Ratlose Truppe: Finanzminister Olaf Scholz, SPD-Chefin Andrea Nahles, Generalsekretär Lars Klingbeil (v.l.). (Foto: Imago/Sven Simon)
SPD

Realitätsverlust statt Realpolitik

Kommentar Die SPD buhlt mit Horrorszenarien und wüster Polemik um öffentliche Aufmerksamkeit. Die Partei sollte zur Vernunft zurückkehren und im Koalitionsausschuss den Transitzentren zustimmen – im ureigensten Interesse ihrer Stammwähler.

Möglicherweise sind es Entzugserscheinungen in Sachen öffentliche Wahrnehmung. Nachdem sich drei Wochen lang kein Journalist für die SPD interessiert hat, drehen die Genossen hohl: Sie apostrophieren die von der Union vereinbarten Transitzentren an der deutsch-österreichischen Grenze als „geschlossene Lager“ (Parteichefin Andrea Nahles), „Massenlager, wo Flüchtlinge wochenlang eingesperrt sind“ (Generalsekretär Lars Klingbeil), und fantasieren von „Flüchtlingsfamilien hinter bewachten Zäunen“ (Parteivize Ralf Stegner). Der CSU wird ein „Anschlag auf die Demokratie“ (Schatzmeister Dietmar Nietan) unterstellt, die Linksausleger von der SPD-„Arbeitsgemeinschaft Migration“ fordern Bundesinnenminister Horst Seehofer zum Rücktritt auf. Und der gescheiterte Kanzlerkandidat Martin Schulz behauptet, es ginge nur um „Peanuts-Zahlen von Flüchtlingen in einer Peanuts-Frage“ – eine gewagte Aussage bei einer Zahl von 46.000 Fällen allein im Jahr 2017.

Nicht nur publizistisch, auch demoskopisch hat es die SPD schwer: Im Bund ist sie auf Werte zwischen 19 und 17 Prozent abgesackt und liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit AfD und Grünen. In Bayern steht sie bei 13, in Sachsen bei 9 Prozent. Die Genossen-Truppe ist ratlos und ideenlos. In so einer Situation reagiert man schon einmal über.

Es geht um Verantwortung für Deutschland

Aber in der Politik, zumal in Regierungsverantwortung, geht es nicht um Trauma-Bewältigung, sondern um Entscheidungen zum Wohle der Bürger. Die Armuts- und Wirtschaftszuwanderung muss geregelt und gesteuert, vor allem gebremst werden. Dies sollte die SPD-Führung endlich einsehen – auch mit Blick auf die erhebliche Unruhe an der Parteibasis und innerhalb ihrer – beständig schrumpfenden – Stammwählerschaft.

Denn bei allem Wandel, der diese Gruppen in den letzten Jahrzehnten erfasst hat: Weder die Arbeiter- und Facharbeiterschaft – gut ausgebildet, hart arbeitend und für ihre Rente sparend – noch die klassischen Gastarbeiter und ihre Nachkommen, die großteils zur ersten Gruppe gehören, noch sozial Benachteiligte und Langzeitarbeitslose haben Interesse an einer schrankenlosen Einwanderung.

SPD-Stammklientel will keine Masseneinwanderung

Das deutsche Sozialsystem verträgt nicht Hunderttausende oder gar Millionen, die nicht einzahlen, aber jetzt oder später Leistungen verlangen. Ein Land kann entweder eine Einwanderungsgesellschaft sein oder ein Sozialstaat. Beides wird nicht funktionieren. Sogar das einstige sozialdemokratische Musterland Schweden hat das im Laufe des Jahres 2015 erkannt und die Grenzen für Zuwanderer geschlossen. Die klassische und kleinbürgerliche SPD-Klientel in Deutschland spürt diese politische Diskrepanz ebenfalls. Sie merkt hautnah die massive Konkurrenz der Migranten auf dem Immobilienmarkt, beim Gang zur „Tafel“, zum Arbeits- oder Sozialamt.

Die bisherigen Töne aus der SPD zeigen allerdings, dass die Genossen die Probleme und Sorgen der Ottonormalverbraucher nicht mehr verstehen, sie ignorieren. Grenzen auf für alle, das kann nicht im Sinn des deutschen Sozialstaats oder der einfachen Arbeiter sein.

„Massenlager“ als Kampfbegriff

Die geplanten Zentren werden, anders als behauptet, keine „Massenlager“. Es geht vielmehr darum, die Einreise von „Sekundärmigranten“ zu verhindern, die bereits in anderen EU-Ländern registriert sind oder dort schon Asylverfahren angestrengt haben. Ist der Fall geklärt, werden die Menschen entweder abgewiesen oder in Ankerzentren gebracht, wo sie ein Asylverfahren durchlaufen. Der Aufenthalt in den Zentren für diese Prüfung wird maximal 48 Stunden dauern, das hat Bundesinnenminister Horst Seehofer klargestellt. Bei einer Zahl von Fällen wie im vergangenen Jahr und einer Verweildauer von 48 Stunden würden sich vermutlich in der Regel einige Dutzend, allenfalls einige Hundert Immigranten gleichzeitig in den Transitzentren aufhalten. Von „Massen“ kann da keine Rede sein.

Und „geschlossen“ sind die rechtlich exterritorialen Transitzentren nur insofern, als ihr Sinn ja gerade darin besteht, juristisch eine Einreise nach Deutschland zu verhindern. Denn wenn die Migranten erst einmal rechtlich rechtmäßig deutschen Boden betreten haben, sind aufwändige Verfahren und am Ende teure Abschiebungen nötig – genau das hat die CSU ja mit ihrem massiven Einsatz verhindert. Und: Niemand wird gezwungen, in den Transitzentren zu bleiben. Allerdings öffnet sich der Ausgang allein nach Österreich. Das muss klar sein.