Neuer und alter Judenhass: Sind Kippa-Träger in Deutschland gefährdet? (Foto: imago images/Robert Harding)
Debatte

„Jeder kann und soll seine Kippa tragen“

Juden könnten nicht überall in Deutschland ungefährdet Kippa tragen, sagt der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann widerspricht. In Berlin aber könnte der Judenhass wieder marschieren.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat Juden in Deutschland ermutigt, weiterhin öffentlich eine Kippa zu tragen. „Jeder kann und soll seine Kippa tragen, egal wo und wann er möchte“, sagte Herrmann. Die jüdische Kopfbedeckung sei Teil der Religionsfreiheit. Sie aus Angst nicht mehr zu tragen, sei ein fatales Signal. „Wenn wir vor dem Judenhass einknicken, überlassen wir rechtem Gedankengut das Feld.“

Warnung vor den Antisemiten

Herrmann widersprach damit einer Äußerung von Felix Klein, dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung. Klein hatte Juden in einem Interview mit der Funke Mediengruppe davon abgeraten, sich überall in Deutschland mit einer Kippa, der jüdischen Kopfbedeckung, zu zeigen. „Ich kann Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen. Das muss ich leider so sagen“, so Klein. Er habe seine Meinung „im Vergleich zu früher leider geändert“. Er begründete seine Äußerungen mit einer „zunehmenden gesellschaftlichen Enthemmung und Verrohung“, die ein fataler Nährboden für Antisemitismus sei.

Jeder kann und soll seine Kippa tragen, egal wo und egal wann er möchte!

Joachim Herrmann, Bayerns Innenminister

Der Beauftragte wies ausdrücklich auf mehr antisemitische Straftaten von Rechtsextremen und Muslimen hin. Diese sind laut Polizeilicher Kriminalstatistik 2018 um 20 Prozent gestiegen. Zu den Gründen der antisemitischen Verbrechen von Muslimen sagte Klein: „Viele von ihnen gucken arabische Sender, in denen ein fatales Bild von Israel und Juden vermittelt wird.“

Widerspruch gegen Klein

Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nannte es „nicht hinnehmbar“, wenn Juden ihren Glauben in Deutschland verstecken müssten. „Der Staat hat zu gewährleisten, dass die freie Religionsausübung ohne Einschränkungen möglich ist.“ Seehofer mahnte zu einem entschlossenen Handeln der Sicherheitsbehörden. „Angesichts der Entwicklung antisemitischer Straftaten müssen wir besorgt und wachsam sein.“

Es wäre nicht hinnehmbar, wenn Juden ihren Glauben in Deutschland verstecken müssten.

Horst Seehofer

Dies forderte auch der Antisemitismusbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Ludwig Spaenle (CSU): „Es darf keine No-Go-Areas in Deutschland für Jüdinnen und Juden geben.“ Juden müssten wissen und darauf vertrauen dürfen, dass sie sich sicher in Deutschland und Bayern bewegen könnten.

Die staatlichen Institutionen müssen auch nach den Worten von Regierungssprecher Steffen Seibert dafür Sorge tragen, dass Menschen überall in Deutschland sicher eine Kippa tragen können. „Der Staat hat zu gewährleisten, dass die freie Religionsausübung eines jeden möglich ist“, sagte Seibert am Montag in Berlin. Jeder Mensch solle sich an jedem Ort dieses Landes – auch mit einer Kippa – sicher bewegen können. „Zu dieser Verantwortung stehen wir.“

2018 war die Zahl antisemitischer Straftaten bundesweit stark gestiegen. Der jüngste Jahresbericht zur politisch motivierten Kriminalität wies 1799 Fälle aus, 19,6 Prozent mehr als 2017. Regierungssprecher Seibert sagte nun, der Anstieg der Straftaten „sollte für jeden in Deutschland ein Anlass zur großer Sorge sein“. Jede einzelne dieser Straftaten sei ein Angriff auf die menschliche Würde.

„Die Öffentlichkeit aufrütteln“

Klein verteidigte seinen Schritt in der Bild-Zeitung vom Montag. Er habe „aufrütteln und der Öffentlichkeit klarmachen wollen, dass wir handeln müssen, bevor es zu spät ist“. Man müsse sich aber des Problems bewusst sein. Seine Worte seien „keineswegs resignativ, sondern als Aufruf zum Handeln“ gemeint. Die heftige Reaktion darauf werte er deshalb als Erfolg.

Auch Israels Staatspräsident Reuven Rivlin hatte gesagt, Kleins Rat habe ihn „zutiefst schockiert“. Die Ängste über die Sicherheit deutscher Juden seien „eine Kapitulation vor dem Antisemitismus und ein Eingeständnis, dass Juden auf deutschem Boden wieder nicht sicher sind“.

Zentralrat bestätigt wachsenden Antisemitismus

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, rief den Staat auf, Juden in Deutschland ein „Leben ohne Angst“ zu gewährleisten. „Die Verunsicherung in der jüdischen Gemeinschaft ist heute groß, und ich kann jeden verstehen, der sich hierzulande nicht öffentlich sichtbar als jüdisch zu erkennen geben will“, teilte sie mit. „Mit diesem Zustand dürfen wir uns aber nicht abfinden.“ Dafür brauche es ein gezieltes Vorgehen der Politik und einen Aufschrei gegen Judenhass aus der Gesellschaft.

Auch der Zentralrat der Juden riet schon davon ab, die Kippa in Teilen von bestimmten Großstädten zu tragen. Die Erfahrung habe gezeigt, dass das offene Tragen einer Kippa oder einer Halskette mit einem Davidstern verbale oder körperliche Bedrohung zur Folge haben könne.

Es ist seit Längerem eine Tatsache, dass Juden in einigen Großstädten potenziell einer Gefährdung ausgesetzt sind.

Josef Schuster

Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, bestätigte nun auch Kleins Aussagen: „Es ist seit Längerem eine Tatsache, dass Juden in einigen Großstädten potenziell einer Gefährdung ausgesetzt sind, wenn sie als Juden zu erkennen sind.“ Es sei daher gut, wenn diese Situation „auch auf höchster politischer Ebene mehr Aufmerksamkeit erfährt“.

Statistik-Fehler

Der Zentralrat warnte in den letzten Jahren immer wieder vor steigendem Antisemitismus in Deutschland, auch durch den starken muslimischen Zuzug der letzten Jahre. Zentralrats-Präsident Schuster sagte in der Vergangenheit auch, dass ein großer Teil antisemitischer Übergriffe in der Wahrnehmung von Juden auf das Konto von Muslimen ginge und vermutete in den offiziellen Statistiken Fehler bei der Zuordnung der Taten.

Auch laut der Studie „Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland“ der Universität Bielefeld gaben Opfer von antisemitischen Gewaltdelikten zu 81 Prozent an, dass die mutmaßlichen Täter einer „muslimischen Gruppe“ angehört hätten – obwohl die BKA-Statistik zu rund 94 Prozent rechtsradikale Täter am Werke sieht. Dies hat aber auch den Grund, dass die Polizei nur über Taten berichten kann, die ihr angezeigt werden.

Auch bei der Einordnung der Taten werden Schwierigkeiten eingeräumt. Das American Jewish Committee (AJC) in Berlin kritisierte in diesem Zusammenhang, dass Vorfälle mit NS-Bezug statistisch fast immer rechtsextrem eingestuft werde, was dazu geführt habe, dass selbst „ein Hitlergruß von Hisbollah-Anhängern auf der islamistischen Al-Quds-Demo als rechtsextrem eingruppiert“ worden sei.

Der unsägliche Al Quds-Tag

Bei der Al-Quds-Demonstration wird nichts anderes transportiert als Antisemitismus und Israel-Hass.

Josef Schuster

Am kommenden Samstag soll wieder die antisemitische Demo zum „Al Quds“-Tag (Jerusalem-Tag) in Berlin stattfinden. Bei dieser islamistischen Propagandaveranstaltung gegen Israel wird für eine Eroberung Jerusalems und die Vernichtung Israels demonstriert. „Bei der Al-Quds-Demonstration wird nichts anderes transportiert als Antisemitismus und Israel-Hass“, so Zentralratspräsident Schuster. „Uns ist es unverständlich, dass diese Demo Jahr für Jahr genehmigt wird“, kritisierte er die rot-rot-grün regierte Hauptstadt. Der Zentralrat rief dazu auf, die geplante Gegen-Demonstration am Samstag in Berlin-Charlottenburg zu unterstützen.