Europawahl? Unbedeutend für US-Präsident Donald Trump und die Vereinigten Staaten. (imago images/MediaPunch/Sarah Silbiger)
Washington

Amerika war die Europawahl egal

Gastbeitrag Europa wählte und kaum einen interessierte es. Für die meisten Amerikaner ist die EU zu kompliziert, sie gilt als technokratisches Kunstprodukt. Im sensationsgetriebenen Washington liebt man Action und schnelle Ergebnisse.

Für die meisten Amerikaner ist die EU viel zu kompliziert, sie gilt ihnen als technokratisches Kunstprodukt. Im medien- und sensationsgetriebenen Washington liebt man Thriller, Action und schnelle Ergebnisse, nicht aber langwierige Prozesse, mühsame Kompromisse und umständliche Verfahren.

Zu viele Präsidenten

Schon George W. Bush wurde nachgesagt, dass er am Ende eines Arbeitsbesuches in Brüssel feststellte, dass es in Europas Hauptstadt ja viele Präsidenten gebe. Donald Trump verlor sich gänzlich im Dickicht der EU-Institutionen, als er öffentlich darauf hinwies, dass ihm der Präsident Europas, ein freundlicher Herr im vorgerückten Alter, zu seiner Wahl gratuliert habe. Daraufhin wies ihn Jean-Claude Juncker zurecht, dass Trump offensichtlich keine Ahnung von Europa habe und den EU-Council-Präsidenten im Telefonat mit dem EU-Kommissionspräsidenten verwechselt habe.

Für den Durchschnittsamerikaner ist Europa politisch ganz weit weg.

Christian Forstner

Für den Durchschnittsamerikaner, dem schon die US-Außenpolitik fern und meist suspekt ist, ist Europa politisch ganz weit weg. Europa-Politik ist etwas für außenpolitische Feinschmecker in Washington, die Europawahlen waren weitestgehend ein Nicht-Ereignis. Wenn man einen Blick darauf hatte, dann vor allem aus der Brexit-Perspektive. Durch die Wahlerfolge des Brexit-Lagers um Nigel Farage, der enge Verbindungen zum Trump-Lager hat, und durch die Wahlerfolge rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien in Großbritannien, Italien, Ungarn und Belgien fühlt man sich im Weißen Haus in der Ablehnung eines Kurses der multilateralen Zusammenarbeit und des freiwilligen Souveränitätstransfers bestätigt. Trump-nahe politische Kreise unterhalten traditionelle Kontakte zu den Europaskeptikern bei den Tories. Dieses Kontaktnetz zu Anti-EU-Gruppen hat sich inzwischen auf Vertreter anderer Länder erweitert, auch wenn die von Stephen Bannon so laut angekündigte populistische Allianz in Europa nicht an Schlagkraft gewann.

Das weiten Teilen der Trump-Administration eigene anti-europäische Denken und das tief sitzende Misstrauen gegenüber dem Wesen der europäischen Integration offenbarte der US-Außenminister Mike Pompeo in seiner Brüsseler Rede im Dezember 2018, als er den EU-Institutionen vorwarf, den Interessen der Mitgliedsstaaten, ihrer Völker und Bürger zuwiderzuhandeln. So wenig wie sich Pompeo mit seinem EU-Bashing in Brüssel zurückhielt, so sehr goß Donald Trump mit seinem Rat an Boris Johnson, die UK-Zahlungen an Brüssel zu verweigern, Öl ins Feuer der blockierten Brexit-Vereinbarungen.

Europa ist NATO, nicht EU

Manche, vor allem Trump-nahe politische Beobachter in Washington tendieren zu einer selektiven Interpretation des EU-Wahlergebnisses. Die gestiegene Wahlbeteiligung, die höher ist als bei US-Kongresswahlen, wird ignoriert, da mit dem Narrativ des intransparenten und bürgerfremden Brüssel nicht vereinbar. Das Anwachsen rechtsradikaler Kräfte in ausgewählten Ländern wird durchaus beachtet. Über das mögliche Zustandekommen einer stabilen Arbeitsmehrheit im neuen EU-Parlament wird jedoch hinweggegangen. Vielmehr beklagt man, dass die europakritischen Gruppen aus den Entscheidungsprozessen ausgegrenzt würden, was ein erhebliches Legitimationsdefizit nach sich zöge.

Der jetzt laufende Brüsseler Kuhhandel um die EU-Toppositionen wird das Europa-Bild festigen, dass die EU eine amorphe und handlungsschwache Struktur ist. Amerika ist an zwei Parteien gewöhnt, im neuen Europäischen Parlament sind es 200. Amerika hat einen Präsidenten, Brüssel hingegen zu viele, um sich deren Namen zu merken. Für die US-Regierung ist die EU kein Partner auf Augenhöhe.

Die Agrarmarktregelungen sind die Gretchenfrage der amerikanisch-europäischen Handelsvereinbarungen.

Christian Forstner

Spricht Amerika von Europa, meint es die NATO. Die Priorität für das heutige Amerika lautet militärische Entlastung und faire Teilung von Verteidigungsausgaben. Für Sicherheitspolitik in Europa ist die NATO zuständig, nicht die EU. Entscheidend ist der NATO-Rat, nicht das EP. Europa ist politisch schwach und nicht handlungsfähig, dazu in wesentlichen Feldern wie der Klima- und Iran-Politik auf Kollissionskurs mit Amerika. Sicherheitspolitisch wird die EU in Washington nicht ernst genommen, trotz PESCO und European Defense Fund.

Wirtschaftlich wird Europa als Rivale eingeschätzt, der Strafgelder gegen US-Unternehmen verhängt, Exportüberschüsse erwirtschaftet, die heimische Industrie subventioniert und eigene Märkte vor ausländischer Konkurrenz abschirmt. Der handelspolitische Waffenstillstand, den Donald Trump und Jean-Claude Juncker im Juli 2018 vereinbart hatten, könnte unter der neuen EU-Kommission schnell Risse bekommen. Die Amerikaner fordern Zugang auf den europäischen Agrarmarkt für die großen Produzenten der US-Landwirtschaft und treffen damit einen wunden Punkt der Europäer, die auf Druck Frankreichs Landwirtschaft nicht in das Mandat für die Verhandlungen über ein neues Handelsabkommen mit den USA aufgenommen haben. Die US-Seite wird in dieser Frage kompromisslos bleiben. Republikaner und Demokraten, Regierung und Kongress sind sich einig, dass die Agrarmarktregelungen die Gretchenfrage der amerikanisch-europäischen Handelsvereinbarungen sind. Agrarpolitik ist eine Make-it or Break-it Angelegenheit, so die parteien- und institutionenübergreifende Haltung Washingtons.

Transatlantische Innenpolitik

Die Europakritik der Trump-Administration lässt Zweifel wachsen, ob Amerika noch zum bewährten Nachkriegsdogma eines freien und geeinten Europa steht. „Europe free and whole“ war der Grundsatz, dem sich alle US-Regierungen vor Trump verpflichtet fühlten, auch wenn man in der Praxis durchaus andere und eigene Akzente setzte. Barack Obama wurde erst spät zum Europa-Freund, lange sprach er vorher von Amerikas neuer Zuwendung nach Asien. George W. Bush und sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld teilten Europa in ein altes und neues Europa ein.

Die Trump-Administration behandelt Freunde wie Feinde.

Christian Forstner

Zur Geschlossenheit des europäischen Kontinents und zur Überwindung zentrifugaler Tendenzen trugen solche Aussagen nicht bei. Trotz dieser verschiedenen Töne galt für alle Administrationen, dass man die EU als Wertepartner und unerlässlichen Alliierten zur Eindämmung insbesondere Russlands sah. Dieses Credo scheint heute nicht mehr zu gelten. Die Trump-Administration behandelt Freunde wie Feinde, Deutschland wie China, demokratische Regierungschefs wie autoritäre Diktatoren, Angela Merkel wie Wladimir Putin.

Doch Amerika spricht außenpolitisch nicht länger mit einer Stimme. Die Freunde Europas sitzen im Kongress und in vielen Thinktanks, nicht in der Regierung. Die Außenpolitiker in Senat und Repräsentantenhaus wissen, dass Amerika Freunde in der Welt braucht. Ohne Europa an Amerikas Seite werden Washington und die liberale Welt im Kampf gegen die revisionistischen geopolitischen Gegner Russland und China nicht bestehen.

Amerika ist der Garant der internationalen Ordnung.

Christian Forstner

Für die Transatlantiker in der US-Hauptstadt ist Amerika mehr als eine kurzfristige Interessengemeinschaft für Jobs und Wirtschaftswachstum. Amerika ist der Garant der internationalen Ordnung, die es nach dem 2. Weltkrieg geschaffen hat und von der es selbst so stark profitierte. Kluge Köpfe fordern daher eine Intensivierung des politischen und wirtschaftlichen Dialogs zwischen Amerika und Europa und gehen deutlich über die außen- und sicherheitspolitische Kooperation hinaus. Sie sprechen von transatlantischer Innenpolitik, die weite Bereiche der Innen-, Justiz-, Verbraucherschutz-, Forschungs-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik umfasst. Ihr Appell zur vorausschauenden Zusammenarbeit richtet sich insbesondere an die große Zahl der neuen Abgeordneten im Europäischen Parlament.

Washington und die Spitzenkandidaten

Hinsichtlich der Top-Posten in Europa hält man sich in Washington bedeckt. Frans Timmermans ist ein unbeschriebenes Blatt. Seine Zuständigkeit für den Rechtsstaatsdialog mit Ungarn, zu dessen strittigen Punkten auch die mit US-Geldern finanzierte Central European University gehörte, brachte ihm in Washington nur wenig Aufmerksamkeit. Margrethe Vestager hingegen hat sich einen Namen gemacht, allerdings in Washington keinen guten. Sie legte sich mit US-Unternehmen an, befürwortet die Einführung einer Digitalsteuer und wird vom französischen Präsidenten Emanuel Macron unterstützt, der als Protektionist gegen US-Wirtschaftsinteressen gilt.

Manfred Weber hat dank regelmäßiger USA-Reisen und zahlreicher bilateraler Meetings auf internationalen Konferenzen ein sehr gutes Netzwerk im Kongress und in den Denkfabriken. Seine Art des Auftretens – konziliant im Ton und hart in der Sache – wird von der Trump-Administration mit Interesse verfolgt. Durch seine klare Ablehnung von Nord Stream 2 hat er in Washington Pluspunkte gesammelt.

Unterschätztes Parlament

Amerika weiß, dass unruhige Zeiten in Europa angebrochen sind. Doch unruhig ist es auch in Amerika. Das Interesse Washingtons gilt den eigenen Präsidentschaftswahlen 2020. Die Europa-Wahlen gingen weitgehend unbemerkt vorüber. Aus den Augenwinkeln heraus registrierte man nationale Rückwirkungen, in erster Linie in Großbritannien, auch in Deutschland mit verschärfter SPD-Krise und Grünen-Höhenflug sowie in Griechenland mit Neuwahlen.

Die neuen EU-Kommissare wird man in Washington zu gegebener Zeit zur Kenntnis nehmen. Dass das Europäische Parlament ein Machtfaktor im europäischen Entscheidungsprozess und in der internationalen Politik ist, hat man in Washington trotz SWIFT, Privacy Shield und TTIP-Verhandlungen bis heute nicht auf dem Radar.