Melanie Huml, Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege. (Foto: Nikky Maier)
Gesundheit

Irrweg Bürgerversicherung

Interview Die SPD sollte mehr auf Vernunft und weniger auf Ideologie setzen, sagt die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml. Im Gespräch mit Marc Sauber erläutert sie, wie die CSU die Situation im Bereich Gesundheit und Pflege verbessern möchte.

Nach einer Studie der Hochschule München leben die Münchner am längsten, die Menschen in Oberfranken und der Oberpfalz am kürzesten. Hat das auch etwas mit der medizinischen Versorgung zu tun?

Die Erkenntnis, dass der sozioökonomische Status in Zusammenhang mit Gesundheit und Lebenserwartung steht, beschäftigt uns schon länger. Dies trifft in gleicher Weise für die Länder in Deutschland und andere Industriestaaten zu. Dabei spielen die Wertschöpfung in einer Region, die Qualifikations- und Erwerbsstrukturen sowie die sozialen Lebenslagen – und darüber vermittelt auch das Gesundheitsverhalten – eine wichtige Rolle für die Gesundheit der Bürger. Deshalb habe ich die gesundheitliche Chancengleichheit für alle bayerischen Regionen und in allen Lebenslagen als ein übergeordnetes Ziel unseres Bayerischen Präventionsplans definiert, den ich vor knapp drei Jahren vorgestellt habe. Eines der vier vorrangigen Handlungsfelder dieses Plans betrifft die gesundheitliche Chancengleichheit.

Die Studie kommt auch zu dem Ergebnis, dass die Lebenserwartung mit dem Einkommen steigt. Ist das ein Beleg für die Zwei-Klassen-Medizin?

Nein. Das Gesundheitswesen in Deutschland deckt sowohl in der kassen- als auch in der privatärztlichen Versorgung den medizinischen Bedarf auf hohem Niveau ab. Die Privatversicherten sind ja keineswegs nur die, die einen großen Geldbeutel haben. Wenn man genau hinsieht, dann sind da ja auch alle Beamten mit dabei – also auch der junge Polizeibeamte, der vielleicht erstmal mit einem niedrigeren Gehalt auskommen muss. Die Diskussion arm oder reich, privat oder gesetzlich versichert, ist in meinen Augen daher schon vom Ansatz her falsch. Und man muss in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es ja gerade auch die enormen Fortschritte in der Medizin sind, die dazu beigetragen haben, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung im Freistaat innerhalb eines Jahrhunderts mehr als verdoppelt hat.

Richtig ist aber auch, dass die Entwicklung der Lebenserwartung nicht für alle Bevölkerungsgruppen gleich verläuft. Sie ist umso höher, je besser die soziale Lage ist – und diese wird unter anderem gemessen an Bildung und Einkommen. Wir sehen, dass bei Menschen in schwierigen Lebenslagen das Gesundheitsverhalten oft weniger gut ist, beispielsweise in Zeiten von Arbeitslosigkeit, wenn geraucht wird oder starkes Übergewicht besteht. Solche Faktoren haben natürlich ganz erheblichen Einfluss auf die Lebenserwartung. Deshalb gehört zur Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit auch die Stärkung der Gesundheitskompetenz.

Warum ist eine Bürgerversicherung nach SPD-Modell für Sie der falsche Weg?

Außer dem Namen ist bei der Bürgerversicherung nichts wirklich Bürgerfreundliches dabei. Es würde zu einer Verschlechterung der Versorgung kommen und in meinen Augen auch zu längeren Wartezeiten. Deshalb ist es wichtig, dass die SPD – wie bei den Sondierungen vereinbart – mehr auf Vernunft und weniger auf Ideologie setzt.

Was genau würde sich verschlechtern?

Das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung sichert die derzeit hohe Versorgungsqualität – auch, weil wir über die Privatversicherten im Moment die Chance haben, dass viele Innovationen angestoßen werden und davon auch die Gesetzlich Versicherten profitieren. Zum Beispiel bei dem ein oder anderen technischen Gerät – das gäbe es ohne PKV nicht in den Arztpraxen, wo es aber für alle Patienten zur Verfügung steht. Es ist auch eine Illusion, dass eine ‚Bürgerversicherung‘ die Beiträge der Versicherten entlasten könnte. Im Gegenteil: Viele Menschen müssten eine Zusatzversicherung abschließen, wie das Beispiel Niederlande zeigt. Richtig ist aber, dass wir dringend eine Reform der Finanzierungsströme der gesetzlichen Krankenkassen brauchen. Wichtig ist unter anderem die Einführung eines Regionalfaktors, denn Bayern ist als Hochlohn- und Hochpreisregion im Vergleich zu den anderen Bundesländern benachteiligt.

Bei dem Wunsch nach einem schnellen Arzttermin merkt man den Unterschied zwischen Kassen- und Privatpatient derzeit recht deutlich…

Eine Bürgerversicherung nach SPD-Modell würde daran aber auch nichts ändern. Wartezeiten auf Arzttermine in Bayern sind im Bundesvergleich gering und vor allem viel kürzer als in Ländern wie England, wo Einheitssysteme schon bestehen. Dass einzelne Ärzte am Ende eines Quartals angeblich keine Termine mehr vergeben, wird mitunter mit der Budgetierung der Arzthonorare in der vertragsärztlichen Versorgung begründet. Die Budgetierung bezweckt, dass Ärzte die Menge der erbrachten Leistungen nicht beliebig steigern dürfen, damit letztendlich die Versicherten vor ständig steigenden Beiträgen zur Krankenversicherung geschützt werden. Medizinische Notfälle müssen immer sofort behandelt werden und, wer einen zeitnahen Termin beim Facharzt braucht, kann sich im Übrigen auch an die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns wenden.

Außer dem Namen ist bei der Bürgerversicherung nichts wirklich Bürgerfreundliches dabei.

Melanie Huml, CSU-Vize

Würde eine Angleichung der Arzthonorare bei Privat- und Kassenpatienten etwas bringen?

Die Unterschiede sind gar nicht mehr so groß, weil die Gebührenordnung für Ärzte seit vielen Jahren nicht reformiert wurde. Das steht jetzt an und ich hoffe, dass sich die anderen Parteien dem auch nicht verweigern. Mein Anliegen ist in diesem Zusammenhang, dass wir die sogenannte „sprechende Medizin“, also die Zeit der Ärzte mit dem Patienten, besser honorieren als es jetzt der Fall ist. Das gilt im hausärztlichen Bereich, aber auch in anderen Bereichen. Natürlich müssen Geräte bei Labordiagnostik oder Radiologen bezahlt werden. Aber wir dürfen nicht unterschätzen, was für die Menschen so wichtig ist, gerade für eine älter werdende Bevölkerung: die braucht eben auch mal einen Arzt, der Zeit hat zu erklären, was genau los ist. Es ist eben nicht damit getan, in fünf Minuten schnell etwas zu verschreiben und den Patienten damit alleine zu lassen.

Sie waren an den Sondierungsgesprächen mit der SPD beteiligt. Wie könnte ein roter Faden durch die Gesundheitspolitik der neuen Großen Koalition aussehen?

Die gesundheitspolitische Kernaussage der Sondierungsergebnisse lautet: „Wir werden sicherstellen, dass alle auch zukünftig eine gute, flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung von Beginn bis Ende ihres Lebens erhalten.“ Wir haben sowohl im Pflege-, als auch im Gesundheitsbereich sehr darauf geachtet, dass bei den Menschen auch wirklich etwas ankommt, von der Geburt bis ins hohe Alter. In einem Flächenland wie Bayern ist die möglichst wohnortnahe Versorgung in allen Landesteilen wichtig. Jetzt müssen den Worten aber auch Taten folgen.

Welche Sofortmaßnahmen wollen CDU/CSU und SPD ganz konkret ergreifen, um die Situation zu verbessern?

Es kommt maßgeblich darauf an, die Attraktivität des Pflegeberufs weiter zu steigern – und dafür sowohl die Bezahlung in der Altenpflege als auch die Personalbesetzung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zu verbessern. Wir wollen 8000 neue Stellen im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlungspflege in Pflegeeinrichtungen schaffen, die Entlohnung nach Tarifverträgen stärken und Personalbemessungs-Systeme sowie Personaluntergrenzen einführen. Insgesamt geht es auch um die Wertschätzung der Pflegekräfte, deren Arbeit uns auch mehr finanziell wert sein sollte.

Auszug

Dies ist ein Auszug des Gesprächs mit der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU). Das komplette Interview lesen Sie im neuen BAYERNKURIER-Magazin.