Bei dem derzeitigen Herumdilettieren von Martin Schulz (r.) hat man beinah wieder Sehnsucht nach Sigmar Gabriel (l.) (Foto: Imago/Christian Ditsch)
Große Koalition

SPD ziert sich noch

Die SPD ist bereits zur großen Koalition entschlossen, ziert sich aber noch, um den politischen Preis hochzutreiben. Die Union versucht, hohe Forderungen auszubremsen. SPD-Chef Schulz entgleitet die Kontrolle über seine Partei.

Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz schließt eine Zusammenarbeit mit CDU und CSU nicht aus, will sich aber vorerst nicht auf ein konkretes Modell festlegen. „Keine Option ist vom Tisch“, sagte Schulz nach einer Sitzung des Parteivorstands. Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung gelten eine Neuauflage der großen Koalition sowie eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung als mögliche Alternativen zur Neuwahl.

Ich strebe keine Große Koalition an, ich strebe auch keine Minderheitsregierung an. Ich strebe auch keine Neuwahlen an. Ich strebe gar nix an.

Martin Schulz, SPD-Vorsitzender, in der FAS

Schulz kündigte an, das SPD-Präsidium werde am Freitagmorgen erneut zusammenkommen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Am Donnerstag trifft sich Schulz auf Einladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer im Schloss Bellevue.

Steht Schulz schon vor dem Rücktritt?

Dem SPD-Chef entgleitet offensichtlich die Kontrolle über seine Partei. In der FAS äußerte sich Martin Schulz folgendermaßen: „Ich strebe keine Große Koalition an, ich strebe auch keine Minderheitsregierung an. Ich strebe auch keine Neuwahlen an. Ich strebe gar nix an. Was ich anstrebe: dass wir die Wege diskutieren, die die besten sind, um das Leben der Menschen jeden Tag ein Stück besser zu machen.“ Schon beim Juso-Bundeskongress hatte er sich ähnlich kryptisch geäußert.

Er hat keine Macht über seine Partei, er kann sie nicht führen.

Dirk Kurbjuweit, stv. Spiegel-Chefredakteur, über Martin Schulz

Der Spiegel-Vizechefredakteur Dirk Kurbjuweit schrieb daraufhin in seiner Tagesanalyse: „Schulz strebt nichts an und rettet sich in eine der klassischen Floskeln von Politikern.“ Schulz‘ Bilanz seit dem Wahlabend nennt der Spiegel „desaströs“: „Er hat keine Macht über seine Partei, er kann sie nicht führen. Wichtige Posten in der Fraktion wurden gegen seine Absichten besetzt, nun zwingt ihn die SPD, über eine Große Koalition zu reden, obwohl er sie zweimal entschieden abgelehnt hat. Schulz ist so redlich wie überfordert. Hier hilft nur ein Rücktritt.“

Nur Union ist sich der Verantwortung für Deutschland bewusst

Dagegen zeigt die Union, dass sie die Verantwortung für Deutschland übernehmen will. CDU-Chefin Angela Merkel bot der SPD faire Gespräche über die mögliche Aufnahme von Koalitionsverhandlungen an. Wie die Sondierungen mit FDP und Grünen wolle ihre Partei diese Gespräche „ernsthaft, engagiert, redlich“ führen, sagte die Kanzlerin. Die Union gehe dabei von ihrem Wahlprogramm mit bestimmten „sehr bedeutsamen“ Punkten aus. „Aber wir wissen natürlich, dass solche Gespräche auch immer Kompromisse erfordern.“ Merkel hob mit Blick auf drängende europäische und internationale Fragen erneut hervor, dass es um die Bildung einer stabilen Regierung gehe.

Viele europäische Dinge, die jetzt zur Entscheidung anstehen – die kann eine große Koalition gut lösen.

Armin Laschet, NRW-Ministerpräsident (CDU)

Führende CDU-Politiker wollen die SPD bei einer möglichen Neuauflage der großen Koalition nicht unter Zeitdruck setzen. Die CDU will für Sondierungsgespräche mit den Sozialdemokraten erst den SPD-Bundesparteitag vom 7. bis zum 9. Dezember abwarten. Das Gespräch des Bundespräsidenten mit den Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD werde ein Start sein, sagte CDU-Vize Armin Laschet. Dann folge der SPD-Parteitag. „Und dann wird man sachlich mit den jeweiligen programmatischen Vorstellungen in Koalitionsverhandlungen gehen, das hoffe ich jedenfalls“, sagte der NRW-Ministerpräsident. Laschet verwies auf die Notwendigkeit einer stabilen Regierung auch mit Blick auf Europa. „Viele europäische Dinge, die jetzt zur Entscheidung anstehen – die kann eine große Koalition gut lösen“, sagte er.

CDU warnt SPD vor zu vielen „roten Linien“

Auch CDU-Vorstandsmitglied Mike Mohring sagte, man wolle den SPD-Parteitag abwarten. Direkt danach werde ein CDU-Bundesvorstand beschließen, wie man vorgehen wolle. „Dann hoffe ich, dass Sondierungsverhandlungen noch vor Weihnachten beginnen“, sagte der thüringische CDU-Landesvorsitzende. CDU-Vize Julia Klöckner warnte die SPD davor, zuvor „rote Linien“ für die Gespräche mit der Union aufzustellen. Grundlage der Gespräche seien die Wahlprogramme beider Parteien. Klöckner prognostizierte, dass ernsthafte Koalitionsverhandlungen wohl erst im neuen Jahr beginnen können. Am Sonntagabend hatte sich das CDU-Präsidium dafür ausgesprochen, Sondierungen mit der SPD für die Bildung einer erneuten großen Koalition anzustreben. Dies wird nötig, weil die FDP die Jamaika-Sondierungen von CDU, CSU, Grünen und Liberalen abgebrochen hatte.

Gleichzeitig gibt es bereits Streit um Forderungen aus der SPD für eine künftige Steuer-, Sozial- und Gesundheitspolitik in einer neuerlichen schwarz-roten Koalition. SPD-Vize Ralf Stegner bekräftigte, seine Partei werde nur mit der Union koalieren, wenn gewisse Bedingungen erfüllt würden. Die SPD fordert unter anderem eine Reform der Einkommenssteuer, die untere und mittlere Einkommen entlastet, eine Bürgerversicherung mit paritätischen Beiträgen und eine starke Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde. Wirtschaftsexperten befürchten, dass die beiden letzten Punkte die Konjunktur belasten könnten. Speziell die massive Erhöhung des Mindestlohns könnte das Ende für viele kleine Mittelständler sein – wie Friseure oder Bäckereien. (dpa)