Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geht auch nach der Werbetour der britischen Regierungschefin Theresa May in mehreren europäischen Ländern nicht davon aus, dass der EU-Gipfel Änderungen am Brexit-Abkommen beschließen wird. „Wir haben nicht die Absicht, das Austrittsabkommen wieder zu verändern. Das ist die allgemeine Position der 27 Mitgliedstaaten“, sagte Merkel im Bundestag. „Insoweit ist jetzt nicht zu erwarten, dass wir hier mit irgendwelchen Veränderungen aus den Debatten hervorgehen“, betonte die Kanzlerin.
Wir arbeiten hart dafür, dass es zu einem geordneten Brexit kommt.
Angela Merkel, Kanzlerin
Es war die zweite derartige Regierungsbefragung mit kurzen Fragen der Abgeordneten und kurzen Antworten der Kanzlerin: Jeweils eine Minute war pro Frage erlaubt und eine Minute für die Antworten, für Nachfragen jeweils eine halbe Minute. Die Premiere dieses Frageformats war im Juni. Diesmal beantwortete sie 26 Fragen und 14 Nachfragen. In einem kurzen Statement zu Beginn der Fragestunde ergänzte Merkel, der bevorstehende EU-Gipfel werde sich auch mit der von der österreichischen Ratspräsidentschaft erarbeiteten sogenannten Verhandlungsbox für die mittelfristige finanzielle Vorausschau der EU befassen. Im EU-Rat werde es vor der Europawahl Ende Mai keine Verständigung zu den Finanzen geben, aber die Struktur der künftigen Verhandlungen werde klarer erkennbar. Da gebe es naturgemäß sehr große Interessenunterschiede.
Ruhe und Souveränität
Auf die Frage des FDP-Abgeordneten Alexander Graf Lambsdorff, was die Bundesregierung gegen die Verunsicherung der Bürger im Zusammenhang mit der Diskussion über einen ungeordneten Brexit tun könne, antwortete Merkel: „Wir arbeiten hart dafür, dass es zu einem geordneten Brexit kommt.“ Dennoch treffe die Regierung Vorkehrungen für den Fall eines ungeregelten Austritts. Das Bundeskabinett habe soeben „zwei Gesetze verabschiedet zu den Steuer- und Sozialstandards, falls es zu einem harten Brexit kommt“, berichtete die Kanzlerin.
Die uneingeschränkte Unterstützung der Proteste der Gelbwesten in Frankreich ist skandalös, weil Sie kein Wort zur Gewalt sagen, die auf den Straßen angewandt wird.
Merkel zur Linkspartei
Merkel strahlte in der ganzen Fragestunde große Ruhe und Souveränität aus. Häufig antwortete sie schlagfertig, manchmal sogar pointiert oder witzig. Bei Fragen, die sie nicht erschöpfend beantworten konnte, sagte sie nochmalige Prüfung zu. Gelegentlich allerdings verfiel sie wieder in ihre oft kritisierte Rhetorik mit vielen Nebensätzen und unverständlichen technokratischen Ausdrücken. Ein Beispiel: Nicht jeder Zuhörer weiß, was die Pläne des früheren Finanzministers Schäuble zum „BEPS-Regime“ beinhalten, die Merkel als Antwort auf eine Frage der Links-Abgeordneten Gesine Lötzsch anführte. Damit meint Merkel, wie EU-Staaten die in ihnen erzeugten Gewinne multinationaler Internet-Konzerne versteuern können, ohne dass sie durch Verschiebung in andere Länder verschwinden. Diese Steuervermeidungsstrategie nennen Finanzexperten „BEPS“, was nur den wenigsten Zuhörern bekannt sein dürfte.
Angriffe auf Linkspartei und AfD
Scharf wurde Merkels Ton in der Fragestunde nur selten: Nach einer Frage von Fabio de Masi (Linkspartei) zu den Gelbwesten-Protesten in Frankreich und zur Europäischen Finanzmarkttransaktionssteuer attackierte die Kanzlerin die Linkspartei heftig. Sie sagte: „Die uneingeschränkte Unterstützung der Proteste der Gelbwesten in Frankreich ist skandalös, weil Sie kein Wort zur Gewalt sagen, die auf den Straßen angewandt wird.“ Damit spielte sie darauf an, dass Linken-Vorsitzender Bernd Riexinger verkündet hatte, man sei solidarisch mit den Gelbwesten.
Als Physikerin geht es mir bei den Zahlen um die Wahrheit.
Merkel zu Fake-News der AfD
Insbesondere die AfD-Fragesteller griff Merkel mehrmals an. Nach einer Frage des AfD-Abgeordneten Martin Hebner zum UN-Migrationspakt warf die Kanzlerin der AfD allgemein die Verbreitung von „Falschinformationen“ über das internationale Abkommen vor. Nach einem Wortwechsel zu der Zahl der EU-Staaten, die den Pakt unterstützen, betonte Merkel zudem: „Als Physikerin geht es mir bei den Zahlen um die Wahrheit.“ Eine Mehrheit der EU-Staaten unterstütze das Abkommen, unterstrich Merkel. Nach der Eingangs-Frage des AfD-Abgeordneten Markus Frohnmaier zum Brexit kritisierte die Kanzlerin eine „Mischung von Fakten und Wertungen“ durch den Fragesteller.
Eine Minute reicht nicht
Als der AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann der Bundesregierung sinkende Abschiebezahlen vorwarf, wies Merkel dies zurück. Als Baumann dies dann noch einmal bekräftigte, ohne allerdings eine Frage zu formulieren, antwortete Merkel knapp: „Ich teile Ihre Einschätzung nicht. Ich habe auch kein Fragezeichen jetzt gesehen bei Ihnen.“ Der AfD-Abgeordnete Norbert Kleinwächter provozierte Merkel mit einer dreifachen Frage: Ob sie nicht sehe, dass die Menschen vor den Macron-Merkel-Plänen in Europa davonlaufen, dass Deutschland immer mehr EU-Länder retten müsse, die finanziell mit dem Rücken zur Wand stehen, und ob sie nicht langsam meine, selbst „weg“ sein zu sollen. Merkel antwortete zunächst sachlich: „Ich glaube, dass wir viel unternommen haben.“ Und: „Ich darf Sie darauf hinweisen, dass massiv Arbeitslosigkeit abgebaut“ und Wohlstand aufgebaut werden konnte. Dass die EU trotzdem weiter um den Wohlstand kämpfen müsse, sei klar. Dann setzte sie eine Spitze gegen den AfD-Fragesteller: „Aber nicht mit so einer Polemik.“
Die europapolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, unterstellte ein „verlorenes Jahr für Europa“ und wollte wissen, was die Bundesregierung heuer denn schon für Europa erreicht habe. Merkel sagte drauf, man gehe mit Frankreich „ambitioniert“ nach vorne und nannte einige Beispiele neuer EU-Regelungen. Aber: „Bei einer Minute Zeit ist es bestenfalls möglich, nur ein halbes Prozent dessen darzustellen, was wir in diesem Jahr alles gemacht haben.“