Warten auf die göttliche Eingebung? SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz nach der Wahl in Schleswig Holstein. (Bild: Imago/Christian Thiel)
Martin Schulz

Vergebliches Werben

In einer wirtschaftspolitischen Grundsatzrede vor der IHK Berlin wollte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz die Wirtschaft umwerben. Die steht ihm aber ablehnend gegenüber, weil er Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl keine Absage erteilte.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz wollte mit einer wirtschaftspolitischen Grundsatzrede für Aufmerksamkeit sorgen – die zweite Wahlpleite in Schleswig-Holstein war wohl nicht einkalkuliert. Auch sonst lief es nicht so recht: Zunächst unterbrachen alle Fernsehsender die Schulz-Rede schon in der Einleitung nach wenigen Minuten – weil parallel Bundeskanzlerin Angela Merkel über den Wahlerfolg der CDU in Schleswig-Holstein sprach. Auch Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, Schulz Vorgänger im Parteivorsitz der SPD, stellte lieber zeitgleich sein Buch „Neuvermessungen“ in einer Pressekonferenz vor, als seinem Nachfolger zu lauschen.

Bislang war Schulz konkrete Inhalte zu seinem Wirtschaftsprogramm schuldig geblieben, nun skizzierte er sein Konzept „Gerechtigkeit und Innovation“ bei der Tagung der IHK Berlin. Er warb bei der Wirtschaft um Vertrauen und warnte seine Partei vor unbezahlbaren Wahlversprechen. Es gebe zwei Gefahren im Bundestagswahlkampf: „Unerfüllbare Sozialversprechen und unerfüllbare Steuersenkungsversprechen. Beides wird es mir mit nicht geben“, sagte der SPD-Chef bei seiner Grundsatzrede vor Hunderten Managern in Berlin zur Wirtschaftspolitik, die er nach einem Wahlsieg im September umsetzen würde.

Ludwig Erhard bei der SPD?

Ausgerechnet im Ludwig-Erhard-Haus, der IHK-Zentrale, spekulierte der SPD-Kanzlerkandidat über den Vater der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland, Ludwig Erhard, dieser wäre heute sicher lieber Mitglied der SPD als der CDU. Warum allerdings gerade der überzeugte Verfechter der Marktwirtschaft Mitglied der staatsgläubigen SPD hätte werden sollen, darauf ging Schulz nicht näher ein.

Wir müssen in Europa weg von der ewigen Taktik des Sich-Durchwurschtelns.

Martin Schulz, SPD-Kanzlerkandidat

Sodann versuchte der Kanzlerkandidat, sich bei den Wirtschaftsvertretern als einer der Ihren zu präsentieren. „Ich habe selbst mal einen kleinen Laden gegründet, eine Buchhandlung.“ Und weiter lobte er seine Wirtschaftsnähe: „Ich habe erlebt, was es bedeutet, Unternehmer zu sein. Manchmal habe ich nachts wachgelegen und mich gefragt, ob ich am nächsten Morgen nochmal aufmachen kann.“ Er kenne die Momente des Zweifelns und ziehe deshalb seinen Hut vor allen Unternehmern, schmeichelte Schulz. Dass er als Bürgermeister im nordrhein-westfälischen Würselen seiner Gemeinde mit einem Spaßbad ein Millionengrab hinterließ, verschwieg Schulz.

Keine Steuergeschenke für die Reichen

Dann kam er zu seinem Konzept: Untere und mittlere Einkommensbezieher müssten entlastet werden, so der SPD-Mann. Im Gegenzug bedeutet das: „Riesenvermögen“ müssen höher belastet werden, wie der SPD-Chef bereits kurz nach Amtsantritt verkündet hatte. Wo allerdings die Grenze vom mittleren zum hohen Einkommen liegen wird, diese Frage wurde auch jetzt nicht beantwortet. Mit Blick auf die 15-Milliarden-Steuersenkungsforderungen der Union ergänzte Schulz: „Das heißt aber nicht, dass wir Steuergeschenke mit der Gießkanne verteilen sollten, von denen am Ende eh nur die profitieren, die am meisten haben.“ Da war er dann doch noch, der Seitenhieb auf die „bösen Reichen“, das „Großkapital“. Viele davon sind hart arbeitende Unternehmer, die nun in Berlin vor dem Redner Schulz saßen.

Weitere Punkte der Schulz-Rede:

  • Ein Lob gab es für „Vorbild“ Gerhard Schröder als Mann, der zuerst das Land und dann die Partei im Kopf gehabt habe. Vor wenigen Wochen wollte Schulz noch dessen Agenda 2010 grundlegend verändern. Lob gab es sogar für Angela Merkel, die „Mitbewerberin“, die die deutsche Wirtschaft vorangetrieben habe.
  • Investitionsoffensive: Schulz sagte, seine Leitlinie werde „Vorfahrt für Investitionen“ sein: „Wir haben in Deutschland einen Investitionsrückstand von knapp 140 Milliarden Euro bei den Kommunen.“ Insbesondere im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen, das nächste Woche einen neuen Landtag wählt, aber das sagte Schulz nicht. Er forderte eine Investitionsoffensive für Deutschland. „Wir leben bei allen wirtschaftlichen Erfolgen im Klartext schon lange von der Substanz. Hier will ich gegensteuern.“ Dabei sind es erneut genau die Bundesländer, in denen seine Partei regiert, die die Investitionsquote abgesenkt und die meisten Schulden angehäuft haben. Der künftige wirtschaftliche Erfolg des Landes, so Schulz weiter, könne nur mit mehr Ausgaben in Infrastruktur, Forschung und Bildung gesichert werden. Auch hier gilt aber: In all diesen Bereichen liegen besonders die rot regierten Länder zurück. Wie er diese Ausgaben finanzieren will, ist auch nicht klar.
  • Kritik aus dem Ausland am großen deutschen Handelsbilanzüberschuss wies der SPD-Kanzlerkandidat zurück. „Wir müssen uns nicht dafür schämen, erfolgreich zu sein“, sagte er. Durch mehr staatliche Investitionen könne man aber dafür sorgen, dass Ungleichgewichte insbesondere innerhalb der Europäischen Union abgebaut würden.
  • Reformen in Europa: „Die deutsche Wirtschaft wird nur in einem funktionierenden europäischen Wirtschaftsraum langfristig funktionieren“, meinte Schulz. Ein zentrales Anliegen seiner Wirtschaftspolitik werde es darum sein, Europa zu stärken, mit einer „ambitionierten Reform“ der EU. „Wir müssen in Europa weg von der ewigen Taktik des Sich-Durchwurschtelns“, so der SPD-Politiker. Er befürworte auch internationale Freihandelsabkommen wie Ceta.
  • Digitalisierung: Schulz will staatliche Unterstützung bei der Digitalisierung insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Deutschland müsse der Digitalisierung „angstfrei, selbstbewusst und ohne Technikfeindlichkeit“ gegenübertreten. Er werde jedenfalls als Kanzler das Thema „zur Chefsache machen“.

Ende Juni will die SPD will bei einem Parteitag in Dortmund ihr Wahlprogramm beschließen. Vergangene Woche wurde dazu ein wirtschaftspolitisches Konzeptpapier mit dem Titel „Innovationsmotor Mittelstand“ veröffentlicht.

Schulz bleibt Distanzierung schuldig

Eine klare Absage an Rot-Rot-Grün gab es von Schulz wieder nicht. Stattdessen sagte er: „Unter meiner Führung wird es nur eine Koalition in Berlin geben, die proeuropäisch ist und die ökonomische Vernunft walten lässt.“ Das trifft nicht auf die Linkspartei zu, von der obendrein Teile vom Verfassungsschutz beobachtet werden, aber dennoch wollte sich Schulz nicht distanzieren. Einige Unternehmer stellten sich die Frage, so Schulz, ob es „unter diesem Schulz nicht eine Koalition geben kann, die Deutschland und meinem Betrieb schadet?“ Darauf antworte er ganz klar „Nein“.

Kein Vertrauen der Arbeitgeber in Schulz

Glaubhaft klang das für die Hörer nicht. Schon vor der Grundsatzrede zeigten die Arbeitgeber sehr deutlich, was sie von Schulz halten. Arbeitgeber-Präsident Ingo Kramer warf dem SPD-Kanzlerkandidaten vor, mit seinem Fokus auf soziale Gerechtigkeit die Lebenswirklichkeit in Deutschland zu verzerren. „Herr Schulz sollte damit aufhören, das Land schlechtzureden, sondern lieber ein Programm vorlegen, wie man die derzeitige gute Situation 2030 und darüber hinaus erhalten kann“, sagte Kramer der Bild am Sonntag. Als ehemaliger EU-Parlamentspräsident wisse Schulz genau, dass die anderen 27 EU-Staaten neidisch auf Deutschlands Entwicklung seien. Es gehe in Deutschland deutlich gerechter zu als in den Nachbarländern oder noch vor 10 bis 15 Jahren. „Daraus kann Schulz doch nicht ableiten, es gehe in Deutschland nicht gerecht zu.“

Sollte Rot-Rot-Grün die Wahl gewinnen, hätte das außerordentlich negative Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft.

Ingo Kramer, Arbeitgeber-Präsident

Der frühere FDP-Politiker Kramer warnte ausdrücklich vor einer Koalition aus SPD, Grünen und Linken: „Sollte Rot-Rot-Grün die Wahl gewinnen, hätte das außerordentlich negative Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft“, sagte er. „Die Grünen würden aus umweltpolitischen Gründen jegliche wirtschaftliche Entwicklung hemmen. Die Linke würde mit ihrer Europa-, Verteidigungs- und Außenwirtschaftspolitik einen Großteil unserer freundschaftlichen Beziehungen in aller Welt zerstören. Kombiniert mit der Sozialpolitik der SPD führt das dann zu sinkendem Wachstum, neuer Arbeitslosigkeit und höheren Kosten etwa beim Wohnungsbau.“