Wieder im Fokus: Diskussion über die Dauerbaustelle Asylrecht. (Bild: Imago/Ralph Peters)
Debatte

Das Asylrecht ändern?

Immer wieder wurden und werden Defizite im Asylrecht aufgedeckt, beklagt, teilweise behoben oder still übergangen. Nun diskutieren Juristen und Politiker über eine grundlegende Reform des Asylrechts – auch einheitlich für Europa.

Von der Einreise ohne Papiere, den unzähligen Varianten für den Status eines Asylbewerbers oder Flüchtlings, über den Familiennachzug bis hin zu den schwierigen Abschiebungen, scheint das deutsche Asylrecht Flickwerk zu sein, das jeder Asylbewerber überlisten kann. Trotz vieler wichtiger Änderungen scheint es weiter so zu sein, dass beinahe jeder, der erstmal in Deutschland angekommen ist, auch hierbleiben kann.

Die Ausnahme wird zur Regel

Mit rund 187.000 Migranten im Jahr 2017 gibt es in Deutschland immer noch einen Zuzug vom Umfang einer Großstadt. „Tagtäglich gelangen rund 500 Migranten (…) nach Deutschland, denen dies gemäß Dublin-Vertrag verwehrt bleiben sollte. Statt Recht durchzusetzen, muss die Bundespolizei den Rechtsbruch tolerieren. Zur Anwendung kommen Regeln, die einmal als Ausnahmebestimmungen gedacht waren, sich aber längst als neuer Normalfall etabliert haben“, beschreibt Eric Gujer, Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, das Dilemma. Von der Politik beschlossene Regeln drohten zudem jederzeit von deutschen Gerichten ausgehebelt zu werden.

Die Mindestanforderung dabei ist, dass die Regierung die geltenden Gesetze durchsetzt oder, wenn sie völlig weltfremd sind, diese ändert.

Erich Gujer, NZZ

Ein Nachlassen der Zuwanderung ist nicht zu erwarten, schon wegen der Bevölkerungsexplosion in Afrika und Asien, den fehlenden wirtschaftlichen Perspektiven, den vielen Diktaturen und Kriegen weltweit. „Der Politik fällt die undankbare Aufgabe zu, einen Mittelweg zwischen naiver Willkommenskultur und realitätsfremden Abschottungsversuchen zu finden. Die Mindestanforderung dabei ist, dass die Regierung die geltenden Gesetze durchsetzt oder, wenn sie völlig weltfremd sind, diese ändert“, schreibt Gujer weiter.

Staatsrechtler plädiert für Änderungen

Genau hier nun setzt in den vergangenen Tagen wieder eine politische und juristische Diskussion ein, die schon länger geführt wird. Diskutiert wird die Frage, ob das deutsche Asylrecht aus Artikel 16a Grundgesetz ebenso wie internationale Abkommen, wie etwa die Genfer Flüchtlingskonvention, geändert werden müssen. Beide entstanden in der Zeit kurz nach den Schrecken des NS-Regimes in Europa und gingen von anderen Voraussetzungen aus.

In der Zeitung Die Welt forderte der Staatsrechtler Rupert Scholz eine Änderung des Grundgesetzes. Die derzeitige Regelung, nach der Asyl ein stets einklagbares Grundrecht ist, sei nicht länger akzeptabel. Die Formulierung „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ im Grundgesetz müsse in „Politisch Verfolgten wird nach Maßgabe der Gesetze Asyl gewährt“ geändert werden – wie dies in den 90er Jahren bereits der Freistaat Bayern vorgeschlagen habe.

Zuwanderung unterscheiden

„Ein solches Gesetz wäre dann in der Lage, das Asylrecht von allen anderen Zuwanderungsproblemen wirksam zu unterscheiden und damit auch die Grundlage für eine sinnvolle und wirtschaftlich weiterführende Integration wie Zuwanderung zu gewährleisten – einschließlich klarer Zuwanderungsbegrenzungen“, erklärte Scholz. Die aktuelle Regel werde hingegen jährlich hunderttausendfach missbraucht. „Wenn ein Asylbewerber mangels politischer Verfolgung abgelehnt wird, so pflegt er zunehmend die Verwaltungsgerichte anzurufen, um dort entweder doch Asyl zu erhalten oder – zumindest – über jahrelange Verfahren im Ergebnis als ‘geduldeter’ Flüchtling doch in Deutschland bleiben zu können.“ Nach der Drittstaatenregelung des Artikel 16a Abs.2 Grundgesetzes dürfe aber niemand in Deutschland Asyl beantragen, der aus einem anderen EU-Staat oder aus einem sicheren Drittstaat hergekommen sei, so Scholz. „Das gleiche ergibt sich aus dem Europarecht, das heißt aus den Regelungen von Dublin.“ Und das Bundesverfassungsgericht habe „erhebliche Einschränkungen“ des Asylrechts für zulässig erachtet.

Es muss vor allem sichergestellt werden, dass das Asylrecht nicht länger zweckentfremdet werden kann.

Hans-Jürgen Papier, ehem. Verfassungsrichter

Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius hielt dem in der Welt entgegen, mit dieser Änderung würde man das Asylrecht „der Tagespolitik und dem Gesetzgeber mit einfacher Mehrheit“ ausliefern, ohne jedoch überzeugend darlegen zu können, warum das in einem demokratischen Rechtsstaat so schlecht sein soll. Die Situation ist laut Pistorius auch nicht so schlimm, wie von Scholz beschrieben, und viele Gesetzeslücken seien schon behoben worden. Besser sei ein Einwanderungsgesetz, weitere Verfahrens-Verbesserungen und die Bekämpfung der Fluchtursachen.

Europa muss helfen

Ähnlich wie Scholz argumentiert dagegen der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier: Die deutsche Asyl- und Flüchtlingspolitik unterscheide nicht zwischen dem Schutz vor Verfolgung und der freiwilligen Aufnahme von Migranten – sei es aus humanitären Gründen oder im Rahmen einer Einwanderungspolitik, kritisierte er bei den „Kölner Gesprächen“ des Kolpingwerkes. Papier nannte es laut Welt wünschenswert, wenn eine Reform des Asyl- und Zuwanderungsrechts EU-einheitlich gelänge, eine Forderung, die auch schon Österreichs Kanzler Sebastian Kurz erhoben hatte.

Erweise sich dies jedoch als unmöglich, sei der deutsche Gesetzgeber gefordert, so Papier. Es müsse „vor allem sichergestellt werden, dass das Asylrecht nicht länger zweckentfremdet werden kann als Türöffner für eine illegale Einwanderung – und zwar von Personen, die ersichtlich kein Recht auf Asyl in Deutschland oder Europa haben“.

Papier erinnerte an Alt-Bundespräsident Joachim Gauck, der eine rechtliche Begrenzung der Zuwanderung keineswegs unethisch nannte, insbesondere wenn dies dazu diene, die Akzeptanz der Bevölkerung für die Aufnahme von Flüchtlingen zu verbessern.