Unter dem Motto "Nicht mit uns - Muslime und Freunde gegen Gewalt und Terror" haben in der Kölner Innenstadt einige hundert Menschen demonstriert. (Bild: Imago/epd)
Köln

Friedensdemo als Flop

Viel weniger Muslime als erwartet kamen nach Köln, um gegen islamistischen Terror zu demonstrieren. Weitere Kundgebungen sollen trotzdem folgen. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hat für den dürftigen Besuch eine Erklärung.

Die Hundertschaft der Polizei auf dem Kölner Heumarkt blickte verwundert um sich. Sie war kurz vor Beginn der Demonstration in Köln nicht die einzige. Die Initiatoren des Friedensmarsches von Muslimen gegen Gewalt und islamistischen Terror hatten mit 10.000 Teilnehmern gerechnet, gekommen waren nur wenige Hundert. „Ich weiß nicht, warum nicht mehr gekommen sind“, begrüßte Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor zum Auftakt das Publikum. Sie gehörte mit zu den Veranstaltern und gab sich angesichts der mangelnden Beteiligung dennoch offensiv: „Das hier ist ein Anfang! Egal ob konservativ oder liberal – wir müssen diejenigen, die Terror verbreiten, an den Rand drängen.“ Erst vor zehn Tagen, sagte Kaddor der Zeit, habe sie gemeinsam mit Friedensaktivist Tarek Mohamad den Entschluss gefasst, dass sich jetzt etwas ändern müsse. Unter dem Motto „Nicht mit uns“ sollten Muslime aus ganz Deutschland ein Zeichen gegen Terror setzen, der in der jüngeren Vergangenheit wiederholt im Namen des Islam verübt worden war.

Ditib sagt Teilnahme ab

Deutsche Politiker hatten diesen Schritt begrüßt, auch unter den Muslimen in Deutschland gab es Zustimmung. Der Zentralrat der Muslime unterstützte den Aufruf, der Liberal-Islamische Bund, auch die Türkische Gemeinde in Deutschland. Aber der größte Islam-Dachverband in Deutschland, die Türkisch-islamische Union (Ditib), sagte die Teilnahme ab. Die Organisation, die der Religionsbehörde in Ankara untersteht, begründete ihre Absage damit, dass „muslimische Anti-Terror-Demos“ die Muslime stigmatisierten. Es sei im Ramadan zudem „unzumutbar für fastende Muslime, stundenlang in der prallen Mittagssonne bei 25 Grad zu marschieren und zu demonstrieren“, hieß es in einer öffentlichen Mitteilung. Der Demonstrationstag fiel in die Zeit des Ramadan, an dem gläubige Muslime tagsüber nichts essen und trinken.

Ein Armutszeugnis

Am Tag der Demonstration war der Himmel zwar überwiegend bewölkt und das Thermometer erreichte keine 25 Grad – die Entscheidung von Ditib dürfte den Organisatoren dennoch mehr genutzt als geschadet haben. Denn sie gab der Veranstaltung auch außerhalb der islamischen Gemeinschaften öffentliche Aufmerksamkeit. Sogar die Bundeskanzlerin meldete sich zu Wort. Dass der größte Islam-Dachverband in Deutschland nicht an der Kundgebung in Köln teilnehmen wolle, sei „einfach schade“, ließ Merkel ausrichten. Es sei doch „gut, wenn Muslime klarmachen, dass in ihren Reihen und Moscheen kein Platz für Hass und Gewalt ist.“ Mitorganisator Mohamad sprach von einem „Armutszeugnis“.

Für CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer zeigen die Verweigerung und der dürftige Besuch vor allem eines: Viele Muslime seien sich ihrer Verantwortung, gegen den Politischen Islam und gegen den Terrorismus endlich ein Zeichen zu setzen, nicht bewusst.

Viele Muslime sind sich ihrer Verantwortung, gegen den Politischen Islam ein Zeichen zu setzen, nicht bewusst.

Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär

„Hass macht die Erde zur Hölle“

Immerhin stießen während des knapp zweistündigen Marsches noch Hunderte hinzu. Die Teilnehmerzahl blieb mit rund 1000 aber weit hinter den Erwartungen der Organisatoren zurück. Auf Transparenten war zu lesen: „Muslime sind nicht schuld“ oder auch „Hass macht die Erde zur Hölle“. Teilnehmerin Beyza Gürlevik aus Herne sagte: „Wir Muslime sind zweifach betroffen: Von den Anschlägen selbst und weil die Schuld auf uns geschoben wird. Es ist wichtig, zu zeigen, dass wir gegen islamistischen Terror sind.“ Es marschierten auch viele Nicht-Muslime wie Renate Frank aus Köln mit, um „die Muslime zu unterstützen“. Gemeinsam mit ihrem Mann zeigte sie sich allerdings enttäuscht darüber, dass nicht mehr Muslime gekommen seien. „Das wäre ein wichtiges Zeichen gewesen“, sagte sie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Botschaft erster Anfang

Es wäre vielleicht anders gewesen, wenn Großverbände wie Ditib oder der Islamrat, der ebenfalls abgesagt hatte, dabei gewesen wären. Sie hätten Tausende mobilisieren können, gelten beide aber zugleich als sehr konservativ islamisch. Die meisten Muslime, die in Deutschland insgesamt fünf bis sechs Prozent der Bevölkerung stellen, sind dagegen nicht in Verbänden oder kirchenähnlichen Gemeinschaften organisiert – Schätzungen gehen von maximal 15 bis 20 Prozent organisierter Muslime aus.

Die Botschaft an die nicht-muslimische Mehrheitsgesellschaft ist nicht das erhoffte Signal und bei vielen Deutschen auf völliges Unverständnis gestoßen. Immerhin: Auch wenn weniger Menschen teilnahmen als erhofft, alles lief ruhig ab, jeder hielt sich an die Regeln: Keine Flaggen, nur gebastelte Transparente, keine Gewalt und keine Provokationen. Der NRW-SPD-Chef Michael Groschek sagte in Köln, die Aktion sei ein „erster Schritt auf einem langen Marsch“. Das sei richtig und „überfällig“. Es gebe ein „Recht auf und eine Pflicht zur Gewaltfreiheit – und dieses ist untrennbar miteinander verbunden.“ Am 26. Juni soll es auch in Berlin einen Friedensmarsch geben.

Vorwurf der Spionage

Ditib ist nach eigenen Angaben die „mitgliederstärkste Migrantenorganisation“ in Deutschland. Der Verband wurde 1984 in Köln als bundesweiter Dachverband von Moscheevereinen gegründet. Mittlerweile gehören dem Verband mehr als 900 Moscheegemeinden mit rund 800.000 Mitgliedern an. Personell und organisatorisch ist Ditib eng mit der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet verwoben. So werden die Ditib-Imame in Deutschland von der Türkei bezahlt. Diyanet wiederum ist direkt der türkischen Regierung in Ankara unterstellt.

Der Verband Ditib steht bereits seit längerem in der Kritik. Besonders schwer wiegt der Vorwurf, Ditib-Imame hätten in Deutschland im Auftrag der Türkei Gegner des türkischen Diktators Recep Tayyip Erdogan ausgeforscht. Wegen der Spionagevorwürfe ermittelt das Bundeskriminalamt im Auftrag des Generalbundesanwalts seit Januar gegen eine ganze Reihe von Beschuldigten.