Finanz-Staatssekretär Hartmut Koschyk (l.) mit Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Regierungsbank (Foto: CSU/Büro Koschyk)
Hartmut Koschyk

Europas Werte

Einige CSU-Bundestagsabgeordnete traten am 24. September nicht mehr zur Wahl an. Dem BAYERNKURIER gaben sie zum Abschied ein Interview. Heute: Hartmut Koschyk, mit dem zweiten Teil des Interviews, zu Finanzkrise und Vertriebenenpolitik.

Von 2009 bis 2013 waren Sie Finanz-Staatssekretär – gerade nach Ausbruch der weltweiten Finanzkrise. Was meinen Sie: Inwiefern haben die Gier und der Verfall der wirtschaftlichen Sitten zur Krise geführt?

In meinen Augen hat ein Abweg vom christlichen Sittengesetz zur Finanz- und Wirtschaftskrise sicherlich beigetragen: Hätten sich Verantwortliche in der Finanzwelt mehr an die Vorgaben der christlichen Sozialethik gehalten, wären so gravierende Verwerfungen an den Finanzmärkten nicht eingetreten. Aber auch die menschliche Gier nach möglichst hohen Renditen war Antriebsfeder der Finanzmarktkrise. Die Finanzmarktkrise und die darauf folgende weltweite Rezession haben deutlich gezeigt, dass die Finanzmärkte Regeln und Grenzen brauchen, die sie selbst nicht setzen, geschweige denn effektiv durchsetzen können. In meiner Amtszeit als Parlamentarischer Staatssekretär wurden erfolgreich die Weichen für eine Regulierung der Finanzmärkte gestellt, was in den Folgejahren auf europäischer Ebene zu einem verbindlichen Regelwerk für die Finanzmärkte, für strikte Haushaltskonsolidierung und mehr Wachstum geführt hat.

Die menschliche Gier nach möglichst hohen Renditen war Antriebsfeder der Finanzmarktkrise.

Hartmut Koschyk

Im Zuge der Bewältigung der Finanzkrise sind mehrere Regeln gebrochen worden – etwa die No-Bailout-Klausel in Art. 125 AEU-Vertrag, die die Haftung der EU für Schulden von Mitgliedsländern nicht gestattet. Und der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB wird als unerlaubte Staatsfinanzierung gesehen. Sehen Sie darin Gründe, dass die Akzeptanz der EU in der Bevölkerung schwindet?

Die Entscheidungen der unabhängigen Europäischen Zentralbank und die von der EU getroffenen und vom Deutschen Bundestag mitgetragenen notwendigen Maßnahmen zur Bewältigung der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise dürfen nicht außer Acht gelassen, aber auch nicht überbewertet werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Menschen Europa wollen. Aber sie wollen ein bürgernahes Europa und keinen Superstaat. Sie wollen ein Europa, das sie schützt vor dem Terror der Islamisten und dafür enger zusammenarbeitet. Sie wollen ein Europa, das um die besseren Lösungen ringt, eine Union des kooperativen Wettbewerbs, aber keine Transfer-, Schulden und Haftungsunion.

Die Menschen wollen ein bürgernahes Europa und keinen Superstaat.

Hartmut Koschyk

Und dazu muss sich Europa auf seine Kernaufgaben besinnen, weil es genau daraus seine Legitimation und Kraft schöpft. Und das heißt: unsere Interessen in der Welt wahren, Frieden sichern, unsere Außengrenzen schützen, die Rohstoff- und Energieversorgung garantieren, die Soziale Marktwirtschaft international etablieren, die Finanzmärkte regulieren und die Staatsschuldenkrise in den EU-Mitgliedstaaten bewältigen. Die Wertegemeinschaft der EU war der Schlüssel, die epochalen Veränderungen in Europa in den zurückliegenden Jahrzehnten zu meistern und Frieden und Stabilität zu wahren. Viele Konflikte konnten überwunden werden, wie beispielsweise auf dem Balkan, wo es mittlerweile Entwicklungen hin zu politischer Stabilität, Wohlstand und sozialem Ausgleich gibt. Auch die Solidarität mit den Staaten, die im Zuge der Krise finanzielle Hilfe benötigten, war und ist Ausdruck der Wertegemeinschaft Europas. Ich halte es von entscheidender Bedeutung, den Menschen in unserem Land zu vermitteln, dass Europa eben nicht nur von politischen und wirtschaftlichen Interessen zusammengehalten wird, sondern insbesondere auch von der christlichen Wertüberzeugung, die geprägt ist von Subsidiarität, Solidarität und Hilfe gegenüber dem Nächsten.

Ihre Eltern wurden aus Oberschlesien vertrieben. Als Sie Bundestagsabgeordneter wurden, waren Sie Generalsekretär des Bundes der Vertriebenen. Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Verhältnisses der Vertriebenen zu den Vertreibungsländern?

Das Verhältnis der Heimatvertriebenen zu den heutigen Regierungen der Länder, aus denen sie stammen, hat sich in den letzten Jahren entscheidend verbessert. Einer der Gründe ist sicherlich, dass seit dem demokratischen Umbruch in Mittel- und Osteuropa zu Beginn der 90er Jahre nicht nur der Minderheitenschutz in diesen Ländern entscheidende Fortschritte gemacht hat, sondern vielerorts auch ein neues Geschichtsbewusstsein im Hinblick auf die deutschen Heimatvertriebenen entstanden ist. So hat beispielsweise im vergangenen Jahr mit dem tschechischen Kulturminister Daniel Herman erstmals in der Geschichte die tschechische Regierung einen Minister zum Sudetendeutschen Tag entsandt, was symbolisch die andauernde positive Entwicklung des deutsch-tschechischen Versöhnungsprozesses unterstreicht. Der offizielle Besuch beim traditionellen Pfingstreffen der Sudetendeutschen, bei dem Minister Herman das tiefe Bedauern über die Vertreibung vor 70 Jahren ausdrückte, ist zweifellos als „historisch“ zu werten.

Das Verhältnis der Heimatvertriebenen zu den heutigen Regierungen der Länder, aus denen sie stammen, hat sich in den letzten Jahren entscheidend verbessert.

Hartmut Koschyk

Mit vielen der Staaten, in denen Deutsche Minderheiten leben, haben wir heute bilaterale Vereinbarungen jenseits der Verpflichtungen, die auch diese Länder durch Europaratsvereinbarungen eingegangen sind. Die Blaupause für all diese bilateralen Vereinbarungen bildet der deutsch-polnische Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrag. Es ist uns trotz politisch schwieriger Zeiten gelungen, auch mit der Russischen Föderation und mit der Ukraine nach jahrelanger Unterbrechung eine bilaterale Regierungskommission erneut durchzuführen. Daneben haben wir mit vielen Ländern eine sehr entspannte, fast zur Routine gewordene Zusammenarbeit in Fragen der dortigen Deutschen Minderheit. So wird die deutsch-rumänische Regierungskommission für Fragen der deutschen Minderheit in diesem Jahr bereits zum 20. Mal tagen. Auch die Tatsache, dass der rumänische Präsident Klaus Johannis aus der deutschen Minderheit stammt, macht deutlich, dass heutzutage alles möglich ist.

Was denken Sie, was hauptsächlich verantwortlich ist für diesen Wandel hin zur Versöhnlichkeit?

Den Heimatvertriebenen hat es niemals an auf Ausgleich bedachten friedensstiftenden Zukunftsvisionen gemangelt. Dies wird insbesondere durch die „Charta der Heimatvertriebenen“ deutlich, die am 5. August 1950 in Bad Cannstatt unterzeichnet wurde. In ihrem Kern enthält sie einen Aufruf zum Verzicht auf Rache und Gewalt trotz des eigenen gerade erlittenen Unrechts und ein klares Bekenntnis zur Schaffung eines geeinten Europas, zur Verständigung zwischen den Staaten, den Völkern und Volksgruppen. Sie war zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung ihrer Zeit weit voraus und eine große moralische Leistung der Vertriebenen. Ohne den politischen Umbruch in Mittel- und Osteuropa und dem damit einhergehenden zunehmenden Bekenntnis, die Rechte der vor Ort lebenden nationalen Minderheiten zu schützen, wäre der Wandel hin zur Versöhnlichkeit auch heute noch nur schwer vorstellbar. In Polen beispielsweise, das sehr wichtige Vereinbarungen des Minderheitenschutzes auf der Ebene des Europäischen Rats unterzeichnet hat, kann sich die deutsche Minderheit heute auf einem sicheren Rechtsgrund entfalten. Auch hat sie feste Strukturen entwickelt und zudem inzwischen auch einen Generationswechsel vollzogen. Heute ist sie ein nicht wegzudenkender politischer und gesellschaftlicher Faktor in Polen und dem deutsch-polnischen Beziehungsgeflecht. Darüber hinaus spielte auch der „Glaube“ eine entscheidende und keineswegs untergeordnete Rolle, was die Friedensbotschaft von Johannes Paul II . bei der Feier des Weltfriedenstages 1989 „Um Frieden zu schaffen, Minderheiten achten!“ und das Grußwort von Papst Benedikt XVI. an die deutschen Heimatvertriebenen 2005 eindrucksvoll verdeutlichen. Auch Papst Franziskus hat die Bedeutung des Rechtes auf Heimat unterstrichen, indem er 2015 in seiner Enzyklika „Laudato Si“ auf die angestammten Rechte indigener Völker hinwies.