Feinstaubalarm in Stuttgart: Eine Anzeigentafel an einer wichtigen Zufahrtsstraße weist darauf hin. (Bild: Imago/Arnulf Hettrich)
Stickoxid

Den EU-Grenzwert überprüfen

Brief an die EU-Kommission: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will den Stickoxid-Grenzwert wissenschaftlich überprüfen lassen. Wie neue Messungen der Stadt München und des Umweltbundesamtes ergaben, sinkt die Schadstoffbelastung.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will wie angekündigt die Grenzwerte für Stickoxid überprüfen lassen. Dazu hat er einen Brief an EU-Verkehrskommissarin Bulc geschrieben, wie die Bild-Zeitung berichtet. Brüssel solle auf die Zweifel eingehen, die rund 100 deutsche Lungenärzte am medizinischen Nutzen der Grenzwerte geäußert hatten. Es gehe darum, die Debatte zu versachlichen, so Scheuer weiter.

Zweifel müssen ausgeräumt werden

„Es mehren sich Stimmen in der deutschen Ärzteschaft, die die wissenschaftliche Herleitung des Jahresmittelwerts von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter für Stickstoffdioxid in der EU-Luftqualitätsrichtlinie in Frage stellen“, schreibt Scheuer demnach. „Der daraus resultierende Diskussionsprozess zieht in der Öffentlichkeit die Rechtfertigung der im Kontext des Programms zur Sauberen Luft ergriffenen Maßnahmen in Zweifel.“

Das Ziel muss sein, die Debatte insgesamt auf der Basis zutreffender Fakten und anerkannter wissenschaftlicher Methoden zu versachlichen.

Andreas Scheuer

Zur „Gewährleistung unserer Mobilität“ erachte er es daher als „dringend erforderlich, dass sich die Europäische Kommission aktuell und auf geeignete Weise mit den vorgebrachten Zweifeln auseinandersetzt und eine Neubewertung der Grenzwerte prüft“, schreibt Scheuer laut Bild in dem Brief. Ziel müsse sein, „die Debatte insgesamt auf der Basis zutreffender Fakten und anerkannter wissenschaftlicher Methoden zu versachlichen“. Er wolle das Thema spätestens beim EU-Verkehrsministerrat am 6. Juni aufgreifen und bitte hierfür um Bulcs „Unterstützung“.

Die hat nun reagiert: Die EU-Kommission will die Grenzwerte für Schadstoffe in der Luft überprüfen, so ein Sprecher der Kommission zur Funke-Mediengruppe. Die Richtlinie zur Luftqualität werde in einem Eignungstest neu bewertet. Es gehe darum zu prüfen, ob die Vorgaben relevant und effizient sind.

München will keine Fahrverbote

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat sich unterdessen klar gegen Fahrverbote ausgesprochen. Er verwies auf neue eigene Messungen der Stadt seit Anfang 2018, wonach die Grenzwerte für Stickstoffdioxid (NO2) nur noch an vier von 20 Messstellen überschritten wurden. Deutlich überschritten worden sei der Schwellenwert lediglich zweimal, an besonders verkehrsreichen Abschnitten am Mittleren Ring.

Damit sind zonale oder flächendeckende Fahrverbote weder verhältnismäßig noch notwendig.

Dieter Reiter, OB München

„Dank unserer eigenen Messungen haben wir jetzt endlich belastbare Fakten“, betonte Reiter. „Die Luft in München ist deutlich besser als vielfach angenommen und vom Freistaat 2017 berechnet wurde.“ Ob die insgesamt flächendeckend rückläufige Tendenz der NO2-Werte auf dem Münchner Straßennetz strecken- oder flächenbezogene Fahrverbote rechtfertigten, müsse die dafür zuständige Regierung von Oberbayern nun gut abwägen. „Damit sind zonale oder flächendeckende Fahrverbote weder verhältnismäßig noch notwendig“, betonte er. Streckenbezogene Fahrverbote reduzierten die Schadstoffbelastung insgesamt ohnehin nicht, sondern würden es nur in die anliegenden Wohnviertel verlagern. Das Münchner Messnetz wird noch genauer: Anfang 2019 kamen weitere 20 Stationen dazu.

Nur noch 35 Städte überschreiten den Wert

Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa wurde der europäische Grenzwert für Stickoxid im vergangenen Jahr in nur noch 35 deutschen Städten überschritten. 2017 waren es noch 65. Insgesamt hat die Luftbelastung durch Diesel-Abgase im vergangenen Jahr leicht abgenommen – im Mittel der verkehrsnahen Messstationen um etwa zwei Mikrogramm pro Kubikmeter. Gab es 2017 an 45 Prozent dieser Stationen zu hohe Werte, waren es 2018 nach einer Hochrechnung des UBA noch 39 Prozent. Gründe für den Rückgang der städtischen NO2-Belastungen sind laut UBA Tempolimits und Verkehrsbeschränkungen, mehr neue Autos, Software-Updates zur besseren Abgasreinigung bei älteren Diesel, aber auch das Wetter.

Die dpa verweist auf Daten des Umweltbundesamtes, wonach die höchste Belastung in Stuttgart und München festgestellt wurde. Kein Wunder, liegen doch hier genau die Messstationen, deren Aufstellungsorte am stärksten in der Kritik stehen, weil sie an extrem belasteten Verkehrsknotenpunkten aufgestellt wurden. Dennoch: Auch in München ging die Belastung um 12 Mikrogramm auf durchschnittlich 66 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft zurück.

Ein Vergleich mit den Standorten von Stationen in anderen Großstädten der EU zeigt, dass in Deutschland die Richtlinien aus Brüssel bisweilen überehrgeizig umgesetzt werden.

Die Welt

Deutschland misst Schadstoffe deutlich strenger als andere europäische Länder, dies ergab auch eine Recherche der Zeitung Die Welt. „Ein Vergleich mit den Standorten von Stationen in anderen Großstädten der EU zeigt aber sehr wohl, dass in Deutschland die Richtlinien aus Brüssel sehr eng, bisweilen überehrgeizig umgesetzt werden, während man damit in anderen Mitgliedsstaaten großzügiger ist“, berichtet die Zeitung und zitiert den Ingenieur und Messtechnikexperten Martin Schraag, der die EU-Messstellen systematisch untersucht hat: „Die deutschen Behörden messen bewusst in Straßenschluchten, also beiderseits bebauten Straßenabschnitten, wo wenig Luftaustausch stattfindet. Das wird in dieser Form in anderen EU-Ländern nicht gemacht. Damit kommt man hierzulande automatisch auf eine höhere Schadstoffbelastung in der Luft.“

Erfolge auch beim Feinstaub

Das Umweltbundesamt bekommt die Daten von den Umweltbehörden der Länder geliefert. Die Bilanz beruht auf Daten der Messstationen, die automatisch und stündlich Werte liefern. Im Mai kommen laut UBA die Werte sogenannter Passivsammler dazu, die noch ausgewertet werden. Dadurch könnten unter Umständen noch weitere Städte die Grenzwerte reißen. Kommunen wie München betreiben zudem noch eigene Messstationen, die aber für die EU-Richtlinie zu Luftschadstoffen (noch) nicht relevant sind.

Beim Feinstaub (PM10) hat das UBA einen Erfolg zu vermelden: Erstmals seit 2005 wurden die Grenzwerte 2018 in keinem Ballungsraum mehr überschritten. An 35 Tagen im Jahr darf die Belastung über 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen. Nur eine industrienahe Messstation beim nordrhein-westfälischen Lünen maß an 36 Tagen höhere Werte. Angestiegen ist die Konzentration von Ozon, offenbar begünstigt durch das Wetter. Im Rekordsommer 2018 wurde laut UBA das Langfristziel zum Schutz der Gesundheit – nämlich höchstens 120 Mikrogramm pro Kubikmeter im Mittel über acht Stunden – an allen 265 Messstationen überschritten, durchschnittlich an 37 Tagen pro Station.

Scheuer fordert den „Elektro-Käfer“

Bundesverkehrsminister Scheuer fordert zudem von den deutschen Autobauern mehr Tempo bei der Entwicklung von Elektrofahrzeugen. Beim Neujahrsempfang des Verbands der Automobilindustrie (VDA), sagte er, die Branche dürfe sich nicht nur auf die Mittel- und Oberklasse konzentrieren, sondern auch auf kleine, bezahlbare Elektro-Autos. „Wir brauchen den Elektro-Käfer-Effekt“, so Scheuer mit Blick auf das VW-Modell, das vor Jahrzehnten für viele Bundesbürger das erste Auto war.

Die Autobauer warnten vor Hysterie. „Mobilität muss bezahlbar bleiben“, sagte Verbandspräsident Bernhard Mattes. Die Menschen brauchten Auto, Bahn, Fahrrad, Carsharing und viele neue Formen künftiger Mobilität, um zur Arbeit zu kommen und am Leben teilzuhaben. „Deshalb brauchen wir keinen Kreuzzug gegen das Auto.“