „finanziell und personell stärken“ und die öffentliche Verwaltung digitalisieren. Wichtig auch: „Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, um ein wissenschaftliches Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis auf den Weg zu bringen.“

Die Tor macht auf

Mit Blick auf das Thema Innere Sicherheit kritisierte der CDU-Politiker Röwekamp, dass es kein neues Polizeigesetz geben solle, und Bremen damit im Ranking aller 16 Bundesländer das älteste Polizeigesetz Deutschlands habe. Das aktuelle Gesetz sei „eine Einladung an kriminelle Clans und Banden, nach Bremen zu kommen, sich hier niederzulassen, weil sie hier unbeobachtet ihren Geschäften nachgehen können“. Arabische Kriminellen-Clans beherrschen laut Medienberichten mehr oder weniger schon jetzt ganze Straßenzüge.

Die Clans sollen laut Rot-Rot-Grün zwar stärker bekämpft werden, aber dennoch will man den Sicherheitsbehörden lieber keine weiteren Befugnisse zugestehen. Datenbankgestützte Videoüberwachung zur Gesichtserkennung, Bewegungsprofile, die polizeiliche Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Online-Durchsuchung werden abgelehnt. Der Grund für polizeiliche Personenkontrollen an sogenannten Gefahrenorten muss „auf Verlangen“ künftig sogar schriftlich von der Polizei bescheinigt werden. Da überzeugt es doch, dass Polizisten jetzt obligatorisch in „interkultureller Kompetenz“ geschult werden. Und man will „die Bürgerrechte stärken“, was Kriminelle sicher abschrecken wird.

Welchen Stellenwert das Thema Sicherheit im kriminalitätsgeplagten Bremen für Rot-Rot-Grün hat, zeigt sich schon an der Lage im Koalitionsvertrag: Ab Seite 117. Immerhin: Justiz und Polizei bekommen nun Verstärkung, um eine „stabile und funktionsfähige Sicherheitsstruktur“ im Land Bremen aufzubauen. Irgendwann.

Natürlich gibt es die Bekämpfung rechtsextremer Gewalttäter als „absoluten Schwerpunkt“, Linksextreme werden gar nicht erwähnt.

Abschiebungen gibt es nur als letztes Mittel, weitere sichere Herkunftsstaaten werden nicht akzeptiert, Ankerzentren gibt es nicht. Dafür mehr Familiennachzug für Asylbewerber sowie ein „neues Landesaufnahmeprogramm für aus Seenot gerettete oder in libyschen Lagern internierte Menschen“.

Der grüne Faden

Der Klimaschutz ziehe sich „wie ein grüner Faden“ durch den Vertrag, so Grünen-Vize Alexandra Werwath. Ob Energie, Kultur oder Verkehr – Bremen solle beim Klimaschutz eine Vorreiterrolle einnehmen. Bremens Bürgerschaft soll laut Koalitionsvertrag sogar eine „Klimanotlage“ ausrufen. Bis 2030 soll die Bremer Innenstadt autofrei werden. Der Vorbehalt einer Klimaprüfung bei allen neuen Vorhaben kommt, zudem der Kohleausstieg schon bis 2023. Eines der beiden Kohlekraftwerke in Bremen wurde zwar erst 2013 für 47 Millionen Euro modernisiert und seine CO2-Emissionen reduziert. Auch ist der Ausstieg nur mit den Betreiberfirmen und gegen Entschädigungen möglich, aber Geld kommt bei Rot-Rot-Grün aus dem Füllhorn wie Strom aus der Steckdose.

Auch die Voraussetzungen für 10.000 zusätzliche Wohnungseinheiten in dieser Wahlperiode werden zugesagt, und, falls erforderlich, ein zeitlich begrenzter Mietendeckel. Und das bei einem Rückgang von 16,3 Prozent bei den Baugenehmigungen im Jahr 2018.

Der Bock als Gärtner

Für die Wirtschaft soll ausgerechnet die Linke zuständig sein, die auf ihrer Webseite neben dem Bremer Roland eine Karl-Marx-Figur platziert hat und in ihrem Wahlprogramm die „demokratische Vergesellschaftung privatwirtschaftlich beherrschter Märkte“ anstrebt. Der Landesverband will mehr als ein Jahr leerstehende Gebäude und Brachflächen ohne anstehenden Baubeginn in städtisches Eigentum überführen, das steht jetzt auch im Vertrag. Was die Bremer Linke generell vom Eigentum hält, macht sie ebenfalls klar: „Eine entscheidende Frage gesellschaftlicher Veränderung ist und bleibt die Frage des Privateigentums am Produktionskapital“, schreibt die Partei. Die DDR lässt grüßen.

Man kann nur ausgeben, was man einnimmt.

Handelskammer Bremen

Viel geht es im Koalitionsvertrag um „Mindestlohn“, „Tarifbindung“ und „Ausbildungsfonds“, ein bisschen um Innovation und Startups – wenig um attraktive Rahmbedingungen für die Wirtschaft. „Wo bleibt die Priorität auf der Stärkung der Wirtschaft und der Schaffung neuer Arbeitsplätze?“, fragte jetzt die Bremer Handelskammer. Stattdessen soll die Wirtschaft CO2 und Energie sparen, und dabei von Rot-Rot-Grün „aktiv begleitet“ werden. Nicht ungefährlich, da sich das Wirtschaftswachstum in Bremen und Bremerhaven abschwächt und die Bremer Häfen im Wettbewerb mit den Häfen Rotterdam und Antwerpen zuletzt erneut Marktanteile verloren haben. „Das Gleichgewicht zwischen ökologisch Wünschenswertem und wirtschaftlich Notwendigem droht verloren zu gehen“, warnte die Handelskammer. Zwar sei man nicht gegen Nachhaltigkeit und ökologische Werte, doch müssten alle Projekte auch bezahlbar sein. „Man kann nur ausgeben, was man einnimmt.“

Erst recht im deutschen Bundesland mit der mit Abstand höchsten Pro-Kopf-Verschuldung (30.741 Euro) und der höchsten Arbeitslosenquote von zehn Prozent (Stand Mai). SPD-Landesschefin Sascha Aulepp erhofft sich dennoch mittelfristig zusätzliche Finanzmittel durch „eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik“. Wenn es gelinge, weitere Unternehmen in Bremen und dadurch Neubürger zu gewinnen, dann werde sich das durch höhere Steuereinnahmen bemerkbar machen, so der Traumtanz.

Standortnachteil Verkehr

Dagegen steht allerdings die niederschmetternde Analyse der Bremer Handelskammer zur Verkehrslage: „Der Zustand und die Leistungsfähigkeit der bremischen Verkehrsinfrastruktur sind inzwischen ein Ansiedlungshindernis für neue Unternehmen und ein Standortnachteil für die ansässige Wirtschaft.“ Der Sanierungsstau für Verkehrswege betrage mittlerweile rund 240 Millionen Euro.

Und was macht Rot-Rot-Grün daraus? Der öffentliche Personennahverkehr soll gestärkt und die Preise für Tickets vor allem für Familien, Jugendliche und Kinder reduziert werden. Fernziel: Einführung eines kostenfreien ÖPNV. Und: „Radverkehr wird eine feste Größe in der Planung von Straßenbaumaßnahmen“, kündigt der Koalitionsvertrag an. Mit Radpremiumrouten, drei Fahrradbrücken über die Weser und Rad-Stellplätzen. Fernziel: Eine autofreie Innenstadt bis 2030.

Ist das alles bezahlbar?

Die Bezahlbarkeit all dieser Versprechen muss schon wegen der Schuldenbremse ab 2020 klar verneint werden, auch wenn Rot-Rot-Grün im Bund für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Erhöhung anderer Steuern wie der Erbschaftsteuer kämpfen will. Der finanzielle Spielraum von rund 480 Millionen Euro Mehreinnahmen durch den neuen Länderfinanzausgleich ab 2020 ist gering. Zudem sind 300 Millionen Euro davon bereits vom rot-grünen Senat verplant worden. Trotz Länderfinanzausgleich, der mit 740 Millionen Euro im Jahr 2018 einen Großteil der Bremer Politik überhaupt erst ermöglicht, drücken die hohen Schulden. Ab 2020 sollen jährlich im Schnitt 80 Millionen Euro Schulden getilgt werden. Bremen steht aber mit über 20 Milliarden Euro in der Kreide, das kann also etwa 250 Jahre nur für die Tilgung dauern. Und Bremen zahlt jährlich etwa 600 Millionen Euro an Zinsen.

„Spannung versprechen die ersten Haushaltsberatungen dieser neuen Koalition. Dann werden Träume platzen“, meint das Magazin buten und binnen. SPD-Linksaußen Ralf Stegner sieht Bremen dennoch als „Signal“ für Mehrheiten neben der Union. Bremen als Vorbild, um Deutschland voranzubringen? Das muss als echte Drohung aufgefasst werden.