Union, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sondieren derzeit in der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin. Foto: Tobias Koch
Sondierung

Der lange Weg nach Jamaika

Interview "Wir wollen eine funktionsfähige Bundesregierung für unser Land", sagt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer im Interview mit Marc Sauber. Zugleich macht er deutlich: "Einen Koalitionsvertrag ohne Handschrift der CSU werden wir nicht unterschreiben."

Herr Scheuer, viele Bürger fragen sich, warum die Gespräche so lange dauern und warum unterm Strich bislang so wenig Greifbares herausgekommen ist. Was sagen Sie denen? 

Bis zum 17. November soll die Sondierung abgeschlossen sein, diesen Zeitplan haben sich alle vier beteiligten Parteien gesteckt. Dann haben wir vier Wochen miteinander geredet, unsere Positionen ausgetauscht und Kompromisse ausgelotet. Da muss dann Klarheit herrschen, ob Jamaika klappen kann oder nicht. Am Ende der Sondierung soll es ein gemeinsames Sondierungspapier geben, in dem die inhaltlichen Grundlagen einer möglichen Jamaika-Koalition skizziert werden, und auf Grundlage dieses Papiers entscheiden dann die jeweiligen Parteigremien, ob Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden sollen oder nicht. Die Sondierung für Jamaika dauert relativ lang, aber am Ende werden alle Parteien eine belastbare Entscheidungsgrundlage haben, ob Jamaika Realität werden kann oder nicht.

Der Druck ist groß und steigt weiter. Das wissen alle Beteiligten. Die Chancen stehen 50:50.

Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär

Wie ist der Zeitplan, wann werden die CSU-Gremien und die Parteibasis über das Ergebnis der Sondierung informiert?

Gleich am 17. November wird die CSU-Landesgruppe in Berlin über das Ergebnis der Sondierung informiert, am 18. November die CSU-Landtagsfraktion in München. Am gleichen Tag trifft sich auch der Parteivorstand, um über das Sondierungsergebnis zu beraten. Natürlich werden wir auch alle unsere Mitglieder über das Sondierungsergebnis und das weitere Vorgehen informieren.

Was sind aktuell die größten inhaltlichen Knackpunkte zwischen Union, FDP und Grünen? Bei welchen Themen gibt es Konsens? 

Konsens herrscht zum Beispiel, dass wir weiter einen ausgeglichenen Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung wollen und keine Erhöhung der Substanzsteuern. Klar ist nach harten Diskussionen nun auch für die Grünen, dass wir Landwirtschaftspolitik nur gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern machen, und nicht gegen sie. Und alle Parteien wollen die Kommunen und den ländlichen Raum stärken, was für uns als CSU sehr wichtig ist.

Es gibt aber noch gewaltige Knackpunkte: Für die CSU ist eine bessere Steuerung, Ordnung und Begrenzung der Zuwanderung wichtig – dazu gehört auch die weitere Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge, die nur vorübergehend hier sind. Die CSU ist für eine Verkehrs- und Energiepolitik mit Vernunft und Augenmaß, da müssen sich die Grünen noch stark bewegen. Generell muss die Wirtschaftspolitik auch in einer Jamaika-Koalition so sein, dass wir nicht die Axt an die Wurzel unseres Wohlstands legen, sonst schlittern wir nämlich in gewaltige finanzielle Probleme, da machen wir nicht mit. Die Mütterrente ist für uns eine wichtige Frage der Gerechtigkeit, da gibt es noch keine Zusage von den anderen Parteien. Und auch bei der Abschaffung des Soli ist noch nicht klar, wann und in welchen Schritten das geht.

Die Grünen müssen sich von Ideologie in Richtung Vernunft bewegen.

Andreas Scheuer

Wie würden Sie die aktuelle Stimmung während der Sondierungsgespräche beschreiben? 

Bemüht und konzentriert, hart in der Sache. Gerade von den Grünen fordere ich in den letzten acht Tagen nun dringend mehr Realitätssinn und konstruktives Handeln, sonst wird das nichts. Natürlich ist die Stimmung angespannt – denn bei den Gesprächen geht es um ganz Viel, um die Zukunft des Landes sowie der Bürgerinnen und Bürger.

Wie kann man sich den täglichen Ablauf der Sondierungen vorstellen? Wer sitzt für die CSU am Verhandlungstisch?

Zum festen Verhandlungsteam der CSU gehören der Parteivorsitzende Horst Seehofer, der Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, unser Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl Joachim Herrmann, der Vorsitzende der Landtagsfraktion Thomas Kreuzer sowie ich als Generalsekretär. Zu unserem erweiterten Verhandlungsteam kommen die stellvertretenden Parteivorsitzenden hinzu, also Barbara Stamm, Manfred Weber, Angelika Niebler, Kurt Gribl und Christian Schmidt, sowie als weiterer Bundesminister Gerd Müller.

Bei einzelnen Fachthemen verhandeln dann noch unsere Fachpolitiker aus dem Bundestag mit. Die Vertreter aller Parteien sitzen an einem großen rechteckigen Tisch im Gebäude der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin, direkt neben dem Bundestag. Die Bilder vom Balkon täuschen, da stehen wir nur in kurzen Sitzungspausen. Zwischen den Pausen wird stundenlang verhandelt. Nebenher schreiben die Fachpolitiker an ihren Sondierungspapieren. So ein Tag mit Vorgesprächen, internen Abstimmungsrunden und Sondierungsrunden verstößt gegen die Arbeitszeitrichtlinie und umfasst zumeist bis zu 14 Stunden.

Wenn die Sondierung, also die Vorstufe der Koalitionsverhandlungen, schon so lange dauert, wann können wir mit einer funktionierenden Bundesregierung rechnen? 

Diese Frage kann keiner beantworten. Die Hoffnung besteht, dass nach einer sehr intensiven Sondierung die richtigen Koalitionsverhandlungen dann umso schneller gehen. Es gilt für uns Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Ein genaues Datum kann keiner zum jetzigen Stand sagen.

Insbesondere zwischen den Grünen und der CSU scheinen Welten zu liegen – wie wollen Sie die Positionen zueinander bringen?

Der Anschein ist vollkommen richtig, die Grünen müssen sich von Ideologie noch Richtung Vernunft bewegen. Es gibt einige gute Ansätze, aber noch nicht bei allen Grünen und bei allen Themen.

Kritiker sagen, die CSU setze zu sehr auf das Thema Zuwanderung. Wichtige andere Themenfelder könnten dabei unter die Räder kommen. Teilen Sie diese Auffassung?

Für uns sind alle Themen wichtig, von A wie Ackerbau bis Z wie Zuwanderung: Finanzen, Wirtschaft, Verkehr, Rente, Pflege usw. Die Breite der Volkspartei bilden wir auch hier ab. Klar ist: Es gibt nur eine Einigung, wenn über alle Themen Einigkeit herrscht. Es ist nichts vereinbart, bis nicht alles vereinbart ist.

Für uns sind alle Themen wichtig, von A wie Ackerbau bis Z wie Zuwanderung.

Andreas Scheuer

Die Grünen sind mit dem Verbot des Verbrennungsmotors und der Abschaltung von Kohlekraftwerken entgegen gekommen. Warum waren die Reaktionen der CSU darauf gemischt?

Das war erstmal nur ein taktisches Manöver der Grünen. Die Grünen haben ihre Extremstposition verlassen, aber sich noch nicht wirklich bewegt. Da sofort zu jubeln wäre völlig falsch. Es herrscht nach wie vor mehr Dissens als Konsens.

Wie groß ist der Druck, dass die Jamaika-Koalitionäre zusammenfinden? Wie geht es weiter, wenn es mit Jamaika nicht klappen sollte? 

Der Druck ist groß und steigt weiter. Das wissen alle Beteiligten. Die Chancen stehen 50:50 und alles ist möglich. Wir wollen eine funktionsfähige Bundesregierung für unser Land. Die Wähler der CSU müssen sich im Koalitionsvertrag wiederfinden, der Koalitionsvertrag darf auf keinen Fall ein Konjunkturprogramm für andere werden, darauf werden wir achten. Die SPD macht es sich momentan in ihrer Schmollecke gemütlich und fühlt sich mit Nichtstun wohl. Aber falls Jamaika scheitert, dürfte sich die SPD nicht ihrer Verantwortung vor den Wählern entziehen, sondern müsste für ernsthafte Gespräche zur Verfügung stehen.

Das Wort „Neuwahlen“ geistert immer wieder durch die Medien – wie bewerten Sie diese Möglichkeit?

Den Begriff „Neuwahlen“ nehme ich gerade nicht in den Mund.

Ein rascher Arbeitsbeginn einer Jamaika-Koalition oder eine lange Hängepartie, an der am Ende eventuell sogar Neuwahlen stehen. Welche Alternative ist besser für die CSU – auch im Hinblick auf die Landtagswahl 2018?

Wir wollen mit dem Ergebnis der Bundestagswahl 2017 eine Koalition schmieden – Bedingung dafür ist, dass sich die Handschrift der CSU wiederfindet. Wenn das gelingt, nützt uns das auch für die Landtagswahl 2018. Im Umkehrschluss heißt das: Einen Koalitionsvertrag ohne Handschrift der CSU werden wir nicht unterschreiben. Weil dies eine Frage von epochaler Tragweite ist, wird auf jeden Fall auch ein CSU-Parteitag darüber entscheiden.