Volker Beck, die moralische Autorität der Grünen, bei der Bundesdelegiertenkonferenz in Münster Ende 2016. (Bild: Imago/Rüdiger Wölk)
Grüne

Sakrileg und flinke Zungen

Auf Facebook haben sich zwei Grünen-Politiker in die Haare bekommen: Volker Beck und Tübingens OB Boris Palmer. Es ging um Flüchtlingspolitik – und zeigte mal wieder die großen Unterschiede zwischen der Realität und der grünen Ideologie.

Meinungsverschiedenheiten unter Grünen sind an sich nichts Neues. Zuletzt war Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann aufgefallen, als er seinen Parteifreund Anton Hofreiter indirekt als „ahnungslos“ und „radikal“ bezeichnete. Sein Gegenüber räumte ein, dass das Unsinn-Reden bei den Grünen zur Befriedigung der eigenen Klientel notwendig sei.

Jetzt hat der Grüne Volker Beck wieder einen Beitrag in dieser Debatte geleistet, als er den grünen Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer auf Facebook attackierte. Doch zunächst der Hintergrund, ohne den die Diskussion nicht zu verstehen ist:

Der Hintergrund: Ein Serienvergewaltiger aus Gambia

Wegen des dringenden Verdachts der Vergewaltigung, der versuchten Vergewaltigung und der gefährlichen Körperverletzung wurde gegen einen in Tübingen wohnhaften Asylbewerber aus Gambia Untersuchungshaft verhängt. Ihm wird vorgeworfen, in der baden-württembergischen Stadt mindestens zwei vollendete und zwei versuchte Vergewaltigungen begangen zu haben. Nachdem er in seiner Asylunterkunft im Februar 2017 eine 35-Jährige vergewaltigt hatte, führte ein DNA-Test bei ihm zu den anderen drei Sexualstraftaten aus dem Jahr 2015. Er gilt laut Polizei offenbar auch noch für weitere ähnlich gelagerte Fälle als Verdächtiger. Seit der ersten Tat war bekannt, dass ein „dunkelhäutiger“ Sexualtäter sein Unwesen trieb. Trotz der begrenzten Zahl an „Dunkelhäutigen“ in der Gegend konnte der oder die Täter bis März 2017 aber nicht gefunden werden. Die Staatsanwaltschaft hatte 2015 zwar einen Massen-DNA-Test durchgeführt, doch die Abgabe der Probe ist laut Gesetz freiwillig. Natürlich gab der Täter keine Probe ab. Er entsprach auch nicht ganz der Täterbeschreibung der vier Opfer, die ihn alle als etwa 30 Jahre alt beschrieben. Laut seinem Pass war der Gambier nur 19 Jahre alt – was laut Palmer auf gefälschte Altersangaben hinweisen könnte.

Palmers Warnung

Nach der Festnahme äußerte sich Tübingens OB mehrfach auf Facebook über die Straftatenserie, die seine Stadt tief verunsichert hatte. Palmers erste Äußerung am 6. Juli beinhaltete diese Sätze: „Ist es wichtig, dass der Mann ein Asylbewerber und ein junger Mann war? Ja. Die Anzahl vergleichbarer Fälle ist einfach zu hoch, um das als völlig normal abzutun. (…) Davor zu warnen, vor zwei Jahren fast ein Sakrileg.“

Nach meiner festen Überzeugung ist Schutz vor Übergriffen von Asylbewerbern Teil einer humanen Flüchtlingspolitik.

Boris Palmer, Tübinger OB

Einen Tag später schilderte er die Taten der letzten acht Wochen gegen die sexuelle Selbstbestimmung in Tübingen: „Ein Asylbewerber aus Syrien hat versucht, ein 10jähriges Mädchen zu vergewaltigen. Eine Gruppe Schwarzer – die Wahrscheinlichkeit, dass es keine Asylbewerber waren, halte ich für kleiner als 5 Prozent – hat Frauen auf einem Fest angegrabscht, bespuckt, gezogen und bedroht.“ Dazu der verhaftete Gambier. Parallel laufe der Prozess gegen einen Asylbewerber, der seine Geliebte mit einem Dönermesser umgebracht hat. Der OB dann zu 2015 geäußerten Bedenken vieler Bürger: „Ein Teil der Sorge war schlicht empirisch: Junge Männer sind überall auf der Welt ein größeres Risiko, wenn sie keine Aufgabe und kein soziales Umfeld haben. Die andere bezog sich auf die Prägung dieser Menschen, denn sie haben ein anderes Frauen- und ein anderes Männerbild als wir. (…) Ich finde, es gibt heute wenig Hinweise, dass diese Warnungen unberechtigt waren. Eher umgekehrt.“ Ohne Zweifel ist Palmer nicht: „Für einen Beweis der von mir vermuteten Kausalität fehlen immer noch viele Daten. Für mich ist der Zusammenhang aber evident.“

Der verpflichtende DNA-Test

Dann kam Palmer zu dem Punkt, den Beck aufgriff: „Nach meiner Meinung hätte schon der erste Bericht einer Zeugin, dass ein junger Schwarzafrikaner versucht hat, sie in einem Busch in der Innenstadt zu vergewaltigen, gereicht, um (verpflichtend; Anm. d. Red.) DNA-Proben aller schwarzen Asylbewerber in der Stadt zu nehmen. Das wären keine 100 Personen gewesen, die Wahrscheinlichkeit den Täter zu finden, war extrem groß.“ Mehrfach machte Palmer jedoch klar, dass er „kein spezielles Gesetz für Flüchtlinge“ wolle.

Er sah natürlich voraus, was kommen würde: „Die gesinnungsethischen Attacken, das alles sei Rassismus, sind programmiert. Daher zum Schluss nochmal mein Punkt: Wer möglichst vielen Flüchtlingen Hilfe zuteil werden lassen möchte, muss sich verantwortungsethisch Gedanken darum machen, wie die Unterstützung dafür gesichert werden kann. Dafür muss man aufeinander zugehen. Sich beschimpfen hilft nichts.“

Es kam, was kommen musste

Die linke Zeitung taz fand seine Äußerungen trotzdem beklagenswert, worauf sich Palmer auf Facebook verteidigte. Wolle man auf einen verpflichtenden DNA-Test verzichten, so gebe es nur die Möglichkeit eines gemeinsamen Vorgehens aller Beteiligten, um zur Abgabe des Tests zu motivieren. „Das ist aber realpolitisch kaum machbar. Der Vorwurf, das sei Rassismus, verhindert ein solch offensives Vorgehen.“ Die Zahlen bundesweit seien aber „leider sehr Besorgnis erregend“: 2016 waren 9 Prozent der Tatverdächtigen in Sexualstraftaten Asylbewerber. „Das deutet auf eine stark erhöhte Kriminalitätsrate hin. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen, so unschön es auch ist, und dem Missstand entschiedener entgegen treten als bisher.“

In einem Land, wo Deine flinke Zunge das Sagen hätte, möchte ich nicht leben.

Volker Beck, Grüne, zu Boris Palmer

Der grüne migrationspolitische Sprecher Volker Beck wollte das nicht unkommentiert lassen: „Wir können nicht allen helfen. Und Boris, Dir ist nicht zu helfen. In einem Land, wo Deine flinke Zunge das Sagen hätte, möchte ich nicht leben.“ Ein kleiner Seitenhieb auf das im August erscheinende Buch Palmers mit dem Titel „Wir können nicht allen helfen – Ein Grüner über Integration und die Grenzen der Belastbarkeit“.

Lieber Volker, ich lebe gerne in einem Land, wo dein Drogenkonsum und deine früheren Äußerungen zur Pädophilie verziehen werden.

Boris Palmer, zu Beck

Palmer antwortete mit einer Retourkutsche: „Lieber Volker, ich lebe gerne in einem Land, wo dein Drogenkonsum und deine früheren Äußerungen zur Pädophilie verziehen werden. Ich finde es sogar gut, dass du trotz dieser Probleme viel zu sagen hast in unserem Land. Schade, wenn du nicht dieselbe Liberalität aufbringen kannst.“ Gegen Beck war 2016 wegen des Besitzes einer „betäubungsmittelverdächtigen Substanz“ ermittelt und das Verfahren gegen eine Zahlung von 7000 Euro eingestellt worden. Zudem hatte Beck in einem früheren Werk umstrittene Äußerungen zur Pädophilie gemacht.

Die Facebook-Schlacht

Weiter ging es dann so:

Beck: „Mit Deiner Forderung, bei Nicht-Verdächtigen zwangsweise Maßnahmen durchzuführen, greifst Du nicht mehr und nicht weniger als die Unschuldsvermutung an. Ich lebe lieber in einem Rechtsstaat, wo solche Maßnahmen nicht willkürlich eingesetzt werden dürfen (…).“

Palmer: „Wer redet bitte von Willkür?“; „Das ist aber gar nicht meine Forderung. Die Täterbeschreibung war so konkret, dass schwarze Asylbewerber in der Stadt verdächtig waren. Das hat auch das Amtsgericht bejaht. Du baust hier einen Popanz auf.“

Beck: „Und wenn es ein weißer Verdächtiger wäre, würdest Du alle weißen Tübinger Männer zwangstesten. Richtig verstanden? Warum eigentlich nicht gleich eine DNA-Datei aller Männer? Vergewaltiger sind ja meistens Männer.“

Palmer: „Wenn in Tübingen ein weißer Mann serienmäßig Frauen vergewaltigt: selbstverständlich. Ich würde als erster den Test machen und alle anderen dazu aufrufen.“

Warum einen verpflichtenden Massen-DNA-Test?

Um die Bedeutung der Forderung von Palmer nach einem verpflichtenden Massen-DNA-Test „in gravierenden Fällen“ und bei „hinreichend konkreter Täterbeschreibung“ noch einmal deutlich zu machen: Hätte man einen solche Vorschrift Anfang Mai 2015 gehabt, so wäre mindestens drei Frauen in Tübingen eine versuchte oder vollendete Vergewaltigung und damit ein lebenslanges Trauma erspart geblieben.

Eine Facebook-Nutzerin mischte sich ein und schrieb, dass der Rechtsstaat nach Vergewaltigern mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln fahnden müsse, auch mit dieser DNA-Analyse. Dafür müsse man die Strafprozessordnung ändern. Daraufhin schrieb Beck ihr: „Da ist dann hoffentlich das Bundesverfassungsgericht davor.“

Es geht darum, dass in Tübingen Frauen aus Angst nicht mehr alleine auf die Straße gingen.

Boris Palmer

Die Debatte der Nutzer ging an Palmers Intention bewusst oder unbewusst vorbei. Dunkelhäutige Deutsche, Nazikeule, Ausländerkriminalität, die meisten Vergewaltigungen im engsten Familien- und Freundeskreis, alles war dabei. Der OB verzweifelte zusehends: „Es geht darum, dass in Tübingen Frauen aus Angst nicht mehr alleine auf die Straße gingen, die Polizei davor gewarnt hat, das zu tun und die Serie verhindert worden wäre, wenn man früher den DNA-Test gemacht hätte.“ Opferschutz vor Täterschutz, eigentlich selbstverständlich.

Realo gegen Fundi

Anfang Mai stellte der Tübinger OB einen Antrag zum grünen Wahlprogramm: Angesichts von 60 Millionen Flüchtlingen seien „offene Grenzen keine Option“ und Deutschland könne „nicht allen Menschen, die aus guten Gründen nach Europa kommen wollen, helfen“. Beck schimpfte daraufhin: „Palmers denunziatorischer Duktus gegenüber einer menschenrechtlich orientierten Flüchtlingspolitik ist unsäglich.“