Gegen den Kontinent: AfD-Veranstaltung in NRW mit dem Parteiprogramm zur Europawahl. (Foto: Imago/N. Wedel)
Populisten

Die deutsche Brexit-Partei

Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union, weg mit Europaparlament, Euro-Währung und gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik: Die AfD positioniert sich mit ihrem Europawahlprogramm als mäßig glaubwürdige Anti-EU-Partei.

Die AfD hält Deutschlands Austritt aus der Europäischen Union für unausweichlich, falls sich die EU in absehbarer Zeit nicht radikal im Sinn der Rechtspopulisten verändert. Auf ihrem Europa-Parteitag im sächsischen Riesa beschlossen die Delegierten ein Programm, in dem es heißt: „Sollten sich unsere grundlegenden Reformansätze im bestehenden System der EU in angemessener Zeit nicht verwirklichen lassen, halten wir einen Austritt Deutschlands oder eine geordnete Auflösung der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft als letzte Option für notwendig.“

Damit schwächten die Delegierten die im ursprünglichen Leitantrag der Programmkommission enthaltene Formulierung ab. Dort hatte es noch geheißen, die Partei wolle den EU-Austritt schon dann, wenn sich ihre Vorstellungen „nicht innerhalb einer Legislaturperiode“ verwirklichen ließen, also bis 2024.

Anti-demokratische Haltung

Insgesamt bestimmt das AfD-Europawahlprogramm eine grundsätzliche Ablehnung der EU in der heutigen Form: „Die Europäische Gemeinschaft hat sich zu einem undemokratischen Konstrukt entwickelt, das von den politischen Klassen Europas besetzt ist und von intransparenten, nicht kontrollierten Bürokratien gestaltet wird“, behauptet die AfD und schürt kräftig Vorurteile: „Die Politik der EU-Organe, insbesondere des Europäischen Rats und der Europäischen Kommission, ist vom Feilschen um Partikular-interessen von Einzelstaaten und Lobby-Klüngel dominiert.“ Und weiter: Die politischen Klassen hätten die Europäische Union zu einem „monströsen Behörden- und Verwaltungsapparat“ ausgebaut.

Zudem fordert die AfD, das Europaparlament in Gänze abzuschaffen. Der entsprechende Antrag wird damit begründet, dass das EU-Parlament „mit seinen derzeit privilegierten 751 Abgeordneten“ undemokratisch sei. An dessen Stelle soll eine „Europäische Versammlung“ treten, „ein Gremium von maximal 100 aus den Nationalstaaten ent-sandten Delegierten, die von den nationalen Parlamenten proportional zu den Fraktionsstärken gewählt werden“. Weiter heißt es: „Die Rechtsetzungskompetenz sehen wir ausschließlich bei den Nationalstaaten.“

In der Wortwahl scheint hier klar der populistische Grundansatz der AfD durch, also die rhetorische Konstruktion des Gegensatzes „Wir hier unten – die korrupte politische Klasse da oben“. Wie allerdings ausgerechnet die von der AfD gewünschte Abschaffung des Europaparlaments und die Stärkung der nationalstaatlichen Interessen das kritisierte „Feilschen um Partikularinteressen von Einzelstaaten“ lindern soll, bleibt unklar.

Das gestörte Verhältnis der AfD zum Parlamentarismus und zur repräsentativen Demokratie zeigt sich in der weitgehenden Forderung nach Volksabstimmungen. Ginge es nach der AfD, dürften Bundesregierung und Bundestag auf EU-Ebene nichts Wichtiges mehr ohne eine Volksabstimmung beschließen. „Solange die staatliche Souveränität der Nationalstaaten nicht wiederhergestellt ist, darf Deutschland ohne Volksabstimmung keine Verträge bezüglich einer EU-Erweiterung, Abgabe von Souveränität und Haftungszusagen ändern oder abschließen.“

Schwächung der EU

Wie bereits 2014 wird auch im AfD-Europaprogramm 2019 der Austritt Deutschlands aus dem Euro gefordert. Die AfD lehnt eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik und eine gemeinsame europäische Armee ab. Stattdessen fordert sie stärkeres nationales Vorgehen, wenn auch zwischenstaatlich koordiniert. „Kernkompetenzen und Entscheidungsbefugnisse, auch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik, müssen in der Verantwortung der Mitgliedstaaten verbleiben. Die AfD setzt sich für eine an deutschen Interessen ausgerichtete Außenpolitik ein“, heißt es im Programm. Wie allerdings Deutschland allein beispielsweise die Migration in Afrika oder die Zuwanderung über das Mittelmeer und die Ägäis kontrollieren oder stoppen soll, bleibt das Geheimnis der AfD.

Zum Verhältnis zu den USA fallen der AfD nur drei Sätze ein: „Gute Beziehungen zu den USA sind für Europa und Deutschland von wesentlicher Bedeutung. Eine Interessensabstimmung auf Augenhöhe und gegenseitigem Respekt ist erforderlich. Der Wandel der US-Außenpolitik zwingt Deutschland und die anderen europäischen Staaten ihre Interessen eigenständig zu formulieren und eröffnet eine Chance, diese auch wahrzunehmen.“ Dass aber gerade die von der AfD geforderte Schwächung der EU-Außenpolitik den Einfluss der einzelnen Staaten Europas gegenüber Trump schwächen würde, ignoriert das Programm.

Sehr freundlich äußert sich die AfD zu Putins Russland und seinem „Eurasien“-Projekt. „Die historischen und wirtschaftlichen Verbindungen mit Russland gebieten einen gegenseitigen Interessenausgleich, der dem Wohle aller europäischen Völker dient.“ Die gegen Russland verhängten Sanktionen lehnt die AfD ab. Stattdessen wirbt die Partei für stärkere Zusammenarbeit mit Putins „Eurasischer Wirtschaftsgemeinschaft“ und für die in der EU umstrittene neue Ostsee-Pipeline „Nord Stream 2“.

Allianz mit Rechten

AfD-Listenführer ist Co-Parteichef Jörg Meuthen, derzeit einziger AfD-Abgeordneter im EU-Parlament. Bekanntlich war die AfD 2014 mit sieben Abgeordneten ins Straßburger Parlament eingezogen. Außer Meuthen sind mittlerweile alle aus der AfD ausgetreten – lediglich Beatrix von Storch blieb in der Partei, wechselte aber in den Bundestag. Meuthen rückte erst im Herbst 2017 für von Storch nach. Der Parteichef strebt nach eigenen Worten in der neuen Legislaturperiode des Europaparlaments die Bildung einer möglichst großen Rechtspopulisten-Fraktion an. Vor allem mit der FPÖ, der italienischen Lega und mehreren skandinavischen Rechtsparteien sieht die AfD große Schnittmengen.

Meuthen gehört derzeit einer der drei Rechtsfraktionen im EU-Parlament an: „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“ (EFDD), die von den Abgeordneten der mittlerweile aufgelösten Brexit-Partei UKIP dominiert wird, aber auch die italienische Populisten-Regierungspartei Cinque Stelle des Komikers Beppe Grillo umfasst.

Straßburger Beobachter erwarten, dass die drei Rechtsaußen-Fraktionen sich zu zweien zusammenschließen, vermutlich einer gemäßigten rechtskonservativen und einer nationalistischen Rechtsaußen-Fraktion – wobei unklar ist, welcher von diesen sich die neuen AfD-Abgeordneten dann anschließen werden. Eine Stimme für die AfD könnte im Europaparlament also durchaus die antideutsche PiS aus Polen stärken, den radikalen Niederländer Wilders – oder auch die französische Radikalnationalistin Marine Le Pen. Diese Aussicht könnte potenzielle AfD-Wähler mit grundsätzlich bürgerlich-konservativer Grundeinstellung durchaus abschrecken.

Journalisten fiel beim Riesaer AfD-Europaparteitag allerdings auf, dass kein prominenter Vertreter einer namhaften ausländischen rechtspopulistischen oder rechtsnationalen Partei auftauchte: Weder die italienische Lega noch die ungarische Fidesz noch die österreichische FPÖ waren vertreten.

Die AfD, die sich mit Blick auf das EU-Parlament durchstarten sieht, ist faktisch noch eine kleine Nummer im Konzert der nationalkonservativen Parteien in Europa.

Volker Finthammer, Redakteur Deutschlandfunk