Und nebenbei noch was mit Innerer Sicherheit: Martin Schulz, SPD-Parteivorsitzender und -Kanzlerkandidat. (Bild: Imago/Photothek/Florian Gärtner)
SPD

Alles nur geklaut

Kanzlerkandidat Martin Schulz präsentierte ein 10-Punkte-Programm der SPD zur Inneren Sicherheit mit viel von der Union Kopiertem. Zudem deutete er eine Kursänderung in der Doppelpass-Debatte an. Doch glaubwürdig war das alles nicht. Eine Analyse.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) stellten am Donnerstag in der Parteizentrale vor, wie die SPD Kriminalität und Terrorismus bekämpfen will. Da war vermutlich so mancher Anwesende in der Versuchung, zu sagen: das hat man doch in Nordrhein-Westfalen gesehen. Hatten die Genossen doch in ihrem Stammland kürzlich die Landtagswahl verloren, weil die SPD-geführte Landesregierung gerade auf diesem Themenfeld komplett versagt hatte.

Die Ereignisse eines Silvesterabends in Köln, die fahrlässige Behandlung des Terroristen Anis Amri, die mit Abstand höchsten Einbruchsraten bundesweit, die von kriminellen Clans beherrschten Stadtgebiete, dazu eine der höchsten Kriminalitätsraten und eine der niedrigsten Aufklärungsquoten bundesweit, das hatte den Wählern gereicht. Doch auch die meisten anderen lange rot regierten Bundesländer wie etwa Berlin, Bremen oder Hamburg, weisen ähnliche Probleme auf.

Altes in neuem Gewand

Schnell hat deshalb nun die SPD ihre Ideen zur Inneren Sicherheit zusammengetragen und – diesmal im Beisein des Kanzlerkandidaten – vorgestellt. „Sicherheit ist eine Frage der Gerechtigkeit“, zog Schulz etwas bemüht den Bogen zu seinem Hauptthema „Soziale Gerechtigkeit“. Reiche Leute könnten sich Sicherheit kaufen. Das mag zwar für technische Sicherheits-Ausstattung gelten, die Polizei jedoch ist für alle da. „Normale Bürger“ seien hingegen auf den Staat angewiesen, so Schulz unbeirrt weiter. Und dessen Sicherheitsbehörden hätten in den vergangenen zwölf Jahren unter Führung konservativer Innenminister „erhebliche Rückschläge“ hinnehmen müssen, behauptete Schulz wider die Fakten. Denn vor allem die lange rot geführten Länder NRW und Berlin sind Hauptverursacher des polizeilichen Stellenabbaus beziehungsweise unzureichenden Stellenaufbaus. Jedenfalls will die SPD laut Schulz jetzt „mehr Polizei“, 15.000 neue Stellen, und besser ausgerüstet. Auch das ist zum Teil längst mit der Union beschlossen worden: für die Bundespolizeien. Der Rest ist Ländersache. Doch auch in den Ländern sperrt sich neuerdings kaum noch jemand dagegen.

Das ist ein Markenzeichen der SPD in der Inneren Sicherheit: Wir verstärken nicht die Ängste der Menschen (…).

Martin Schulz, unfreiwillig komisch

Gegen die zahlreichen Wohnungseinbrüche fordert der SPD-Chef „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“, ein Punkt, den das CSU-geführte Bayern schon seit Jahren mit Nachbarländern umsetzt. Das Gleiche gilt für die ganz neue Schulz-Idee, den Einbau von sichereren Fenstern und Türen staatlich zu fördern beziehungsweise bei Neubauten vorzuschreiben. Sowohl der Bund, als auch Bayern, fördern das längst. Die Polizei soll zudem Wohnungseinbrüche durch den Einsatz computergestützter Ermittlungsmethoden wirksamer bekämpfen können, auch dies seit 2014 in Bayern schon im Einsatz. Bundeshilfen soll es geben, insbesondere für die Länder, die sicherheitspolitisch hinterherhinken. Bayern könne hier ja mit weniger auskommen, so Schulz. Leistung wird bei der SPD also mal wieder bestraft, belohnt nur der, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.

Markige Worte

Weiter ging es im Programm mit teilweise überraschend markigen Worten. Schulz will das allerdings anders bewertet sehen: „Wir wollen eine Politik, die auf Prävention setzt und nicht auf markige Sprüche, mit denen die Angst der Menschen geschürt wird.“ Ein Seitenhieb auf die Union, die besonders im NRW-Wahlkampf immer wieder auf die für die SPD so unerfreulichen Fakten hingewiesen hatte. Angst hatten die Menschen zu diesem Zeitpunkt aber schon längst – vor der realen Unsicherheit in NRW.

Das sozialdemokratische Konzept zur inneren Sicherheit sieht weiter unter anderem folgende Punkte vor:

  • „Ausländerinnen und Ausländer, die schwere Straftaten begehen, sollen nach Verbüßung ihrer Strafe unverzüglich abgeschoben werden.“ Dies ist dank der Union schon geltende Rechtslage.
  • Die anlassbezogene Videoüberwachung soll „mit Augenmaß“ ausgeweitet werden, besonders bei großen Menschenansammlungen. Gerade hat der SPD-geführte rot-rot-grüne Berliner Senat genau das abgelehnt – das wird also schwierig für Schulz in punkto Glaubwürdigkeit.
  • Zudem sieht das Papier eine bessere Sicherung der EU-Außengrenzen vor. Dies soll durch eine europäische Grenzschutzpolizei realisiert werden. Seit 2015 arbeitet die EU jedoch an einer solchen Sicherung, auch ohne die SPD schon ein langwieriger und schwieriger Prozess.
  • Einen Schwerpunkt legt das Papier auf bessere Prävention, um das Abdriften von jungen Leuten in den rechten oder islamistischen Extremismus zu verhindern. Linke Extremisten gibt es auch für die SPD nicht, offenbar alle erfunden und „aufgebauscht“, wie schon Manuela Schwesig bei ihrem Amtsantritt 2013 meinte.
  • Außerdem soll der Bund Maßnahmen zur Kriminalitätsprävention in Städten und Gemeinden fördern, um die Entstehung sozialer Brennpunkte zu verhindern. „Soziale Brennpunkte gibt es vor allem in welchen Bundesländern?“, fragt sich wieder der Beobachter.
  • Durch „eine Art europäisches FBI“ sollen Terrorismus und Kriminalität grenzüberschreitend bekämpft werden. Dafür müssten aber die Mitgliedstaaten endlich ihre Informationen miteinander teilen und polizeiliche Kompetenzen abtreten.

Die Innere Sicherheit sei „in der DNA der SPD angelegt“, erklärte dazu noch der Niedersachse Pistorius, so etwas wie der Schatten-Bundesinnenminister.

Meinungsumschwung beim Doppelpass?

Dann tat die SPD in ihrem Papier noch etwas, was sie jahrzehntelang immer zu vermeiden suchte: Sie verband die Themen Innere Sicherheit und Ausländer miteinander. Die Sozialdemokraten bekräftigten ihre Forderung nach einem Einwanderungsgesetz und deuteten eine Kursänderung beim Thema Doppelpass an. Es müsse „geprüft“ werden, ob Einwanderer in der dritten Generation sich für einen Pass entscheiden müssten. Nur ein „Diskussionsbeitrag“ sei das, nahm Schulz der Idee gleich jeden Ansatz von Hoffnung.

Denn diese Idee war ziemlich genau das, was die Union seit Monaten diskutiert und die SPD wie jede Neuerung rund um den Doppelpass bereits verteufelt hat. Laut Pistorius stellt die Idee aber gar keinen Gegensatz zur bisherigen Position dar: Schließlich sei seine Partei nach wie vor gegen eine Pflicht, sich für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden. Wie soll das gehen?

Prompt gab es auch Widerspruch von den Jusos und der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD. Juso-Chefin Johanna Uekermann forderte gar noch mehr Erleichterungen bei der Einbürgerung, AG-Chef Aziz Bozkurt forderte „ohne Wenn und Aber die generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit auch bei Einbürgerungen“.

Immer mehr Kritik am Doppelpass

CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn begrüßte die SPD-Ankündigung, einen „Generationenschnitt“ wenigstens zu prüfen. „Es ist gut, dass die SPD endlich zur Vernunft kommt und erkennt, dass der Dauer-Doppelpass die Integration erschwert“, sagte Spahn. „Allerdings sind und bleiben CDU und CSU hier das Original.“ Die Union wertet diesen Schwenk der Genossen als unglaubwürdiges Wahlkampfmanöver. „Die letzten Jahre blockieren und hinterherhoppeln und jetzt das Thema Innere Sicherheit neu entdecken, das ist unglaubwürdig und einfach panisch“, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer dem Tagesspiegel.

Die letzten Jahre blockieren und hinterherhoppeln und jetzt das Thema Innere Sicherheit neu entdecken, das ist unglaubwürdig.

Andreas Scheuer

Auch die Mehrheit der Bevölkerung sieht laut Umfragen den automatischen Doppelpass ohne jede Beschränkungen immer kritischer – insbesondere, seit die in der Türkei wahlberechtigten Deutschtürken zu 63 Prozent für Erdogans Diktatur gestimmt, ihm hier zugejubelt und zugearbeitet haben.

Ernüchterndes Fazit

Ob die Wähler der SPD diesen Kursschwenk abnehmen werden, bleibt ohnehin fraglich. Zu lange hat gerade die SPD wichtige Gesetzesvorhaben im Bereich der Inneren Sicherheit blockiert, die von der Union angestoßen wurden. Und die SPD ist auch weiter gegen Datenspeicherung, in den Ländern zum Teil gegen Video-Überwachung, gegen schnellere Abschiebungen, gegen Schleierfahndung und gegen Ausweitung der DNA-Analyse. Die Worte „Generalverdacht“ und „Rechtspopulist“ liegen ihren Funktionären immer noch sehr schnell auf der Zunge, wenn über Kriminalität in Verbindung mit Ausländern gesprochen wird. Teile der SPD hängen auch künftig der Multikulti-Ideologie mit den Grünen und den Linken nach – Schulz hin oder her.

SPD und innere Sicherheit, das geht auch einfach nicht zusammen, dazu reicht ein Blick nach NRW, Bremen oder Berlin. Theorie und Realität sind hier konträr. Was von der SPD zum Teil als neue Ideen verkauft wird, haben die Unionsparteien schon längst als ihre Zielperspektiven festgelegt oder sogar bereits umgesetzt. Alles nur geklaut, bekannt, kaum realisierbar oder unglaubwürdig, das ist das traurige Fazit des Wunderkonzeptes des Wundermannes aus Würselen.