Theo Waigel beim Festakt „Heimat Bayern“ in der Residenz in München. Foto: StMFLH/Astrid Schmidhuber
Programm

Die Heimat als Chance

Interview "Heimat ist ein unverzichtbarer Wert in einer globalen Welt", sagt der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel im Gespräch mit Chefredakteur Marc Sauber. Zudem fordert er einen Zukunftsfonds und erteilt einer zentralen SPD-Forderung eine klare Absage.

Nach dem Ergebnis der Bundestagswahl, dem Erstarken der AfD und einer zunehmenden Fragmentierung der Gesellschaft – wie würden Sie die Situation der CSU aktuell beschreiben?

Die Lage ist fordernd, aber wir können die Herausforderung bewältigen. Die CSU wird notwendiger gebraucht denn je – für jede denkbare Koalitionsbildung in Berlin, mit Ausnahme der Linken und der AfD, ist die CSU von Nöten. Deswegen wird die CSU auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Sie hat übrigens 1949 bei der ersten Bundestagswahl auch ein enttäuschendes Ergebnis eingefahren, damals hing das mit dem Aufkommen der Bayernpartei zusammen. Trotzdem hat die CSU mit Franz Josef Strauß, der die Verhandlungen mit Konrad Adenauer leitete, eine entscheidende Rolle gespielt und eine Koalition mit der FDP durchgesetzt. Das heißt, die CSU hat auch in Zeiten, in denen Wahlergebnisse nicht optimal waren, entscheidende Weichenstellungen erreicht.

Laut einer im Dezember durchgeführten Umfrage halten über 80 Prozent der Bayern die CSU für zerstritten. Streit kommt bei den Wählern bekanntlich überhaupt nicht gut an…

Ja das ist wahr. Es gilt die Grundprämisse, das zu sehen und daraus die Konsequenzen zu ziehen. Darum muss jeder wissen, der einen persönlich motivierten Streit initiiert hat, dass er damit der gemeinsamen Sache schadet. Der Beginn der notwendigen Besserung war sowohl durch den einstimmigen Beschluss der Landtagsfraktion für Markus Söder als Spitzenkandidat als auch durch das einstimmige Votum des Parteivorstandes für die erneute Kandidatur von Horst Seehofer als Parteivorsitzender gegeben. Das waren sicher wichtige, vertrauensbildende Maßnahmen. Auch der Parteitag zeigte den Weg in die Zukunft. Jetzt schauen natürlich die Wähler, die Bürger, die Journalisten genau hin und fragen sich, ob das alles ehrlich gemeint war. Wenn die konkreten Handlungsweisen und der Umgang miteinander nun diese Entscheidungen rechtfertigen, dann werden wir auch das Vertrauen der Bürger wiedergewinnen.

Vertrauen gewinnt man durch den Gleichklang von Aussage und Handeln.

Theo Waigel

In den letzten Umfragen war die CSU weit weg von der absoluten Mehrheit. Ist dieses Ziel bis zur Landtagswahl noch zu schaffen?

Es ist zu schaffen. Aber ich würde das Ziel der absoluten Mehrheit nicht permanent in den Mund nehmen. Auch schon früher war bekannt, dass absolute Mehrheiten vom Wähler nicht sonderlich geliebt werden. Deshalb sollte man immer das Ziel angehen, eine möglichst starke Kraft in Bayern zu sein. Wir sind DIE bayerische Partei, die aber nicht nur Bayern sieht, sondern auch Deutschland und Europa im Blick hat.

Wie kann die CSU die verlorene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen? 

Vertrauen gewinnt man durch den Gleichklang von Aussage und Handeln. Zudem braucht man überzeugende Persönlichkeiten. Darum haben die Spitzenpolitiker der CSU auf Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europaebene die riesige Verantwortung, dass sie dem, was der Bürger erwartet, auch gerecht werden. Sie haben eine Vorbildfunktion. Da würde ich als Motto mit auf den Weg geben, was mein Lieblingsphilosoph Joseph Bernhart am Ende einer Ausarbeitung über Demokratie und Krise zum Ausdruck gebracht hat und zwar schon 1949: „Es gilt die Ordnung der Dinge zu erkennen und sich selbst in Ordnung zu bringen“. Das ist ein Motto, das sich alle CSU- Verantwortungsträger bewusst machen sollten. Die CSU hat in den vergangenen Jahren auch unheimlich viel erreicht. Bayern steht blendend da und das war mit Sicherheit kein Selbstläufer.

Wichtig ist, die Seele Bayerns zu betonen. Dazu gehört, die natürliche Lebensgrundlage und Schöpfung zu bewahren.

Theo Waigel

Bedeutet Politik eher Dienstleistung am Bürger oder Ausüben von Macht?

Politik bedeutet Dienst am Menschen, das muss jedem Politiker klar sein. Dazu gehört die Verbundenheit zur Gemeinschaft und dem Gemeinwohl. Aber, Politik ist auch Führung. Politik verlangt geistige, politische Führung, also zu sagen, wohin der Weg gehen soll. Es geht darum, die Realität und die Herausforderungen darzustellen und sie dann, wie Max Weber gesagt hat, mit Leidenschaft und Augenmaß anzugehen. Die Identität der CSU geht letztlich auf eine Primäridee zurück: Aus der Verantwortung vor Gott folgt die Verantwortung für den Nächsten. Das ist das Besondere an der CSU, während alle anderen Parteien Sekundärideen folgen. Das mutig zu vertreten, auch wenn die Zahl der Gläubigen und der gläubigen Politiker zurückgeht, ist Verpflichtung und Chance zugleich.

Welche Themen sollte die CSU im Hinblick auf die Landtagswahl in den Mittelpunkt rücken?

Eine ganz große Chance sehe ich in dem Thema Heimat. Zu den Grundwerten, die wir aus der christlichen Ethik, aus der Soziallehre und dem Humanismus beziehen, gehört auch die Heimat. Heimat ist ein unverzichtbarer Wert in einer globalen Welt, sie ist der Gegenpol zur Globalisierung. Der Mensch braucht Identität, ein Zuhause. Er braucht Familie, er braucht Freunde, er braucht Gemeinschaft. Wichtig ist, die Seele Bayerns zu betonen. Dazu gehört, die natürliche Lebensgrundlage und Schöpfung zu bewahren. Die regionale Strukturpolitik von 1946 bis heute ist eine Erfolgsgeschichte. Aus den unterschiedlichen Regionen, aus den Armenhäusern Bayerns wurden blühende Landschaften.

Jetzt müssen wir aber die nächsten Schritte vollziehen und das Wachstum in den Ballungsräumen abfedern. Wenn es so weitergeht, kann sich ein Polizist, ein junger Lehrer oder eine Krankenschwester das Leben in München bald nicht mehr leisten. Erschwinglicher sozialer Wohnungsbau, nicht in den Ballungszentren, sondern in einer gewissen Entfernung, in Verbindung mit dem sinnvollen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, wäre meines Erachtens ein guter Ansatz. Die Frage der Gerechtigkeit zeigt sich auch bei der Frage der Demographie. Über das Thema der impliziten Staatsschuld, also die Ausgaben, die durch die sozialen Belastungen der künftigen Generationen verursacht werden, wird viel zu wenig geredet. Die CSU sollte einen Zukunftsfonds ins Leben rufen, um die demographischen Probleme der Zukunft zu bewältigen. Finanzielle Rücklagen im Haushalt werden nicht ausreichen. Zudem sollten wir für eine flexiblere Arbeitswelt mit einer individuellen Altersgrenze eintreten.

Die CSU sollte einen Zukunftsfonds ins Leben rufen, um die demographischen Probleme der Zukunft zu bewältigen.

Theo Waigel

SPD-Chef Martin Schulz möchte bis zum Jahr 2025 die „Vereinigten Staaten von Europa“ einführen. Wie bewerten Sie diesen Vorschlag?

Das war einmal eine Forderung, die wir alle hatten. Heute müssen wir klar sehen, dass dies in der Form nicht realisierbar ist. Wir haben die Vereinigten Staaten IN Europa, also die Zusammenführung von eigenständigen Nationen auf freiwilliger Basis. Für den Vorschlag von Martin Schulz bräuchte man eine Änderung der EU-Verträge, die in 27 Ländern ratifiziert und zum Teil mit Volksabstimmungen bestätigt werden müsste. Dazu sehe ich keine realistische Möglichkeit.

Ich plädiere für Verbesserungen und Fortschritte innerhalb des Lissabonner Vertrages. Man könnte, was bereits geschieht, die Verteidigung stärker koordinieren und die Entwicklungshilfe bündeln. Ein gemeinsames Programm für Afrika würde helfen, Fluchtursachen zu beheben. Statt den zentralistischen Ansatz zu verfolgen, sollte die EU vielmehr aufzeigen, wie dezentral und bürgernah sie sein kann. Es wäre eine Chance gerade für die CSU, ein konkretes Subsidiaritätsprojekt für Europa auf den Weg zu bringen und all die Punkte aufzulisten, die von der EU wieder zurück in die Nationalstaaten gegeben werden könnten. Da gibt es viele Aufgaben, die besser in Berlin oder München aufgehoben wären als in Brüssel.

Auszug

Dies ist ein Auszug des Interviews. Das gesamte Gespräch zwischen Theo Waigel und Marc Sauber lesen Sie im aktuellen BAYERNKURIER-Magazin.