Furor: US-Präsident Donald Trump während seines Israelbesuchs. (Bild: Imago/Zuma/Gili Yaari)
USA

Trump bleibt unberechenbar

Gastbeitrag Amerikas Politik zwischen Polarisierung und Stabilisierung: ein politisch unerfahrener Präsident, dessen Kurs schwer einzuschätzen bleibt. Amerika wird in den nächsten Jahren mit sich selbst beschäftigt sein, analysiert Christian Forstner.

Die Entlassung von FBI-Direktor James Comey war erwartet worden, die Beziehungen zwischen Donald Trump und der Geheimdienst-Community waren angespannt. Doch die Entscheidung vom 9. Mai überraschte in Zeitpunkt und vor allem Begründung: Es mutete zunächst wie ein Scherz an, wenn Comey wegen der Email-Affäre um Hillary Clinton seinen Hut nehmen musste. Dann gab Donald Trump zu erkennen, dass die laufenden FBI-Ermittlungen zu seinen angeblichen Russland-Kontakten Auslöser der Absetzung von James Comey waren.

Nichts Genaues weiß man nicht

Hinter der verwirrenden Öffentlichkeitsarbeit der neuen Administration offenbart sich eine gewisse Planlosigkeit der Regierungspolitik: Die Gesundheitsreform ging erst im zweiten Anlauf durch das Repräsentantenhaus. Die Eckpunkte der Steuerreform sind vage. Die Aussetzung der Visum-Erteilung für Bürger aus einigen islamischen Ländern war schlecht umgesetzt und wurde gerichtlich gestoppt. Die Nato ist mal obsolet, mal wichtig. Wird das Nordamerikanische Freihandelsabkommen gekündigt oder neuverhandelt? In vielen Fragen gilt: Nichts Genaues weiß man nicht.

Die Unsicherheit über die künftige US-Politik ist in Washington greifbar. Zwar hat sich außen- und sicherheitspolitisch unter Verteidigungsminister James Mattis und Sicherheitsberater Herbert R. McMaster die Lage stabilisiert. Die Tonlage gegenüber Nato und Europa hat sich entschärft, ein Wirtschafts- und Handelskrieg mit China scheint vom Tisch, und in der Russland-Politik zeigt das Weiße Haus Dialogbereitschaft mit dem Kreml zu den Brennpunkten der internationalen Politik. Doch der Kurs des Präsidenten bleibt unberechenbar. Hinter vorgehaltener Hand sprechen internationale Führungskräfte vom US-Präsidenten als geopolitischem Risiko.

Innenpolitik und Selbstbeschäftigung

Die US-Administration legt den Schwerpunkt der nächsten Jahre auf die Innenpolitik. Es geht um Jobs, um Wirtschaftswachstum, um Industrieansiedlung und um innere Sicherheit. Das Augenmerk gilt der Abwehr von Terroranschlägen und der Bekämpfung der ansteigenden Drogenkriminalität. Das ist der Wählerauftrag. Außenpolitik steht nicht auf der Agenda. Für eine globale Führungsrolle fehlen der neuen Administration Wille und Kraft. Dazu kommt: Washingtons politische Elite wird unter Donald Trump mit sich selbst beschäftigt sein.

Heterogene Trump-Wähler

Der Trump-Wähler, gemeinhin als Angry White Male dechiffriert, ist ein heterogenes Phänomen: Die einen wollten einen neuen konservativen Verfassungsrichter und haben ihn mit Neil Gorsuch auch schon bekommen. Andere unterstützen die massiven Steuerkürzungen, für die Trump plädiert. Manche fühlen sich von der De-Regulierungsrhetorik und dem Ideal eines schlanken Staates angesprochen. Nicht wenige verfallen dem Anti-Eliten-Reflex, wie ihn Trump eindrucksvoll in seiner Inaugurationsrede bediente. Viele, gerade im Mittleren Westen, fürchten einen Job-Verlust und haben Statusangst. Für einige ist die Beherrschung der Migration das wichtigste Thema. Etliche kritisieren die institutionelle Blockade zwischen den Parteien und Institutionen, der Trump seine Deal-Maker-Fähigkeiten entgegensetzt.

So heterogen die Trump-Wähler auch sind, eines ist ihnen gemein: An Außenpolitik hat der Trump-Wähler kein Interesse, und er denkt, dass er die Zeche zahlt für das US-Engagement in der Welt. Die Washingtoner Hysterie um Kontakte von Trump-Vertrauten zu Russen interessiert jenseits des Beltway nicht.

Polarisierung im Repräsentantenhaus

Die polarisierte innenpolitische Stimmung wird im Repräsentantenhaus sichtbar. Die Republikaner verfügen formal über eine Mehrheit. Faktisch sind sie in sich jedoch selber eine Koalition: aus dem konservativ-liberalen Lager um Parlamentspräsident Paul Ryan herum, aus einer sozial- und wirtschaftsliberalen Gruppe und aus den erzkonservativ-populistischen Abgeordneten der Freiheits-Fraktion – der Nachfolgebewegung der Tea Party –, die für ein starkes US-Militär, weniger Staat und konsequente Haushaltssanierung eintreten.

Bei den Demokraten ist der inhaltliche Richtungsstreit abgeflaut. Die Flügelkämpfe zwischen dem linken, protektionistischen und nationalpopulistischen Flügel um Bernie Sanders und dem internationalistischen wirtschaftsnahen Teil um Hillary Clinton sind jetzt überlagert von den internen Spannungen zwischen der Washingtoner Parteielite und neuen Kräften aus den Regionen. Die Moderation dieses Prozesses hat der neue Parteivorsitzende Tom Perez zu seinem Hauptanliegen erklärt. Für Geschlossenheit im demokratischen Lager sorgt die einstimmige Ablehnung des Präsidenten, dem man Legitimität, Befähigung und Klugheit abspricht.

Die konsequente Ablehnung der überparteilichen Zusammenarbeit im Repräsentantenhaus ist die Zuspitzung einer bereits lange zu beobachtenden Entwicklung: Die politische Polarisierung im Kongress hat zugenommen, innerparteiliche Scharfmacher gewinnen an Einfluss, institutionell ist das Repräsentantenhaus fragmentiert. Die meisten Wahlkreise sind fest in der Hand einer Partei, die Konkurrenz um den Abgeordnetensitz kommt aus der eigenen Partei, nicht vom politischen Gegner. Die Losungen werden radikaler und die Tonlage schriller.

Permanente Wahlkampfstimmung

Die Medien heizen die Lage an (überall laufen die Fernseher mit breaking news und Donald Trump als Schlagzeilenmacher) und sorgen für permanente Wahlkampfstimmung. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Im Sommer sind bereits die ersten Primaries für die Zwischenwahlen 2018 angesetzt.

Die Polarisierung in der amerikanischen Politik und Gesellschaft steigt. Republikaner werden republikanischer, Demokraten demokratischer. Die Trump-Wähler halten ihrem Präsidenten die Stange, 93 Prozent der Trump-Wähler würden ihn heute wieder wählen. In roten Wahlkreisen (rot ist die Parteifarbe der Republikaner) ist Trump ein Zugpferd. Er bringt Wählerstimmen und sichert Wahlsiege. Diese Gemengelage aus einem populistischen Präsidenten mit erratischen Positionen stürzt viele Republikaner in Loyalitätskonflikte: Sie drucksen herum, wenn sie nach ihrer Haltung zum Präsidenten gefragt werden, sie zögern zwar mit öffentlicher Kritik, Jubelstimmung herrscht aber auch nicht.

Verschiebungen im politischen Koordinatensystem

Durch den Wahlsieg von Donald Trump hat sich das politische Koordinatensystem verschoben. Trump vertritt in vielen Politikfeldern Positionen, die nicht dem traditionellen republikanischen Denken entsprechen. Im internationalen parteipolitischen Dialog mit der Republikanischen Partei tun sich daher Risse auf. Europas Christdemokraten wie die CDU und CSU stehen zur europäischen Integration, bedauern den EU-Austritt Großbritanniens, setzen auf offene Märkte, bekämpfen den Klimawandel, stärken multilaterale governance-Strukturen, denken in Soft Power, unterstützen nachhaltige Entwicklung, bekennen sich zu einer liberalen Demokratie und festigen die Soziale Marktwirtschaft. In all diesen Fragen ist die Schnittmenge zwischen den Mitte-Rechts-Parteien in Europa und den Demokraten in Amerika größer als zwischen EVP und Republikanern.

Beredtes Beispiel für das unübersichtliche politische Koordinatensystem ist die Brexit-Positionierung: Donald Trump sympathisiert offen mit dem Brexit-Lager und drückte Marine Le Pen die Daumen. Bezeichnend auch die Lage im US-Repräsentantenhaus: Während die Demokraten den Brexit ablehnen und damit europäisch denken, sind die Republikaner durch die Bank Brexit-Befürworter. Theresa May sprach auf der republikanischen Fraktionsklausur im Januar und schwor die Republikaner auf eine Europa-kritische Linie ein. Die pro-europäischen Kräfte hatten diesem Schulterschluss nichts entgegengesetzt. Dem parteipolitischen Dialog zu Grundsatzfragen der Politik muss daher in den nächsten Jahren besonderes Gewicht zukommen.

Deutschlands Exportüberschuss

Die Gemeinsamkeiten in den transatlantischen Beziehungen werden in den nächsten Jahren einer Belastungsprobe ausgesetzt sein. Deutschland muss sich darauf einstellen, beständig auf den hohen Exportüberschuss und die geringen Verteidigungsausgaben angesprochen zu werden. Zugleich genießt es aber Respekt für den Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt und für die funktionierende duale Ausbildung. Vereinfacht formuliert lautet die US-Aufforderung an Deutschland: Spend More − gebt mehr Geld aus, sowohl im Inland als auch im Ausland!

Die deutsche Diplomatie betont bewusst, dass die Washington-Reise der Bundeskanzlerin im März erfolgreich und freundschaftlich verlief. Doch es fällt auf, dass die Chemie mit Theresa May besser war und dass Trump eine irritierende Nähe zu Putin offenbart, dem er große Führungsqualitäten bescheinigt, während er zu Angela Merkel auf Distanz geht.

Die Strahlkraft der USA als Führungsmacht der freien westlichen Welt bröckelt. Amerikas Partner und Freunde müssen lernen, Verantwortung selbst zu übernehmen und Kooperationsmöglichkeiten mit den USA zu erkennen, wo die innenpolitische Rhetorik von höchster Stelle im Weißen Haus bisweilen nahelegt, dass es sie nicht gibt. Bislang sind die Turbulenzen an der politischen Oberfläche größer als die tatsächlichen Politikveränderungen auf den unteren Ebenen.