Das CSU-Logo in der neuen Parteizentrale in München-Schwabing. Foto: Andreas Gebert/Archiv
Große Koalition

Die Handschrift der CSU

Die CSU hat im neuen Koalitionsvertrag deutliche Akzente gesetzt und viele ihrer Wahlversprechen direkt durchgesetzt: Faktische Asyl-Obergrenze, deutlich mehr Polizisten, verbesserte Mütterrente, der Soli wird abgeschafft, das Baukindergeld kommt.

(aktualisiert am 8.2., 15.00 Uhr)

Nach über 24 Stunden zähen Ringens haben Union und SPD bei ihren Marathon-Verhandlungen eine Einigung erzielt und sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Sehr zufrieden verließ CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt das Konrad-Adenauer-Haus: Man sei raus aus den Schützengräben gekommen, es sei gelungen, die Konflikte aufzulösen. Weiter sagte Dobrindt: „Und ich glaube, es ist auch Zeit geworden, dass wir die Aussicht auf eine Regierung in Deutschland haben. Von daher: Ein guter Morgen.“ CDU, CSU und SPD hatten lange um inhaltliche Details und Ressortzuschnitte einer künftigen großen Koalition gerungen. Zuletzt waren die Gesundheits- und die Arbeitsmarktpolitik die zentralen Streitpunkte.

„Superinnenministerium“ für die CSU

Martin Schulz will Außenminister werden und gibt im März den SPD-Vorsitz auf, Fraktionschefin Andrea Nahles soll dann auch noch den Parteivorsitz übernehmen. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz soll Finanzminister und Vizekanzler werden. Außerdem besetzt die SPD die Ressorts Arbeit/Soziales, Familie, Justiz und Umwelt. Die CDU soll neben dem Kanzleramt die Ministerien für Wirtschaft, Verteidigung, Gesundheit, Bildung und Landwirtschaft erhalten. Der bisherige Kanzleramtschef Peter Altmaier soll das Wirtschaftsressort übernehmen, Ursula von der Leyen Verteidigungsministerin bleiben. Für Landwirtschaft ist die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner im Gespräch. Der bisherige Bundesinnenminister Thomas de Maizière scheidet aus der Bundesregierung aus.

Die CSU wird in der künftigen Bundesregierung laut Generalsekretär Andreas Scheuer „ein Superinnenminsterium“ bekommen, dessen Zuständigkeit um die Bereiche Heimat und Bau erweitert wird. Dieses Schlüsselministerium im Bereich Sicherheit und Migration wird CSU-Chef Horst Seehofer übernehmen. Außerdem werden die Christsozialen die Ressorts Verkehr und Digitales sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung behalten, in denen sie schon in der vergangenen Legislaturperiode wichtige Akzente setzten. Auch inhaltlich hat die CSU-Verhandlungsdelegation unter Seehofers Leitung zentrale Wahlversprechen durchgesetzt.

Die wichtigsten Verhandlungserfolge der CSU:

ZUWANDERUNG: Die Asyl- und Flüchtlings-Zuwanderung wird auf maximal 180.000 bis 220.000 pro Jahr gedeckelt. Das ist praktisch die von der CSU geforderte Obergrenze, die allerdings nicht so genannt wird. Asylverfahren sollen künftig in „zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen“ nach dem Vorbild der bayerischen Einrichtungen in Manching und Bamberg stattfinden. Verteilung von Flüchtlingen in die Kommunen nur bei geklärter Identität und Bleiberecht. Konsequente Abschiebung von Straftätern. Abbau von Abschiebehindernissen für mehr und schnellere Rückführungen. Einstufung der Maghreb-Staaten und weiterer Staaten mit einer Anerkennungsquote von unter 5 Prozent als sichere Herkunftsstaaten. Stärkere Kontrolle der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt durch ein Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz.

FAMILIENNACHZUG: Der Nachzug der Kernfamilie von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz bleibt bis zum 31. Juli ausgesetzt. Ab dem 1. August dürfen 1000 Angehörige pro Monat kommen. Bestehen bleibt eine eng gefasste Härtefallregelung. Dieses Gesetz wurde bereits im Bundestag beschlossen.

INNERE SICHERHEIT: Die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern erhalten zusammen 15.000 zusätzliche Stellen, zudem 2000 neue Stellen in der Justiz, bessere Ausstattung und effizienteres Verfahrensrecht. Offensive gegen Zonen unterschiedlicher Sicherheit mit einem Muster-Polizeigesetz für bundesweit einheitlich hohe Standards, gleichen Befugnissen der Sicherheitsbehörden und geschlossenem Vorgehen gegen Gefährder und Terroristen. Ausweitung DNA-Analyse auf äußerliche Merkmale und Alter. Mehr Videoüberwachung an Brennpunkten.

BUNDESWEHR: Deutlich höherer Verteidigungsetat, mehr Personal, bestmögliche Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung der Soldaten. Einhaltung der NATO-Vereinbarungen im Hinblick auf höhere Verteidigungsinvestitionen.

STEUERN: Keine Steuererhöhungen und keine neuen Schulden. Der Solidaritätszuschlag wird abgeschafft. Im ersten Schritt bis 2021 werden 90 Prozent aller Steuerzahler komplett vom Soli befreit.

FAMILIEN: Das Kindergeld soll um 25 Euro pro Kind und Monat steigen, zum Juli 2019 nochmals um 10 Euro und zum Januar 2021 um weitere 15 Euro. Der Kinderfreibetrag steigt entsprechend. Auch der Kinderzuschlag für Einkommensschwache soll erhöht werden. Unterstützung von Ländern und Kommunen bei Ausbau und Verbesserung von Kinderbetreuungseinrichtungen und Entlastung der Eltern bei den Gebühren. Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter. Kinderrechte ins Grundgesetz.

RENTE: Bis 2025 soll das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent fallen und der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigen. Für die Zeit danach soll eine Rentenkommission eingerichtet werden. Mindestrente ab 35 Beitragsjahren bei zehn Prozent über der Grundsicherung. Die Mütterrente wird weiter ausgebaut: Mütter, die vor 1992 drei oder mehr Kinder geboren haben, sollen auch das dritte Jahr Erziehungszeit in der Rente angerechnet bekommen, was ihnen 31 Euro mehr Rente bringt. Verbesserung der Erwerbsminderungsrente. Ausbau der Möglichkeiten und Anreize zum freiwilligen flexibleren Arbeiten. Gründerfreundliche Altersvorsorgepflicht für nicht anderweitig abgesicherte Selbstständige.

PFLEGE: Sofortprogramm: Bessere Personalausstattung mit 8000 neuen Fachkraftstellen. Arbeitsbedingungen und Bezahlung in Altenheimen und Kliniken sollen „sofort und spürbar“ verbessert werden. Initiativen für Ausbildung und Qualifizierung von Pflegekräften. Vorübergehende Erholungszeiten für Angehörige. Pflege-Tarifverträge sollen leichter allgemeinverbindlich erklärt werden können. Rückgriff auf Einkommen der Kinder von Pflegegebedürftigen erst ab 100.000 Euro Einkommen im Jahr.

ARBEITSMARKT: Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinkt um 0,3 Prozentpunkte. Das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit kommt – aber nur für Firmen ab 45 Mitarbeitern, was der CSU im Sinn der kleineren Mittelständler wichtig war. Bei 45 bis 200 Mitarbeitern soll dieser Anspruch nur einem pro 15 Mitarbeitern gewährt werden müssen. Für Langzeitarbeitslose kommt ein neues Förder-Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“. Ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll den Zuzug ordnen und steuern.

WIRTSCHAFT: Klares Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft. Ziel der Vollbeschäftigung. Stabilisierung der Sozialabgaben bei unter 40 Prozent. Konsequenter Bürokratieabbau: 1-zu-1-Umsetzung von EU-Vorgaben, Vereinheitlichung von Schwellenwerten und „One-in-one-out“ auf europäischer Ebene. Steuerliche Forschungsförderung, insbesondere für forschende kleine und mittelgroße Unternehmen und Ziel von 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung. Verbesserungen beim Wettbewerbs- und Kartellrecht, um unsere Unternehmen im internationalen Wettbewerb zu stärken. Bessere Rahmenbedingungen für Gründer und Startups, insbesondere durch steuerliche Anreize für die Mobilisierung von Wagniskapital, Umsatzsteuerbefreiung in den ersten beiden Jahren nach Gründung. One-Stop-Shop für Antrags-, Genehmigungs- und Besteuerungsverfahren. Klares Bekenntnis zum Freihandel mit nationaler Umsetzung von CETA und dem Ziel, die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen weiter zu vertiefen.

BILDUNG: Digitalpakt Schule mit 5 Milliarden Euro für starke Digital-Infrastruktur an allen Schulen, gemeinsame Cloud-Lösung für Schulen und Qualifizierung der Lehrkräfte. 2 Milliarden Euro für Ausbau Ganztagsschul- und Betreuungsangebote. Aufstockung Schulstarterpaket für Schulmaterial von Kindern aus einkommensschwachen Familien. Verbesserte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern durch Nationalen Bildungsrat statt Gleichmacherei und einem Wettlauf nach unten. Fortsetzung des Hochschulpaktes. Starke Investitionen in Studienplätze und Qualität in Forschung und Lehre. Deutliche Verbesserung und Ausbau BAföG. Stärkung Aufstiegs-BAföG für Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Öffentliche Finanzierung der Meisterprüfung durch Meisterbonus bei bestandener Meisterprüfung.

WOHNEN: Staatliche Offensive für 1,5 Millionen neue Wohnungen. Der private Wohnungsbau wird mit Steueranreizen gefördert, Familien werden mit einem Baukindergeld von 1200 Euro pro Jahr und Kind bei der Eigentumsbildung unterstützt. Das Baukindergeld summiert sich pro Kind in zehn Jahren auf 12.000 Euro, was jungen Familien den Bau eines Eigenheims stark erleichtert. Planungsbeschleunigungsgesetz zur Vereinfachung von Verfahren und Digitalisierung von Planen und Bauen.

DIGITALISIERUNG: Bis 2025 flächendeckend schnelles Internet mit Gigabit-Netzen, Stadt und Land werden gleich behandelt. Bundesförderung gibt es nur noch für Glasfasertechnologie. Im Internet sollen weiter alle Inhalte mit gleichem Tempo transportiert werden – die Netzneutralität bleibt. Vergabe neuer Mobilfunkfrequenzen nur gegen Schließen von Funklöchern. Vorreiterrolle beim Aufbau eines flächendeckenden Netzes mit dem Echtzeit-Mobilfunkstandard 5G. Gigabit-Anschlüsse für alle Gewerbegebiete. Innovationsprogramm „Digitalisierung des Mittelstands“.

HEIMAT: Wirkungsvoller Kampf gegen die Strukturschwächen in ländlichen Räumen, in allen Regionen, Städten und Kommunen in allen Bundesländern. Unterstützung der Kommunen beim demografischen Wandel, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Weiterhin Städtebauförderung und Förderung für kommunalen Wohnungsbau. Einsetzung einer Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“. Dezentralisierungsstrategie und neues gesamtdeutsches Fördersystem für strukturschwache Regionen. Alles nach Vorbild der bayerischen Heimatstrategie.

LANDWIRTSCHAFT: Klares Bekenntnis zur Vielfalt der Landwirtschaft. Weiterentwicklung und Entbürokratisierung der europäischen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Bundesweit einheitliches Gentechnikanbau-Verbot.

VERKEHR: Kein Verbot von Verbrennungsmotoren. Keine generellen Diesel-Fahrverbote in Städten, dafür „effizientere und saubere Verbrennungsmotoren inklusive Nachrüstungen“. Die Kommunen sollen für Luftreinhaltung und Verkehrsprojekte mehr Geld bekommen. Weiter intensive Investitionen für die Infrastruktur auf Rekordniveau. Entwicklung bundesweites eTicket im ÖPNV. Förderung emissionsarmer Mobilität durch Pauschale Dienstwagenbesteuerung von 0,5 Prozent für E-Fahrzeuge. Einrichtung neuer Digitaler Testfelder für automatisiertes und vernetztes Fahren nach dem Vorbild der A9 München-Ingolstadt. Eine zusätzliche Milliarde für den regionalen Verkehr (GVFG). Stärkung Schiene mit Schienenpakt 2030 und Elektrifizierung von 70 Prozent des Schienennetzes bis 2025. Förderung der Elektromobilität. Förderung des sauberen ÖPNV, des Car-Sharing und alternativer Antriebe wie Wasserstoff- und Brennstoffzelle.

EUROPA: Klares Bekenntnis zu Europa als Stabilitätsunion und eigenverantwortlicher Haftung der Mitgliedsstaaten. Absage an Zuwanderung in soziale Sicherungssysteme. Wirksamer Schutz der EU-Außengrenzen und Ausbau von Frontex zu einer echten europäischen Grenzschutzpolizei. Keine Visaliberalisierung für die Türkei. Keine Eröffnung neuer Kapitel in den EU-Türkei-Beitrittsverhandlungen. Stärkung internationaler Polizeimissionen.

Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids am 4. März

Die Parteien einigten sich zuletzt auf ein Aus für lange Ketten befristeter Arbeitsverhältnisse. „Endlose Kettenbefristungen werden abgeschafft“, heißt es in einem Entwurf für den Koalitionsvertrag. Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses soll dann verboten werden, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein unbefristetes oder ein oder mehrere befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von mindestens fünf Jahren bestanden haben.

In der Gesundheitspolitik konnte die Union das SPD-Projekt einer sozialistischen Einheits-„Bügerversicherung“ verhindern. Stattdessen soll eine Kommission eine gemeinsame Honorarordnung für die gesetzliche und die private Krankenversicherung vorbereiten. Ob es tatsächlich zu Einheits-Honoraren kommt, hängt von der Machbarkeit ab: Kenner befürchten steigende Kosten für die gesetzlichen Kassen – und damit die Beitragszahler.

Die CDU will bei einem Parteitag mit 1001 Delegierten am 26. Februar in Berlin über die Koalition abstimmen. Bei der SPD sollen die 463.723 Parteimitgleider über den neuen Vertrag zwischen CDU, CSU und SPD abstimmen. Die SPD gewann seit Jahresbeginn 24.339 Neumitglieder dazu. Jusos und SPD-Linke hatten mit dem Slogan „Tritt ein, sag nein“ um neue Mitglieder geworben, die dann gegen die neue GroKo stimmen sollten. Das Ergebnis des Mitgliedervotums soll laut Generalsekretär Klingbeil am 4. März bekanntgegeben werden.