CSU hört zu: Mittelständler sowie Chefs von Vereinen und Sozialverbänden schildern die praktischen Probleme mit dem Mindestlohngesetz. (Bild: CSU-Landesgruppe)
Mindestlohn

Bürokratiemonster Marke Nahles

Erschreckendes Ergebnis des „Praxis-Checks Mindestlohn“ der CSU-Landesgruppe: Mittelständler, Bauern, Gastwirte, aber auch Chefs von Sozialverbänden und Sportvereinen beklagen sich über bürokratische Dokumentationspflichten, weltfremde Auftraggeberhaftung und martialische Kontrollen des Zolls mit Schusswaffen und kugelsicheren Westen. Die CSU verspricht, am Ball zu bleiben.

Insbesondere die Dokumentationspflichten, die Auftraggeberhaftung, die Abgrenzung von Ehrenamt zu mindestlohnpflichtiger Beschäftigung und vor allem die Regelungen bei den Bereitschaftsdiensten in sozialen Einrichtungen waren die zentralen Punkte, die den Praktikern unter den Nägeln brennen. „Wir haben in der Gastronomie bereits 20 Dokumentationspflichten – doch die jetzige bringt das Fass zum Überlaufen“, sagt Ernst Fischer, Hotelbesitzer und Gastronom aus Tübingen.

Beginn, Ende, Pausen und Dauer der Arbeitszeit seiner Mitarbeiter müsse er nun genauestens aufzeichnen und archivieren, so Fischer. Der Zoll kontrolliere dies dann in den Lokalen mit Schusswaffen und kugelsicherer Weste. „Hier wird eine ganze Branche diskriminiert. Ich bin seit 45 Jahren selbstständig. Aber so etwas habe ich noch nie erlebt.“

Wie sollen Mittelständler für osteuropäische Subunternehmer haften?

Auch Reinhard Sperber vom Unternehmen „Wiegel Feuerverzinken GmbH“ aus Bayern konnte seine Emotionen kaum unterdrücken. Vor allem die verschuldensunabhängige Auftraggeberhaftung ist für ihn nicht das geeignete Mittel, um die Einhaltung des Mindestlohns zu garantieren. „Letzten Endes haftet jeder für jeden“, erklärt er und ergänzt: „Dadurch werden 99,9 Prozent der Unternehmen in die Pflicht genommen, um einen zu erwischen, der den Mindestlohn nicht zahlt. Verhindern jedoch kann man dies auch nicht mit der Auftraggeberhaftung“, so der Unternehmer

Gerda Hasselfeldt, die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, machte bei dem Gespräch mit den Praktikern deutlich, dass die CSU-Landesgruppe an den Anliegen der Wirtschaft und den Vereinen weiter dran bleiben werde. „Der Mindestlohn bleibt auf der Tagesordnung, bis die Probleme vernünftig gelöst sind.“ Es könne nicht sein, dass überbordende Demokratie und unkalkulierbare Risiken eine Gefahr für die Arbeitsplätze in Deutschland werden.

Die Stimmen vom „Praxis-Check Mindestlohn“:

Ich bin Gastronom aus Leidenschaft und möchte für meine Gäste da sein und nicht den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen und dokumentieren.

Ernst Fischer, Präsident „Dehoga“-Bundesverband und Hotelbesitzer

„Ich fühle mich kriminalisiert“: Ernst Fischer ist seit 45 Jahren Betreiber des Landhotels Hirsch in Tübingen und hat rund 25 Mitarbeiter. Als Hauptproblem benennt er Dokumentationspflichten und Kontrollen durch den Zoll. Die Höhe des Mindestlohns ist für Ernst Fischer kein Problem, sondern die Arbeitszeitdokumentation und ihre Folgen. Der Umfang der Dokumentationspflichten, kostenverursachende technische Lösungen bei der Dokumentation, Datenspeicherung und Datenaufbewahrung sind in seinen Augen „nicht akzeptabel“. Ernst Fischer sagt: „Als ehrlicher Gastronom fühle ich mich diskriminiert und kriminalisiert.“ Zudem nennt er die Kontrollen durch den Zoll mit Waffe und kugelsicherer Weste „unverhältnismäßig“. Er fordert, den Mindestlohn vom Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz zu entkoppeln und die Mindestlohnkontrollgrenze auf 1900 Euro herabzusetzen. Die Regelung zur Dokumentationspflicht bei mitarbeitenden Familienangehörigen sind für ihn „lebensfremd“.

 

Wir müssen unser Förderprogramm mit viermonatigem Praktikum, welches wir speziell für Schulabbrecher gemacht haben, wahrscheinlich einstellen. Das tut weh.

Reinhard Sperber, Geschäftsführung Wiegel Feuerverzinken GmbH

„Jeder haftet für jeden. Das ist ein unkalkulierbares Risiko“: Reinhard Sperber ist Geschäftsführer der Firma „Wiegel Feuerverzinken“, ein Familienunternehmen mit 1600 Mitarbeitern, das er in dritter Generation führt. Er nennt als größtes Problem die Auftraggeberhaftung (Verweis im MindestlohnG auf § 14 Arbeitnehmerentsendegesetz). Die Auftraggeberhaftung sei verschuldensunabhängig und damit ein unkalkulierbares Risiko. Das Unternehmen habe rund 16.000 Kunden, davon seien 8000 gewerbliche Kunden, für diese seien sie auch Nachunternehmer. So gebe es ein großes wechselseitiges Haftungsverhältnis: „Letzen Endes haftet jeder für jeden.“ So müsse das Unternehmen verschiedene Haftungsfreistellungserklärungen akzeptieren; zudem würden Bestätigungen über die Zahlungen des Mindestlohns durch den Wirtschaftsprüfer, Steuerberater oder Betriebsrat verlangt sowie anonymisierte Entgeltunterlagen oder stichprobenartige Einsichten in die Lohnunterlagen. Es sei zudem notwendig, jede der unterschiedlichen Erklärungen durch einen Rechtsanwalt prüfen zu lassen. Die verschuldensunabhängige Auftraggeberhaftung gehöre abgeschafft, es genüge die Möglichkeit der Verhängung von Bußgeldern bei fahrlässigem Verhalten.  Die Höhe des Mindestlohns ist für Reinhard Sperber kein Problem, auch die Zeiterfassung sei für ein Unternehmen seiner Größe zu schaffen.

 

Die Auftraggeberhaftung bekommen wir rechtlich nicht in den Griff. Wie sollen wir zum Beispiel osteuropäische Transportunternehmen kontrollieren?

Hans Ach, Geschäftsführer Niedermaier Spedition GmbH

„Die Haftungskette ist viel zu lang und nicht kontrollierbar“: Hans Ach ist Geschäftsführer der „Niedermaier Spedition“. Zentrales Problem beim Mindestlohngesetz ist für ihn ebenfalls die Auftraggeberhaftung bei Spediteuren: „Wir kriegen sie rechtlich nicht in den Griff.“ Die Haftungskette ist nach seiner Einschätzung vor allem bei osteuropäischen Unternehmen zu lang und nicht kontrollierbar. Auch bei Aushilfen, auf die Spediteure häufig zurückgreifen, sei eine Kontrolle kaum umsetzbar. Auch die Aufzeichnungspflicht bei Familienangehörigen ist für Ach „nicht leistbar“. Auch die Einkommensgrenze, ab der die Mindestlohnkontrolle entfällt, ist für Ach mit 2958 Euro zu hoch und muss auf maximal 2000 Euro reduziert werden.

 

Die Dokumentationspflichten für Familienangehörige sind ein Witz. Da müsste ich ja auch aufschreiben, wenn mein 93-jähriger Opa auf dem Feld nach dem Rechten sieht.

Herbert Mühlbauer, Geschäftsführer Mühlbauer Gemüse GmbH

„Wenn der Opa auf dem Feld nach dem Rechten sieht, muss seine Arbeitszeit dokumentiert werden. Das ist nicht akzeptabel“: Herbert Mühlbauer, Geschäftsführer der Mühlbauer Gemüse GmbH. Mühlbauer Gemüse bestellt die größte zusammenhängende Gurkenanbaufläche Europas. Bei Mühlbauer Gemüse leben und arbeiten vier Generationen in einem landwirtschaftlichen Betrieb zusammen. Als Hauptproblem benennt Herbert Mühlbauer die Höhe des Mindestlohns für Erntehelfer, die mangelnde Flexibilität bei Arbeitszeiten sowie die Dokumentationspflicht für Familienangehörige. Die Dokumentationspflicht für mitarbeitende Familienangehörige hält Mühlbauer für nicht sachgerecht und lebensfremd: Er müsse nun aufzeichnen, wenn sein 93 Jahre alter Großvater kurz auf dem Feld nach dem Rechten sehe – das sei nicht akzeptabel: „Ehrenamt und mindestlohnpflichtige Tätigkeit müssen gesetzlich klar abgegrenzt werden.“ Für landwirtschaftliche Betriebe, die in der Erntezeit viele Saisonkräfte beschäftigen, ist nach Aussage Mühlbauers die Höhe des Mindestlohns ein Problem. Der gesetzliche Mindestlohn bedeutet für seinen Betrieb eine Steigerung der Lohnkosten um rund 40 Prozent. Ein immenser Aufwand sind für Mühlbauer auch die Dokumentationspflichten: Für seine rund 300 Saisonarbeitskräfte seien nun zusätzliche Büroangestellte nötig.

 

Wenn wir beispielsweise bei Behindertenfahrdiensten Mindestlohn bezahlen müssen, können wir dort nicht mehr tätig sein. Wir brauchen eine klare Definition des Ehrenamtsbegriffs wie im Einkommenssteuerrecht.

Karl Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender der Geschäftsführung Malteser Hilfsdienst gemeinnützige GmbH

Karl Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender der Geschäftsführung Malteser Hilfsdienst. Das Hauptproblem ist für Sozialverbände die Abgrenzung zwischen Ehrenamt und beruflicher Tätigkeit, außerdem Arbeitszeitkonten und der Umgang mit Bereitschaftszeiten. Der Mindestlohn an sich ist für Löwenstein auch für caritative Institutionen grundsätzlich kein Problem. Probleme gebe es allerdings bei drei Themen: die Abgrenzung zum Ehrenamt, Regelungen der Arbeitszeit (Bereitschaftsdienste) und dem Umgang mit Arbeitszeitkonten. Schwierig ist laut Löwenstein beim Mindestlohngesetz der Umgang mit Bereitschaftsdiensten. Rettungsdienste im ländlichen Raum, nächtliche Jugend- und Behindertenhilfe würden bisher pauschaliert vergütet, das sein nun nicht mehr möglich. Derartige Dienste müssten nun pro Zeiteinheit entlohnt werden. Das führe zu nicht zu leistender finanzieller Mehrbelastung. Löwenstein fordert die rechtliche Klärung der Abgrenzung beruflicher Tätigkeit und Ehrenamts, beispielsweise durch analoge Anwendung des Ehrenamtsbegriffs aus dem Einkommensteuergesetz.

 

Es herrscht eine große Rechtsunsicherheit. Doch wir als Vereine brauchen klare Regeln. Sind zum Beispiel unsere Vertragsspieler Arbeitnehmer?

Michael Dregger, Vorstandssprecher des Sportvereins Rot-Weiß Lüdenscheid

„Amateurfußballer sind keine Arbeitnehmer“: Michael Dregger ist Vorstandssprecher des Sportvereins Rot-Weiß Lüdenscheid. Das größte Problem für Sportvereine – unabhängig welcher Sportart – ist laut Dregger die Unsicherheit bei der Bezahlung von Amateurfußballern. Die Aufwandsentschädigung liege in der Regel bei rund 150 bis 200 Euro, in höheren Ligen auch deutlich darüber. Die zentrale und noch offene Fragen ist für Dregger, ob die Spieler Arbeitnehmer seien und wenn ja, was zur Arbeitszeit zähle. Dies müsse gesetzlich geregelt werden.

 

Wir haben Bezirke, in denen die Zeitung nicht mehr verlässlich zugestellt werden kann. Das betrifft gerade das Land. Dabei ist ein freier Zugang zu Information im Grundgesetz verankert.

Simone Tucci-Diekmann, Geschäftsführerin Passauer Neue Presse GmbH

„Für die gleiche Arbeit sind jetzt ein Drittel mehr Zeitungszusteller nötig“: Simone Tucci-Diekmann ist Geschäftsführerin der Passauer Neue Presse GmbH. Größtes Problem für Zeitungsverleger sind laut Tucci-Diekmann die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Zeitungszusteller und die Dokumentationspflicht dieser Arbeiten. Der Verlag beschäftigt derzeit rund 1400 Austräger größtenteils als geringfügig Beschäftigte, also Minijobs bis 450 Euro. Mit der Umstellung von Stücklohn auf Zeitlohn hätten die Zustellbezirke im ländlich geprägten Raum deutlich verkleinert werden müssen, um Zusteller weiterhin im Rahmen eines 450-Euro-Jobs beschäftigen zu können. Für die gleiche Arbeit seien nun rund ein Drittel mehr Zusteller nötig. Das sei für den Verlag eine immense zusätzliche Belastung. Zahlreiche Trägerbezirke stünden zudem seitdem leer, da keine neuen Zusteller akquiriert werden konnten. Aufwändig und schwer zu leisten ist nach Aussage Tucci-Diekmanns ferner die vorgeschriebene Dokumentation der Arbeitszeit für Zeitungszusteller. Sie fordert konsequenterweise eine Anhebung der 450-Euro-Grenze.