Immer wieder werden auch bei der Kontrolle von Güterzügen und Sattelschleppern illegale Einwanderer aufgegriffen. (Bild: Imago/Roland Mühlanger)
Zuwanderung

Zwei Großstädte pro Jahr

Rund 93.000 Asylanträge wurden im ersten Halbjahr 2018 gestellt, mit zuletzt steigender Tendenz. Innenminister Seehofer warnt, die Obergrenze könnte überschritten werden. 72 Prozent der Deutschen halten die Einwanderungspolitik für zu lasch.

Die im Koalitionsvertrag von Union und SPD auf Druck der CSU vereinbarte Begrenzung der Flüchtlingszuwanderung auf 180.000 bis 220.000 Personen wird in diesem Jahr nach Einschätzung von Bundesinnenminister Horst Seehofer womöglich nicht eingehalten. Im ersten Halbjahr seien rund 93.000 Asylanträge gestellt worden, teilte das Ministerium nun mit. Das seien zwar 16,4 Prozent weniger als in den ersten sechs Monaten des Jahres 2017. Im Vergleich zum Mai habe es im Juni aber rund sechs Prozent mehr Anträge gegeben, erklärte Seehofer. Damit werde es „zunehmend wahrscheinlich“, dass der Korridor „erreicht wird oder sogar überschritten werden könnte“. Der Bundesinnenminister weiter:  „Die Anzahl von mehr als 93.000 Asylanträgen im ersten Halbjahr 2018 belegt, dass weiterhin sehr viele Menschen nach Deutschland kommen, die einen Schutzbedarf geltend machen.“

Mehr als 93.000 Asylanträge im ersten Halbjahr

Im ersten Halbjahr 2018 wurden 93.316 förmliche Asylanträge (davon 81.765 Erst- und 11.551 Folgeanträge) gestellt, 18.300 weniger als im Vorjahreszeitraum – und dennoch fast das Volumen einer Großstadt. Die Top-10-Staaten der Asylbewerber wurden angeführt von Syrien (22.520), Irak (9015) und Afghanistan (6222). Dahinter folgen Nigeria (6141), Iran (4730) und die Türkei (4329). Letzteres dürfte auf die Verfolgung Andersdenkender, Oppositioneller und kritischer Journalisten durch den türkischen Diktator Erdogan zurückzuführen sein. Eine erstaunlich hohe Zahl, bedenkt man, dass die Türkei immer noch EU-Beitrittskandidat sowie NATO-Partner ist.

Nur 15,5 Prozent sind echte Flüchtlinge

In den Monaten Januar bis Juni 2018 hat das Bundesamt über die Anträge von 125.190 Personen entschieden, 282.957 weniger (- 69,3 Prozent) als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. In den meisten Fällen handelte es sich jedoch nicht um Schutzberechtigte. Flüchtlinge – also Personen, die von individueller Verfolgung bedroht sind – waren laut BAMF nur 15,5 Prozent (19.433 Personen). Zu dieser Gruppe zählen auch Asylberechtigte nach dem Art. 16a des Grundgesetzes, insgesamt 1668 Personen. Weitere 11,3 Prozent erhielten den subsidiären Schutz nach § 4 des Asylgesetzes, der für Zuwanderer gilt, die zwar nicht verfolgt werden, aber deren Rückkehr in die Heimat zu gefährlich wäre – also vor allem Bürgerkriegsflüchtlinge. Zudem erhielten 4,9 Prozent einen weiteren Schutztitel, das sogenannte Abschiebungsverbot.

Abgelehnt wurden die Anträge von 36,1 Prozent oder 45.198 Personen. Bei weiteren 32,2 Prozent (40.310 Personen) zogen entweder die Antragsteller während des Verfahrens den Antrag zurück oder die Behörden beendeten das Verfahren, weil der Betroffene schon in einem anderen EU-Staat um Asyl gebeten hatte. Die Zahl der noch nicht entschiedenen Anträge lag Ende Juni 2018 bei 52.514 (zum 31. Mai 2018: 50.373; zum 30. Juni 2017: 146.551).

In Deutschland leben die meisten Flüchtlinge

Deutschland hat in Europa mit Abstand die meisten Flüchtlinge aufgenommen, wie kürzlich das Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) berichtete. Demnach lebten Ende 2017 hierzulande 1,41 Millionen Schutzberechtigte und Asylbewerber. Danach folgt Frankreich (402.000) vor Italien (355.000). In Österreich sind es 173.000 Schutzberechtigte, in Griechenland 83.000. Die Zahlen des UNHCR beziehen sich dabei nur auf Schutzberechtigte, Asylbewerber und aus anderen humanitären Gründen Bleibeberechtigte. Abgelehnte Asylbewerber sind in der Statistik nicht enthalten.

Die Bundesrepublik weist im Vergleich der EU aber auch die meisten Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung auf. Im vergangenen Jahr lebten im Bundesgebiet 156.710 Personen ohne offizielles Bleiberecht, wie die EU-Statistikbehörde Eurostat in Luxemburg vor kurzem mitteilte. Das sind etwa ein Viertel aller Menschen, die sich ohne Papiere in der EU aufhalten.

Eine große Mehrheit der Deutschen findet auch deshalb die Einwanderungspolitik zu nachlässig. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov gaben das fast drei Viertel der Befragten (72 Prozent) an. Nur 5 Prozent sind der Ansicht, dass die Behörden zu streng sind, 12 Prozent finden das Vorgehen genau richtig. Knapp zwei Drittel der befragten Deutschen (62 Prozent) sind überzeugt, dass Deutschland weit mehr Einwanderer aufnimmt als angemessen. Nur sieben Prozent gaben an, dass Deutschland zu wenige Flüchtlinge aufnimmt, 13 Prozent finden den Anteil genau richtig.

Frontex warnt vor neuer Fluchtroute

Der Chef der europäischen Grenzschutzagentur Frontex, Fabrice Leggeri, hat jetzt vor dem Entstehen einer neuen Hauptroute für Migranten nach Europa gewarnt. Sie führt von Marokko über das westliche Mittelmeer nach Spanien. Laut Frontex schlagen Schlepper Migranten im Transitland Niger seit kurzem verstärkt vor, diese Route nach Europa zu nehmen. „Wenn Sie mich fragen, was meine größte Sorge derzeit ist: Dann sage ich Spanien“, sagte der Leggeri der Welt am Sonntag. Allein im Juni habe man im westlichen Mittelmeer rund 6000 irreguläre Grenzübertritte aus Afrika nach Spanien gezählt. Bei etwa der Hälfte dieser Menschen handele es sich um Marokkaner, die anderen stammten aus Westafrika.

Leggeri plädierte dafür, die Pläne für internationale Unterkünfte in Afrika voranzutreiben, damit niemand mehr davon ausgehen könne, dass er nach seiner Rettung nach Europa gebracht werde. „Wenn es diesen Automatismus nicht mehr gibt, können wir das kriminelle Geschäftsmodell erfolgreich bekämpfen.“

Italiens Politik zeigt Wirkung

Die Schlepper weichen nach Spanien aus, weil Italien seine Asylpolitik deutlich verschärft hat.  Die neue italienische Regierung hat zuletzt mehreren privaten Rettungsschiffen die Einfahrt in einen Hafen verwehrt. Spaniens neue linke Regierung dagegen ließ sie anlanden.

Die neuesten Zahlen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zeigen nun die Folgen: Waren im ersten Halbjahr 2017 noch rund 85.000 Migranten in Italien und nur 6500 in Spanien angekommen, so waren es im gleichen Zeitraum 2018 in Italien nur noch 16.700 – und in Spanien bereits 15.600.