Die Ohel Jakob-Synagoge (r.) in München. (Bild IKG/Andreas Gregor)
Kriminalität

Antisemitische Vorfälle melden

Start der Meldestelle für antisemitische Vorfälle RIAS Bayern: Opfer und Zeugen können sich ab dem 1. April an die Recherche- und Informationsstelle wenden. Dies gilt auch für Fälle, die strafrechtlich nicht relevant sind.

Opfer und Zeugen antisemitischer Vorfälle können sich ab dem 1. April an die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS Bayern) wenden. Die Einrichtung registriert und analysiert Fälle von der Belästigung bis zu strafrechtlich relevanten Handlungen. „Wir wollen das Ausmaß des Antisemitismus in Bayern abbilden. Sei es, dass ein jüdisches Kind in der Schule abfällige Kommentare zu hören bekommt oder Israel als Apartheidstaat bezeichnet wird, wir bieten einen Anlaufpunkt“, sagte Leiterin Annette Seidel-Arpacı bei der Vorstellung von RIAS Bayern am Mittwoch.

Niedrigschwelliges Angebot für Betroffene und Zeugen

Mit dieser niedrigschwelligen Meldestelle wird ein wichtiges Anliegen des Zentralrats der Juden in Deutschland, des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales und des Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus erfüllt. Unter dem Dach des Bayerischen Jugendrings (BJR) kann RIAS Bayern mit Mitteln des Bayerischen Sozialministeriums zunächst die Arbeit aufnehmen, ab 2020 soll ein zivilgesellschaftlicher Verein als Träger fungieren.

Auf Wunsch der Betroffenen oder Zeugen veröffentlicht RIAS Bayern antisemitische Vorfälle und macht Behörden, Politik, Medien und Zivilgesellschaft auf diese aufmerksam. Zentrales Prinzip ist der Vertrauensschutz: Die Meldenden entscheiden, wie mit ihren Informationen umgegangen werden soll. Vorfälle können über die Online-Plattform www.rias-bayern.de und per Telefon (Nummer 0162/2951961) gemeldet werden. Die Einrichtung vermittelt verschiedene Beratungsangebote, zum Beispiel im juristischen oder psychosozialen Bereich.

Antisemitismus ist ein Problem der gesamten Gesellschaft.

Kerstin Schreyer

Das Bayerische Sozialministerium finanziert die Meldestelle RIAS Bayern mit 381.000 Euro. Ministerin Kerstin Schreyer betonte: „Antisemitismus ist ein Problem der gesamten Gesellschaft und in seinen unterschiedlichen Ausprägungen nicht immer leicht zu erkennen. Daher sehe ich in der Arbeit von RIAS Bayern die Möglichkeit, Antisemitismus sichtbar zu machen und dadurch für seine verschiedenen Gesichter zu sensibilisieren. RIAS Bayern ist ein wichtiger Baustein für die Prävention von Antisemitismus in Bayern.“

Kampf gegen Antisemitismus

Für das Jahr 2019 ist RIAS Bayern beim BJR angesiedelt. „Seit seiner Gründung tritt der BJR für eine demokratische und weltoffene Gesellschaft ein. In unserer Verantwortung für das Max-Mannheimer-Haus in Dachau und auch im Rahmen unseres intensiven Jugendaustauschs mit Israel stellen wir fest: Antisemitismus wird stärker und lauter“, sagte BJR-Präsident Matthias Fack.

Die Betroffenen haben manchmal eine Scheu, zur Polizei zu gehen.

Josef Schuster, Zentralrat der Juden

Auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, begrüßte die Einrichtung der Meldestelle. „Die Betroffenen haben manchmal eine Scheu, zur Polizei zu gehen, oder halten den Vorfall für nicht relevant genug, um ihn anzuzeigen. Dennoch leiden sie unter dem, was sie erlebt haben. Daher bietet RIAS eine sehr gute und niedrigschwellige Möglichkeit, jenseits der Behörden Vorfälle zu melden. Das hilft den Betroffenen sehr und verschafft uns ein realistisches Bild über Antisemitismus und seine Erscheinungsformen in Bayern“, sagte er.

Viele Juden zeigen antisemitische Straftaten nicht bei der Polizei an, weil sie resigniert haben, berichtet die Zeitung Jüdische Allgemeine. Zudem sei die Zuordnung von Delikt und Täter oft fragwürdig: Zum einen, weil die zuständigen Polizeibeamten bei der Feststellung der Tat diese als antisemitisch definieren müssten. Zum anderen: Blieben die Täter unbekannt, ordne die Polizei den Vorfall „rechts“ zu, nicht jedoch den Täterkreisen „links“, „ausländisch“ oder „religiös“. So habe etwa im Sommer 2014 die Berliner Polizei „Sieg Heil“-Parolen, die von Unterstützern des iranischen Regimes während der israelfeindlichen Al‐Quds‐Demonstration in der deutschen Hauptstadt gerufen wurden, als rechtsextreme Straftaten angegeben. Mittlerweile berichten aber Juden in ganz Europa, dass die große Mehrheit antisemitischer Vorfälle durch Moslems verübt wird. Schon Kinder werden angespuckt, bedroht, beschimpft oder sehen sich mit Verschwörungstheorien konfrontiert. Auf Pausenhöfen insbesondere von Schulen mit hohem Migrantenanteil, aber auch auf Sportplätzen in Deutschland sind zutiefst beleidigende Begriffe gängige Schimpfworte.

Bundesweite Meldestellen

RIAS Bayern arbeitet eng mit dem Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus zusammen. Dessen Vorstandsmitglied Benjamin Steinitz erklärte: „Wir begrüßen, dass RIAS Bayern ihre Arbeit aufnimmt, und freuen uns sehr auf die Kooperation. Aus der Arbeit von RIAS Berlin wissen wir, wie wichtig eine regionale Verankerung und eine Ansprechbarkeit vor Ort für Betroffene und ein funktionierendes Unterstützungsnetzwerk ist. Gleichzeitig bildet der Start von RIAS Bayern einen wichtigen Schritt hin zu einer flächendeckenden und bundesweit einheitlichen Dokumentation antisemitischer Vorfälle.“ Laut der Statistik für politisch motivierte Kriminalität wurden zwischen 2014 und Juni 2018 insgesamt 706 antisemitische Straftaten in Bayern polizeilich erfasst.

Die wachsende Zahl der Straftaten macht diese Meldestelle unverzichtbar.

Ludwig Spaenle, Beauftragter für jüdisches Leben

Für die Einrichtung einer niedrigschwelligen Meldestelle eingesetzt hatte sich Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. „Die wachsende Zahl der Straftaten macht diese Meldestelle unverzichtbar. Das Melderegister kann aus meiner Sicht entscheidend dazu beitragen, Antisemitismus in seinen Ausprägungen im Alltag sichtbar zu machen, und liefert einen Ansatz, dagegen anzugehen. Über die Meldestelle hinaus muss es uns aber ein Anliegen sein, dass jüdisches Leben in seiner Vielfalt sichtbar wird“, so Spaenle.

Die Erfassung der Vorfälle orientiert sich an der Antisemitismusdefinition der Internationalen Allianz für Holocaustgedenken, die Antisemitismus als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“, beschreibt. Laut der Definition richtet sich Antisemitismus in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Personen, deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus könne auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.

Perspektiven jüdischen Lebens in Deutschland

Wir dulden keinen Antisemitismus in Deutschland und gehen mit der ganzen Härte des Rechtsstaats gegen diejenigen vor, die das anders sehen wollen.

Florian Herrmann

Auch der der zweite Politische Salon von Staatsminister Florian Herrmann in der Bayerischen Vertretung in Berlin hatte den wachsenden Antisemitismus zum Thema. Unter dem Titel „Perspektiven jüdischen Lebens in Deutschland“, diesmal mit Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und Gideon Joffe, Vorsitzendern der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, wurden die Herausforderungen des Judenhasses diskutiert.

„Jüdische Kultur ist bei uns fest verankert. Aktuell sind Vertreter jüdischen Lebens jedoch vermehrt rassistischen und antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt“, so Herrmann. „Dies fordert uns dazu heraus, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern und dafür zu sorgen, dass sich Juden in Deutschland auch weiterhin dauerhaft zuhause fühlen.“ Herrmann betonte: „Wir dulden keinen Antisemitismus in Deutschland und gehen mit der ganzen Härte des Rechtsstaats gegen diejenigen vor, die das anders sehen wollen. Juden müssen sich auch weiterhin dauerhaft hier zuhause fühlen.“