Ernste Gesichter nach der Thüringen-Wahl (v.l.): AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, CDU-Landeschef Mike Mohring, Ministerpräsident Bodo Ramelow von den SED-Erben in einem Fernsehstudio. (Foto: Picture alliance/dpa/Martin Schutt)
Thüringen

Demokratische Mitte in der Minderheit

Zeitenwende der bundesdeutschen Demokratie: Erstmals erobern die Extremen von rechts und links, AfD und die SED-Erben von der Linkspartei, mehr als die Hälfte der Sitze in einem Landesparlament. CDU, SPD und Grüne schneiden miserabel ab.

Grundstürzendes Wahlergebnis in Thüringen, ein Hauch von Weimar: Erstmals haben alle demokratischen Parteien der Mitte gemeinsam keine Mehrheit mehr. Selbst eine Viererkoalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP würde keine 50 Prozent der Sitze erreichen. Dagegen besetzen die Extremen von rechts und links, AfD und die SED-Erben, zusammengerechnet mehr als die Hälfte der Sitze im neuen Erfurter Landtag.

Erstmals gibt es keine Mehrheit mehr für die politische Mitte.

Mike Mohring, CDU-Landeschef und Spitzenkandidat in Thüringen

Nach der Landtagswahl in Thüringen wird die Regierungsbildung schwierig. Ministerpräsident Bodo Ramelow gewann mit seiner Linkspartei zwar deutlich, kann aber mit SPD und Grünen nicht wie bisher weiterregieren.

Das zwingt zu überaus ungewollten Bündnissen, die eine Zerreißprobe für die Beteiligten werden: CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring schloss eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht grundsätzlich aus – und stellte klar, dass darüber „alleine in Thüringen“ entschieden wird, nicht in den Berliner Parteizentralen.

Historische Schlappen für CDU und SPD, Verluste für die Grünen

Nach dem vorläufigen Endergebnis verbesserte sich die Linke auf 31,0 Prozent (2014: 28,2) und kam auf das beste Ergebnis bei einer Landtagswahl überhaupt. Die CDU von Spitzenkandidat Mike Mohring sackte auf 21,8 Prozent (2014: 33,5 Prozent) – ein Minus von knapp 12 Prozentpunkten. Die AfD, die in Thüringen vom Wortführer des rechtsnationalen Flügels, Björn Höcke, geprägt wird, sprang von 10,6 auf 23,4 Prozent. Die SPD rutschte weiter ab: auf den neuen Tiefstand von 8,2 Prozent (12,4). Die Grünen verloren – nach einem knappen Jahr medialer Klimahysterie – auf 5,2 Prozent (5,7). Die FDP kam auf 5,0 Prozent (2,5 Prozent) und zog damit wieder in einen ostdeutschen Landtag ein.

Die Linke ist damit bei der Wahl erstmals in einem Bundesland stärkste Kraft geworden. Die bisherige rot-rot-grüne Koalition verlor aber ihre Mehrheit, weil SPD und Grüne äußerst schwach abschnitten. Die CDU, die seit 1990 stets vorn gelegen hatte, stürzte auf das schlechteste Ergebnis der Landesgeschichte. Sie kam hinter der AfD auf Platz drei, die ihr Resultat mehr als verdoppelte. Die FDP musste lange zittern – und kann sich nun freuen: Mit 5,0005 Prozent übersprang sie die Fünf-Prozent-Hürde um gerade mal fünf Stimmen, wie es von der Landeswahlleitung unter Berufung auf das vorläufige Ergebnis hieß.

Verantwortung für das Land

Erstmals gebe es keine Mehrheit mehr für die „politische Mitte“, sagte Mohring im ARD-Morgenmagazin. „Aber das heißt nicht, dass wir uns in die Ecke stellen können, sondern wir müssen Verantwortung übernehmen.“ Was das bedeute, müsse man ausloten. „Mir sind stabile Verhältnisse wichtiger für das Land, als dass es nur um parteipolitische Interessen geht.“ Mit Blick auf Beratungen in den Führungsgremien der Partei sagte er: „Ich brauche nicht Berlin, um zu wissen, was für Thüringen nützlich ist.“ Eine Zusammenarbeit mit der AfD schloss Mohring abermals aus. Auch CSU-Chef Markus Söder hatte jede Zusammenarbeit der Union mit der AfD abgelehnt.

Heute ist Thüringen unregierbar. SPD und Grüne stehen in Thüringen vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen Politik.

Markus Blume, CSU-Generalsekretär

Die CDU muss nach massiven Einbußen in ihrer einstigen Hochburg ihr weiteres Vorgehen klären. Laut einem Bundesparteitagsbeschluss lehnt sie alle „Formen der Zusammenarbeit“ mit AfD und Linkspartei ab. Aber ohne die AfD ist eine Regierungsbildung nur möglich, wenn Union oder FDP mit den Linken kooperieren – also entweder doch eine Koalition eingehen oder aber eine Minderheitsregierung dulden.

CDU auf völlig falschem Kurs?

Die Erfolge von Linkspartei und AfD bei der Landtagswahl in Thüringen sind nach Ansicht von CSU-Generalsekretär Markus Blume dramatisch für die Demokratie. „Heute ist Thüringen unregierbar. SPD und Grüne stehen in Thüringen vor dem Scherbenhaufen ihrer eigenen Politik“, betonte er. Das müsse auch SPD und Grünen auf Bundesebene eine Warnung sein: „Wer mit den Rändern koaliert, verliert.“

Die Klimapolitik ist auf dem Land ganz offenkundig kein vordringliches Thema für die Leute.

Tilman Kuban, JU-Bundesvorsitzender

Massive Kritik am Kurs der CDU-Führung kommt vom Bundeschef der Jungen Union (JU), Tilman Kuban. Der JU-Chef warf seiner Partei falsche thematische Weichenstellungen vor. „Wir haben wohl in den letzten Monaten die falschen Themen gesetzt“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die CDU müsse sich die Frage stellen, „wie sie den großen Anteil der Leute im ländlichen Raum besser erreicht“, sagte Kuban. Das Thema Klimapolitik, an dem die CDU in den vergangenen Monaten intensiv gearbeitet hatte, sei auf dem Lande „ganz offenkundig kein vordringliches Thema für die Leute“, betonte der JU-Chef. „Und das Diesel-Bashing ist der falsche Schwerpunkt in der Mobilitätspolitik, wenn zwei Drittel der Menschen mit dem Auto pendeln.“ Kuban empfahl der CDU, sich um Themen wie die Zukunft der Landwirtschaft, Landärzteversorgung oder bessere Bus- und Bahnanbindungen zu kümmern.

Ramelow umwirbt CDU

Ramelow sagte am Sonntagabend im ZDF, alle Demokraten müssten in der Lage sein, miteinander zu sprechen. „Lasst uns doch auch mal ausloten, was es an gemeinsamer Kraft im Parlament gibt.“ Dies sei noch jenseits der Frage, wer mit wem offiziell in Regierungsgespräche eintrete. In Thüringen habe man es immer wieder geschafft, „über scheinbare parteipolitische Gräben hinweg“ in entscheidenden Fragen an einem Strang zu ziehen, etwa nach Bekanntwerden der NSU-Terrorserie. Ramelow betonte, er habe natürlich die Absicht, sich „sehr schnell im Parlament zur Wahl zu stellen“.

SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee brachte eine Minderheitsregierung ins Gespräch. Gegebenenfalls könnte eine rot-rot-grüne Regierung mit wechselnden Mehrheiten bei Entscheidungen, die nicht grundsätzlicher Art seien, agieren, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Alle Parteien auf demokratischem Grund müssten gesprächsfähig sein. „Komplizierte, auch längere Gespräche stehen an“, betonte er. Die FDP in Thüringen liebäugelt dagegen mit einer Minderheitsregierung. Diese „wäre eine Herausforderung für die Demokratie, aber die Wähler würden dann auch wieder sehen, dass Demokratie tatsächlich im Parlament stattfindet“, sagte FDP-Spitzenkandidat Thomas Kemmerich.

(dpa/BK)