Journalismus ist kein Verbrechen: Unterstützer erinnern in Berlin vor dem Reichstag an den in der Türkei inhaftierten Reporter Deniz Yücel. (Bild: Imago/IPON)
Türkei

Beitrittsgespräche stoppen

Nach der „Reisewarnung“ der Türkei gegen Deutschland will CSU-Spitzenkandidat Joachim Herrmann die EU-Beitrittsverhandlungen sofort beenden. Auch Kanzlerin Merkel und die Türkische Gemeinde in Deutschland kritisieren den Autokraten Erdogan.

„Das kann doch kein vernünftiger Mensch mehr ernst nehmen“, sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Was die EU-Beitrittsverhandlungen angeht, ist die rote Linie doch längst überschritten. Ich halte es daher auch für absolut konsequent, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei jetzt zu beenden“, betonte der CSU-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl. Herrmann sieht keinen Anlass mehr für EU-Beitrittshilfen an das Land. „Diese sinnlosen Zahlungen müssen gestoppt werden – und zwar so bald wie möglich.“

Diese sinnlosen Zahlungen müssen gestoppt werden – und zwar so bald wie möglich.

Joachim Herrmann, CSU-Spitzenkandidat zu den EU-Beitrittshilfen an die Türkei

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Unions-Fraktionschef Volker Kauder kritisierten das Vorgehen der Türkei. Die Türkische Gemeinde in Deutschland schloss sich dem an. „Diese Reisewarnung ist lächerlich“, sagte auch der Vorsitzende der säkularen Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu. „Mir wäre wichtig, dass die türkische Regierung sich aus dem Bundestagswahlkampf heraushält“, so Sofuoglu in der Nordwest-Zeitung.

Die Regierung in Ankara hatte zuvor eine „Reisewarnung für die Bundesrepublik Deutschland“ ausgesprochen. Darin ruft das türkische Außenministerium in Deutschland lebende oder dorthin reisende Türken zur „Vorsicht“ wegen „wahrscheinlicher fremdenfeindlicher und rassistischer Behandlung, Verhalten und Verbalangriffen“ auf. Der Schritt dürfte eine Retourkutsche für die Verschärfung der Reisehinweise des Auswärtigen Amtes für die Türkei in der vergangenen Woche sein. Das türkische Außenministerium unterscheidet nicht – wie das deutsche – scharf zwischen Reisewarnung und Reisehinweis.

Erneut deutsches Ehepaar festgenommen

Unterdessen nahm die Türkei am Sonntag ein weiteres deutsches Ehepaar fest. Das Auswärtige Amt habe konkrete Anhaltspunkte, „dass erneut ein deutsches Ehepaar türkischer Abstammung in Istanbul in Polizeigewahrsam gekommen ist“, sagte der Sprecher des Ministeriums, Martin Schäfer, in Berlin. Offizielle Informationen der türkischen Behörden lägen bislang zwar nicht vor. Es sei aber davon auszugehen, dass einer der beiden am Sonntag festgenommenen Ehepartner immer noch von der Polizei festgehalten werde. Gegen die zweite Person sei eine Ausreisesperre verhängt worden, führte Schäfer weiter aus.

Was wir derzeit mit deutschen Staatsbürgern in türkischer Untersuchungshaft erleben, ist schwerwiegend und absolut nicht hinnehmbar. Die Türkei entfernt sich immer weiter von Europa und seinen Werten.

Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin

„Ich will hier ganz deutlich auch sagen: Zu uns kann jeder türkische Staatsbürger reisen“, sagte Bundeskanzlerin Merkel bei einem Wahlkampfauftritt im westfälischen Delbrück. „Bei uns wird kein Journalist verhaftet, kein Journalist in Untersuchungshaft gesteckt, bei uns herrscht Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit. Und darauf sind wir stolz“, so die Kanzlerin. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) kritisierte Merkel die Politik des türkischen Diktators Erdogan scharf. „Was wir derzeit mit deutschen Staatsbürgern in türkischer Untersuchungshaft erleben, ist schwerwiegend und absolut nicht hinnehmbar.“ Die Türkei entferne sich immer weiter von Europa und seinen Werten.

Beitrittsgespräche beenden?

Es gelte erstens, zunächst nicht weiter über die Erweiterung der Zollunion zu verhandeln, und zweitens, darüber zu entscheiden, ob die EU-Beitrittsgespräche ausgesetzt oder sogar beendet werden sollen. „Viele Optionen liegen auf dem Tisch“, erklärte die Bundeskanzlerin. In einer Umfrage hatten 84 Prozent der Deutschen gefordert, den Beitrittsprozess zu beenden.

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Volker Kauder, sprach sich dafür aus, den Gesprächsfaden vorerst nicht abzureißen. „Ich würde jetzt gern mit der Türkei über die Menschenrechte, Religionsfreiheit, Rechtsstaat sprechen“, sagte Kauder in der ARD. Wenn Präsident Recep Tayyip Erdogan das ablehne, dann würde er die Tür selbst zuschlagen.